Werkschau der britischen Band Broadcast: Senden aus dem Unterbewusstsein
Das Schaffen der Psychedelicpopband Broadcast und ihrer frühverstorbenen Sängerin Trish Keenan wird mit gleich drei tollen Alben gewürdigt.
Das Jahr, in dem Psychedelia den Durchbruch schafft, muss 1996 gewesen sein. So ungefähr. Hipster wussten natürlich längst bescheid, das ist schließlich ihr Job. Aber seinerzeit zog die Sache weite Kreise. Bis zu diesem Punkt war das Tonkrug-Blubbern in den Songs der texanischen Acid-Evangelisten 13th Floor Elevators die beste Antwort auf die Frage, was genau Psychedelia eigentlich sein soll. Jetzt aber tauchten neue Namen auf – und damit neue Sounds.
Der technologische Ansatz anno 1968, um die zuvor nur von Halluzinogenen aufgeschlossenen Pforten der Wahrnehmung zu öffnen, findet knapp 30 Jahre später breiter Gehör. Kaum eine Band wirkt erfolgreicher bei dieser verspäteten Wertschätzung und künstlerischen Weiterentwicklung einer kurzen Phase der Sixties als Broadcast aus Birmingham.
Deren künftige Sängerin Trish Keenan tanzte Anfang der neunziger Jahre in einem Birminghamer Psychedelic-Club namens Sensateria zu „Hard Coming Love“ von der Band United States of America. Deren Mischung aus Proto-Synthesizer-Blubbern und Jefferson-Airplane-artigem Acidrock faszinierte Keenan. Die Musik war ein perfektes Beispiel für jenen kurzen Zeitraum, wenn ein neues Instrument auftaucht, für das es noch keine Regeln gibt.
Oszillatoren und Ringmodulator
Bands wie United States of America, Silver Apples und White Noise nutzen das mittels Ringmodulatoren und Oszillatoren erweiterte Spielfeld, die verschobenen Grenzen für im Wortsinn bewusstseinserweiternde Musik. 2009, da gehört Keenan mit Broadcast längst zur Riege stilprägender britischer Bands wie Stereolab und Pram, führt sie ihr eigenes Verständnis von Psychedelia für das Londoner Musik-Magazin The Wire aus:
Broadcast: „Microtronics. Volumes 1 & 2“, „Mother is the Milky Way“, „BBC Maida Vale Sessions“. Alle erschienen bei Warp/Rough Trade
„Dieses Bubble-Poster-Zeug interessiert mich so wenig wie Woodstock-Nostalgie. Mich fasziniert die Idee von Psychedelia als Tür zu einer anderen Art, über Sound- und Songformen nachzudenken. Es geht dabei nicht um eine Welt, die nur über Halluzinogene zu erreichen ist, sondern die man betritt, indem man hinterfragt, was wir für real und richtig halten, in dem man die Konventionen von Gestalt und Stimmungen herausfordert.“
Unabgeschlossene Geschichte
Gerade erschienen posthum drei Alben der Band, die unterstreichen, wie konsequent Broadcast die Möglichkeiten von Keenans Anspruch ausgelotet haben. Dass drei Veröffentlichungen gleichzeitig erscheinen, war nicht zu erwarten gewesen. Trish Keenan stirbt 2011 an den Folgen einer Lungenentzündung. Da war sie gerade Anfang 40. Seit damals sind lediglich einige unveröffentlichte Aufnahmen herausgekommen, im Grunde aber ist Broadcast seither Geschichte.
Eine noch nicht abschließend dokumentierte, wie sich nun aber zeigt. „Microtronics 1 & 2“, zuvor lediglich als limitierte Merch-Alben erhältlich und auf keiner offiziellen Streaming-Plattform verfügbar, ist ein musikalisches Skizzenheft. In 21 durchnummerierten Instrumentalstücken, die kaum je die Grenze von zwei Minuten überschreiten, demonstrieren Broadcast, was sie zu einem Aushängeschild des britischen Elektroniklabels Warp gemacht hat. Und wie sie die Stimmung alter Soundtracks und Library Music mit raumgreifenden Jazzarrangements kombinieren. Die Miniaturen gehören zu den abstraktesten Broadcast-Aufnahmen, gleichzeitig aber auch zu den atmosphärischsten.
Sie zeigen, weshalb die Band aus den Midlands sich in der Tradition des Radiophonic Workshop sieht. In dieser Soundeffekte-Abteilung von Radio BBC haben Komponistinnen wie Delia Derbyshire und Daphne Oram seit den späten 1950er Jahren teils avantgardistische Geräuschkulissen zunächst für Hörspiele und TV-Dokumentationen komponiert und so eine unhörbare Welt zum Leben erweckt. Vielleicht steckt hier die eigentliche Bedeutung der „Microtronics“: Mit elektronischen Mitteln entwerfen sie ein eigenes Klanguniversum, eine neue Welt im Kleinen.
Türschild abschrauben
Kein Wunder also, dass Trish Keenan und ihr Mitstreiter James Cargill auf dem Weg zur BBC-Session am Eingang der Maida Vale Studios versucht waren, das historische Türschild „Radiophonic Workshop“ abzuschrauben. Haben sie dann doch nicht gemacht, wohl aber eine Reihe ihrer Klassiker in bestem Sound eingespielt. Etwa eine Version von „City in Progress“, das erst vier Jahre später offiziell erscheint.
1996 hat es noch keinen Titel und eine Orgel, die dem retrofuturistischen Sound des Moog-Synthesizers verwandt ist und den Song zum Space-Walzer macht, bei dem Doctor Who mit einem Dalek seine kosmischen Kreise dreht. Die „Maida Vale Sessions“ zeigen Broadcast als songorientierte Band. Drei der vier hier zusammengefassten Sessions werden eingespielt, bevor ihr Debütalbum „Noise Made by People“ (2000) erscheint. Wenn Broadcasts künstlerische Vision laut Keenan „das Aufeinandertreffen menschlicher Emotionen in einer elektronischen Welt“ war, nimmt sie in diesen Songs die greifbarste Gestalt an.
Von SciFi-Versionen früher Klassiker wie „Come on Let’s Go“ über eine fantastische Version des Silver-Apples-trifft-Lewis-Carroll-Psych-Hits „Pendulum“ bis zur endzeitlich-melancholischen Interpretation von Nicos „Sixty Forty“: Die BBC-Aufnahmen zeigen Broadcast als Speerspitze eines in Spektralfarben leuchtenden Hauntology-Pop, der vergessene Ideen einer verlorenen Sixties-Zukunft in die Gegenwart channelt. Ein Konzept von Psychedelia, frei von Nostalgie-Mief, swingend in Hard-Bop-Moves und sirrenden Synthesizer-Linien. Die beste Eintrittskarte in die Welt von Broadcast.
Empfohlener externer Inhalt
Mother is the Milky Way
Die dritte Veröffentlichung verortet sich musikalisch wiederum zwischen den überirdischen Space-Age-Songs der „Maida Vale Sessions“ und den abstrakten Soundcollagen auf „Microtronics“. Ursprünglich als limitierte EP auf Broadcasts letzter Tour 2009 verkauft, wird „Mother Is the Milky Way“ hier erstmals einem breiten Publikum zugänglich gemacht. Die Band präsentierte damals das zusammen mit ihrem Freund und Coverdesigner Julian House als Focus Group aufgenommene Album „Witch Cults of the Radio Age“ und diese EP klingt wie eine 20-minütige Verlängerung jenes Albums.
Keenan beschrieb die EP als „Science-Fiction-Geschichte eines Kinds, collagiert aus Demos, die es nie auf andere Broadcast-Alben geschafft haben“. Tatsächlich lösen die elf Stücke konventionelle Songstrukturen auf zugunsten eines traumgleichen Nebeneinanders aus Musik, Sprachfetzen und Alltagsgeräuschen von Vogelstimmen bis Kinderlachen. Vielleicht zeigt sich erst hier, in dieser Live-Übertragung aus dem Unterbewusstsein eines rasenden Geists, wie passend Broadcast ihren Namen gewählt haben.
In ihrem halluzinogenen Sog ist diese raue und zugleich feingliedrige Musik eine Kampfansage an die schlichte Idee chemisch stimulierter Bewusstseinserweiterung. Sie trägt surreale Züge, transzendentale Qualitäten und zugleich die avantgardistische Idee. Und sie lässt uns mit der Frage zurück, welche großartige Musik Trish Keenans und James Cargill wohl heute zusammen aufnehmen würden.
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