Wer ist Südkoreas Oppositionsführer Lee?: Unverhofft auf der Überholspur
Nach der Absetzung des Präsidenten gilt Oppositionsführer Lee Jae Myung als aussichtsreichster Nachfolgekandidat. Der Linkspopulist polarisiert stark.
Ein Rückblick: Der konservative Präsident Yoon Suk Yeol rief zu Monatsbeginn überraschend das Kriegsrecht aus, um eine innenpolitische Blockade zu durchbrechen. Doch am Samstag endete dies in seiner Amtsenthebung durch die südkoreanische Nationalversammlung. Noch ist diese allerdings temporär: Das Verfassungsgericht wird in den kommenden Wochen oder Monaten die Entscheidung bestätigen oder aufheben. Im ersten Fall müssten innerhalb von zwei Monaten Neuwahlen stattfinden.
Und der 61-jährige Lee bringt sich dafür bereits staatsmännisch in Stellung. Am Montag traf er den Präsidenten der amerikanischen Handelskammer in Seoul, um ausländische Investoren zu gewinnen. „Betrachten Sie diesen Moment der Verwirrung als Chance, in Südkorea zu investieren oder zu einem niedrigen Preis einzukaufen“, sagte Lee. Solche Aussagen machen den studierten Juristen bei seinen Anhängern beliebt: stets pointiert, volksnah und authentisch.
Doch viele Koreaner, nicht nur Konservative, verachten Lee Jae Myung. Sein Populismus polarisiert stark, und seine Skandale bieten Angriffsfläche. Anfang des Jahres wurde er Opfer eines Messerangriffs – eine Folge der zunehmenden politischen Radikalisierung.
In Armut aufgewachsen
1963 als fünftes von sieben Kindern in Andong geboren, wuchs Lee in Armut auf. Während der Industrialisierung zog die Familie in eine Trabantenstadt von Seoul, wo Lee früh in Fabriken arbeitete – oft unter Pseudonym, um das Arbeitsverbot für Kinder zu umgehen.
Sein politisches Weltbild gründet auf diesen Jahren des Verzichts: Lee will die Privilegien der Reichen beschneiden und die Armen fördern. Als Menschenrechtsaktivist setzte er seine Vision beruflich um und sorgte als Lokalpolitiker für Aufsehen, etwa mit kostenlosen Schulmensen. Innerhalb des linken Lagers machte er in den letzten 20 Jahren Karriere, vom Bürgermeister zum Provinzgouverneur und in die Nationalversammlung.
Dort filmte er in der Nacht des 3. Dezembers ein Video, das sich in das Kollektivgedächtnis Südkoreas einbrennen wird: Nachdem Präsident Yoon das Kriegsrecht ausgerufen hatte und das Militär das Parlament stürmte, filmte sich Lee, wie er über den Parlamentszaun kletterte. Er und 189 Abgeordnete zwangen Yoon schließlich, das Kriegsrecht zurückzunehmen.
Während Teile des Volkes Lee als Helden sehen, lehnen viele seinen Aktivismus ab, etwa wegen seiner Wirtschaftspolitik: In Südkorea ein universelles Grundeinkommen zu fordern, gilt als radikal. Auch in der Außenpolitik polarisiert Lee. In Bezug auf Nordkorea befürwortet er die Sonnenscheinpolitik der Annäherung. Ebenso wird seine China-Politik als naiv kritisiert. Lee strebt einen Ausgleich zwischen Washington und Peking an.
Ob Lee seine Worte in Taten umsetzt, wird sich frühestens in einem halben Jahr zeigen, wenn Neuwahlen anstehen könnten. Lee hat einen doppelten Anreiz, möglichst bald Präsident zu werden. Im November verurteilte ihn ein Gericht wegen Verstoßes gegen das Wahlgesetz zu einer Bewährungsstrafe. Ein Berufungsverfahren läuft. Verliert er vor den Neuwahlen, darf er nicht antreten.
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