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Werbeveranstaltung Tour de FranceQuälende Revolution

Die Frankreichrundfahrt bei brütender Hitze am Streckenrand - eine 20 Kilometer lange Kommerzkaravane für ein paar Sekunden Sport.

Karneval der Konzerne - ein Riesenradler als Werbeträger. Bild: markus völker

CABASSE taz | Klebrige Hitze steht über dem Kreisverkehr in der Nähe der provencalischen Ortschaft Cabasse. 33 Grad im Schatten. Noch drei Stunden bis zur Tour: Man schleppt Sonnenschirme und Stühle heran. Es riecht nach Sonnencreme. In der Tankstelle ums Eck zeigen sie die Tour im Fernsehen. Ein paar wenige schauen sich die Bilder an, die anderen starren draußen am Kreisverkehr auf den Asphalt. Knapp 1.000 stehen da, als passiere gleich etwas Großes. Sie starren ins Nichts. Links eine Fabrikhalle, rechts Weinstöcke. Zäh verrinnt die Zeit.

Man unterhält sich, spielt Karten, döst im Schatten, falls man noch ein Plätzchen unter einem Baum oder Strauch ergattert hat. Das lange Warten beginnt. Ein Mann im gelben Epo-Shirt läuft vorbei. Es ist eine charmante Anspielung auf das Blutdopingmittel Epo. Der Mann hat sich aber nur mit Wasser (Eau), Pastis und Oliven, EPO eben, gedopt. Ein paar Anwohner haben Plakate angebracht. Sie wehren sich gegen den Bau einer Zugstrecke. Der LGV soll woanders langfahren. Sie erhoffen sich ein bisschen Aufmerksamkeit.

Der Kreisverkehr füllt sich mit Menschen. Immer mehr pilgern an die Strecke der zweiten Etappe, zwölf Kilometer vom Ziel in Brignoles entfernt, Eltern mit Kleinkindern, Radler, die in engen Kunststoffsachen stecken, ältere Ehepaare, der Armstrong-Fan mit der US-Flagge und Jugendliche, die auf Kamelle warten. Der Sonntagsausflug zur Tour hat Tradition. Die regionalen Zeitungen und Radiosender berichten seit Tagen vom Comeback Armstrongs, von der Vergangenheit dieser Verrücktheit auf Rädern und wenig von den Krankheiten des Radsports: Doping, Lügen, Kommerz.

Noch zwei Stunden bis zur Tour: Plärrend wird der Faschingsumzug der Sponsoren angekündigt. Ein Ruck geht durch die Zuschauer, inzwischen etwa 2.000. Sie schnappen sich einen Beutel und postieren sich direkt an der Strecke. 20 Kilometer lang soll die Parade werden, mit 180 "animierten und dekorierten Fahrzeugen", wie die Tour verspricht. 600 Leute fahren mit im mobilen Rummel, für 40 Produkte wird Werbung gemacht, bis zu einer halben Million Euro soll das jedes Unternehmen kosten. Seit 1930 fährt die Karawane über die Straßen Frankreichs. Es war eine Idee des damaligen Tourdirektors Henri Desgrange. Die Karawane wird von den heutigen Veranstaltern als "Revolution" gepriesen.

Die Revolution wird von zwei überdimensionalen Haribo-Figuren eingeläutet, ein Yeti auf Rädern gibt Rückendeckung, bis ein Wagen, munitioniert mit einem großen grünen Sixpack vorbeirollt. Die Apathie der Fans ist längst gewichen. Mit kindlichem Enthusiasmus sammeln sie Tüten, Flaschen, Leibchen und Mützchen auf. Was man anziehen kann, wird sofort angezogen. Überall sind jetzt gelbe Mützen von der Tour und rotweiße von einer Wurstfabrik zu sehen. Eine Frau winkt mit einer grünen Werbepranke.

Noch eine Stunde bis zur Tour: Die Karawane ist durch. Man begutachtet seine Beute. Wie nach einem Kaufrausch macht sich so etwas wie Niedergeschlagenheit breit. Ein paar Leute gehen schon nach Hause. Sie hatten ihren Höhepunkt. Die anderen, jetzt schätzungsweise 3.000, warten. Es passiert kaum etwas. Ein paar Motorräder zischen vorbei, Autos mit VIPs tauchen auf. Man ist genügsam. Sie wissen, dass es an der Straße eigentlich nicht viel zu sehen gibt. Die einen kommen her, weil sie einmal in ihrem Leben die Tour live sehen wollen, andere, weil sie ein Elementarteilchen im Universum der großen Tour sein wollen.

Die Elementarteilchen müssen ziemlich hitzebeständig sein. Die Sonne brennt unerbittlich. Das Warten wird zur Qual. Doch dann, als man schon glaubte, das Peloton hätte sich verirrt, taucht ein weißer Helikopter hinter dem Weinberg auf - wie eine Szene aus "Apocalypse Now" wirkt das. Endlich, der Tross. 16.57 Uhr ist er da. Jubel. Geschrei. Vier Ausreißer kurbeln vorbei. Zwanzig Sekunden dahinter das Feld. Kaum dass sie da waren, die Pedaleure, sind sie auch schon wieder weg. Die Tour-Fans vom Kreisverkehr bei Cabasse rennen zu ihren Autos. Sie haben es sehr eilig, von hier wegzukommen.

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