■ Wer schubste den Schiedsrichter? Fußballprozeß, 2. Teil: Die Loppenhausener Meineid-Spirale
Was ist am 21. Mai 1995 beim Bezirksligafußballspiel des FC Loppenhausen gegen den TSV Dietmannsried wirklich geschehen? Diese Frage versucht derzeit das Amtsgericht Kempten in einem reichlich verworrenen Verfahren zu klären (taz vom 25.4.).
An sich schien die Sache längst klar zu sein: Der Spieler Werner M. soll nach der dritten roten Karte gegen seinen Verein dem Schiri eine geschoben haben. Trotz aller gegenteiligen Beteuerungen wurde er dafür bereits rechtskräftig in einem anderen Prozeß verurteilt. Doch nach wie vor bestreitet er, den Unparteiischen angetastet zu haben, und wiederholte diese Aussage auch jüngst als Zeuge vor Gericht: in einem Meineidverfahren gegen acht Vereinsmitglieder und Fußballfans des FC Loppenhausen. Nachdem diese im damaligen Prozeß gegen Spieler M. versichert hatten, M. habe den Schiri gar nicht berührt, war gegen sie ein Verfahren wegen Meineids beziehungsweise uneidlicher Falschaussage eingeleitet worden.
Nun ist inzwischen folgendes geschehen: Der angeblich geschlagene oder/und gestoßene Schiedsrichter und sein damaliger Linienrichter verstrickten sich als Zeugen im Meineidprozeß in arge Widersprüche. Der Mann in Schwarz will nach der Verletzung mit dem Krankenwagen abtransportiert worden sein. Sein Linesman hingegen erinnerte sich an einen Abtransport mit dem Rettungshubschrauber. Der Schiri wiederum konnte keine Angaben dazu machen, von wem er geschubst und möglicherweise geschlagen wurde. Denn als er sich damals umdrehen wollte, um zu sehen, wer ihm den „Schubs“ verpaßt hat, habe er irgend etwas auf den Kopf bekommen. Von wem und was, konnte er nicht sagen. Nachdem aber, wie gesagt, der bereits rechtskräftig verurteilte Spieler M. jetzt in der Meineid-Verhandlung erneut seine Gewaltlosigkeit betonte, droht ihm nun ein weiteres Verfahren wegen „vorsätzlicher Falschaussage“.
Der Chef der Kemptener Staatsanwaltschaft, Günther Meltendorf, erklärt dazu, es bleibe der Strafverfolgungsbehörde aufgrund der Zeugenaussage von M. gar nichts anderes übrig, als ein weiteres Verfahren einzuleiten. Kurios daran: Sollte es zu diesem neuerlichen Prozeß gegen den Spieler M. kommen, müßten hier wieder die – dann möglicherweise bereits wegen Meineids verurteilten – jetzigen Angeklagten als Zeugen aussagen.
Und würden sie bei ihrer bisherigen Aussage bleiben, daß Spieler M. den Schiri nicht geschlagen hat, könnte ihnen ähnliches blühen wie dem auf Lebenszeit gesperrten Fußballer. Die Meineid-Spirale würde sich immer weiter drehen. Ganz anders im Fall eines Freispruchs für die acht Angeklagten. Dann könnte unter Umständen der eventuell zu Unrecht verurteilte Spieler M. das Verfahren wieder aufrollen.
Bis eine Entscheidung fällt, wird freilich noch geraume Zeit vergehen. Das wiederum liegt am Vorsitzenden Richter des umstrittenen Verfahrens. Er kam nach zwei Verhandlungstagen und der aufwendigen Anhörung zahlreicher Zeugen zu dem Schluß, daß die verbleibenden drei Verhandlungstage angesichts neuer Beweisanträge vermutlich nicht zur Durchführung des Verfahrens genügen. Nun hat aber der Richter schon vor längerer Zeit seinen Pfingsturlaub eingereicht, den er keinesfalls verschieben möchte – und nachdem nun mal ein Prozeß höchstens zehn Tage lang unterbrochen werden darf, hat sich der Richter mit den Rechtsanwälten der Beklagten darauf geeinigt, das ganze Verfahren kurzerhand platzen zu lassen und es im Herbst neu aufzurollen.
Ein kostspieliges Unterfangen, denn es müssen alle bislang gehörten Zeugen noch einmal aufmarschieren, die Anwälte kommen wieder, die Anklageschriften werden erneut verlesen und so weiter. Und dabei spielt es wohlgemerkt keine Rolle, daß der Stein des Anstoßes, der Herr Schiedsrichter L., gar nicht genau sagen kann, was damals im Mai 1995 passiert ist. Einmal ins Rollen gebracht, ist die Prozeßlawine nicht mehr zu stoppen.
Wir bleiben dran! Klaus Wittmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen