: Wenn reisende Frauen vögeln
Sind auch Frauen Sextouristinnen im Stil der männlichen Thailandurlauber? Eine Studie zeigt: Die Lust der Frauen segelt unter romantischer Flagge mit fatalen Folgen für die Aidsvorsorge ■ Von Edith Kresta
Monika, Journalistin, hatte eine Liebelei in Indien: „Jung, nett, naiv“, schildert sie ihn. „Er hatte ansonsten nie etwas mit Touristinnen zu tun.“ Anita, Krankenschwester, war „verliebt“ im Senegal: „Wahnsinnig lieber Typ. Schöner Körper. Echt aufregend.“ Elisabeth, Lehrerin, läßt ihren türkischen Freund, Kellner im Hotel, gerade nachkommen: „Wir wollen heiraten.“ Frauen, die man so kennt. Urlaubsaffären, die sich gegen die Bezeichnung Prostitution verwahren. Reist eine Frau allein, so kann es sein, daß sie es nicht lange bleibt. Ob Süd- oder Nordeuropa, unter Fichten oder Palmen – Eros lauert überall. Es ist allerdings kein Geheimnis, daß vor allem in Diskotheken und Bars südlicher Urlaubshochburgen die Anmache zwischen Frau und Mann glänzend und zumindest halbprofessionell funktioniert. Ob Türkei, Kenia, Senegal, Tunesien, Jamaika oder Lateinamerika – der Südmann lockt. Er kann nicht nur wunderbar mit den Augen vögeln, er verspricht auch Wärme aus der Ferne. Aber ist das Prostitution? Gleichzusetzen mit den Bumsbombern nach Bangkok?
Die wenigen Studien zum Thema Sextourismus sind sich einig: Auch Frauen sind Sextouristinnen. Denn: „Sextouristen sind alle Reisenden, die in den Zielländern (der Dritten Welt) materiell belohnte sexuelle Kontakte mit einheimischen Partnern haben“, so eine empirische Studie zum Thema „Aids, Sex, Tourismus“ des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG). Sexuelle Kontakte, bei denen sich das südliche Objekt der Begierde aus ökonomischen Gründen prostituiert. Vom Papagallo der sechziger Jahre über den kenianischen Beach Boy zum tunesischen Strandadonis – das Reservoir der männlichen Gespielen kam und kommt in der Mehrzahl aus unteren Schichten, wie bei den weiblichen Prostituierten, beispielsweise in Thailand, auch. Allerdings funktioniert sowohl die Begegnung als auch die materielle Belohnung der männlichen Nutte anders.
Der Bereich Urlaub und Sexualität in bezug auf Frauen ist weitgehend eine Leerstelle sozial- und sexualwissenschaftlicher Forschung. Es gibt nur wenige Untersuchungen über Motive und Verhalten der Frauen, noch weniger über die der sich anbietenden Männer. Der tunesische Film „Beznes“ (vom englischen Wort Business) setzt sich kritisch mit der Prostitutionskarriere eines jungen Tunesiers auseinander. Er zeigt die Entwurzelung, die Zerrüttung des Wertekodex, die der planmäßige Kontakt mit den Touristinnen bringt. Und er zeigt auch die Faszination des westlichen Lebensstils, inklusive seiner sexuellen Freiheiten. Trotz Verstoßes gegen das kulturelle Wertgefüge bleibt die männliche Nutte zu Hause der Patriarch, der seine Schwester hinter Gardinen verbannen darf. Er gilt darüber hinaus als potent, als ganzer Mann. Männliche Prostitution ist in der patriarchalen tunesischen Gesellschaft kein soziales Stigma, wenn auch nicht gern gesehen. Undenkbar für die tunesische Frau. Und dieses Grundmuster ist sicherlich auf afrikanische, südeuropäische oder lateinamerikanische Gesellschaften übertragbar. Der Mann darf ungestraft polygam vögeln, selbst wenn er sich dafür bezahlen läßt. Der bezahlte Sex kratzt kaum am männlichen Selbstbildnis und verspricht immer noch Lustgewinn.
Und die Balz entspricht diesem männlichen, patriarchalen Selbstverständnis. Der „Südmann“ – ob Afrikaner, Latino oder Türke – umschwirrt die „Nordfrau“, gibt ihr das Gefühl „strahlender Weiblichkeit“ und sich selbst das Statussymbol sexueller Freizügigkeit, materieller Vorzüge und vielleicht die Hoffnung auf ein besseres Leben im reicheren Land. Und die Frau spielt bei diesem Spiel mit uralter Rollenverteilung mit. Die Frau freit, indem sie sich freien läßt. Sie wählt unter einem Überangebot an Männern aus. „Frauen“, so Kleiber/Soellner/Wilke in ihrer Untersuchung zu Sextourismus, „fühlen sich viel häufiger als Männer einem romantischen Liebesideal verpflichtet. Verliebtsein, Liebe und eine romantische Verklärung der sexuellen Interaktion liefern oftmals erst die Basis für ,legitime‘ sexuelle Kontakte und dienen als Rechtfertigung für die Herstellung sexueller Intimität.“
„Nöö, ich hatte mich nicht geschützt, man sah, es ist ein einfacher Junge vom Land...“, erzählt eine Frau über ihr Liebesleben an fremden Gestaden. Eine Aussage, die für viele gilt, so das Fazit einer Befragung von Frauen über ihre Urlaubsaffären in Kenia. Denn die Frauen selbst zählen ihre Affäre nicht zu der Kategorie Sextourismus. Und auch der sich anbietende Mann definiert sich seltenst als Prostituierter, selbst wenn er hauptsächlich davon lebt. Oft gibt er sich, wie im obigen Zitat, als die Unschuld vom Lande. Und die Frau zahlt diese Unschuld vom Lande kaum in barer Münze. Sie macht Geschenke, lädt ein, nimmt ihn für eine paar Tage mit auf die Reise oder finanziert ihm den Flug in den saturierten Norden. Die Bezahlung der Urlaubsliebe, auch wenn sie erwartet wird, ist nicht wie bei der weiblichen Prostituierten klar geregelt. Sie spielt sich verschämt in traditionellen Rollenmustern ab, sie kommt oft als Liebesdienst daher. Die Frau hilft, unterstützt, leidet mit.
Die sexuelle Lust der Frauen segelt unter romantischer Flagge. Es ist daher nur logisch, wenn alle in der Studie von Kleiber/Soellner/ Wilke befragten Frauen lediglich mit einem einheimischen Partner sexuelle Kontakte hatten. Dies steht in eindeutigem Gegensatz zum Verhalten männlicher Sextouristen, die innerhalb von 24 Tagen durchschnittlich fünf Partnerinnen hatten.
Die Lust der Frauen braucht Nähe, Vertrauen. Und in einer solcherart intimen Beziehung stört schon das Kondom, ist quasi ein Vertrauensbruch. „Safer Sex“, so die Studie, „wurde nur von einer einzigen befragten Frau praktiziert. Doch nicht einmal sie hat das Kondom immer verwendet. Das augenscheinlich Gesund- oder Unbedarftaussehen des Partners wurde als potentielle Schutzmöglichkeit, besser gesagt, als ,Schutzillusion‘ gesehen.“ Die Frau hält die Illusion der „Urlaubsliebe“ aufrecht. Vom professionellen Liebhaber will sie nichts wissen. Deshalb nehmen viele in der Studie befragte Frauen zwar die Prostitution der Männer wahr, ihre eigene Urlaubsliebe fällt aber nur selten in diese Kategorie. Daß dieser nach ihrem Abschied gleich die nächste anfliegt, sieht Frau nicht. „Liebe“ macht ohnehin blind. In diesem Fall mit fataler Konsequenz für den eigenen gesundheitlichen Schutz, die eigene Sicherheit. Frauen sorgen eben nicht vor, sie stellen sich im Gefühlsrausch selbst zurück.
Die Urlaubssituation beflügelt das romantische Liebesgefühl. Der Autor Uwe Wandrey hat Frauen, die in den Armen des „undurchschaubaren Südmanns“ lagen, befragt, „was Frauen in den Süden zieht“. Ein Fazit: „Der Undurchschaubare strahlt Überlegenheit aus, wie brüchig er auch in seinem Inneren beschaffen sein mag..., und die soziale Regression zum einfachen Mann führt der Frau vor, mit wie vielen Verlusten ihre privilegierte Stellung in der modernen Welt bezahlt wird.“ Hier darf sie sich fallenlassen und sinnlich entfalten. Der erotische Kick, die wilde Begierde in einer Überfülle von Natur und männlicher Ursprünglichkeit. „Da“, so weiß Wandrey, „schmelzen die frauenbewegtesten Frauen dahin.“ Denn die Urlauberinnen, die sich in Ländern des Südens oder der Dritten Welt einlassen, „haben oft studiert und kommen aus der Mittel- oder Oberschicht“, schreibt die Ethnologin Marta Aparicio. Es sind die Frauen, die allein oder zu zweit reisen. Das Herz der in den Süden reisenden Pauschaltouristin aus Böblingen läßt sich allenfalls von der Stupsnase des Hausdieners in der Urlaubsanlage anrühren. Sie reist nicht allein. Ihr Willy ist auch dabei.
Die sogenannte Sextouristin sucht in der Regel nicht den schnellen Sex, den one-night stand. Das kommt sicherlich auch vor, ist jedoch die Ausnahme. Die Frauen sind, glaubt man den Untersuchungen, unter Palmen und fern des grauen Alltags in besonders erotischer Stimmung, bereit für den schönen Macho aus Berufung und Beruf. Ein entscheidender Unterschied zum zielstrebigen Bordellbesuch der Männer, zum Kegelclubausflug nach Thailand mit wechselnden Partnerinnen. Bei den männlichen Sextouristen ist der Geschlechtsverkehr auf dem Reiseplan vorprogrammiert, bei den meisten Frauen nicht. Mag er auch als reger Wunsch eines sinnlichen Traumurlaubs mitschwingen. Nur selten wird er bei Frauen planmäßig anvisiert.
Bei den Beach Boys von Kenia, den Strandadonissen von Sousse oder den einsamen Strandläufern von Antalya schon. Sie sind Einzelunternehmen in Sachen Sex, und ihr Kapital ist der eigene Körper und Charme. Beides setzen sie spielerisch ein. Ihr Bordell ist der ganze Strand. Die Ethnologin Aparicio weiß, daß vielen dieser Strandjünglinge sämtliche Register der Verführung zur Verfügung stehen: „Sie treten auf mit viel Einfühlungsvermögen, abgestimmt auf den sozialen Status und die Persönlichkeit der Touristin.“
Doch diese schlichten Anbieter haben wenig gemein mit einer durchorganisierten, aggressiven Prostitutionsindustrie wie auf den Philippinen oder in Thailand mit all ihren kriminellen Methoden zur Sicherung der „Frischfleischzufuhr“ für die männlichen Freier. Von eindeutigen Etablissements für Frauen, im Pauschalangebot inbegriffen, hat frau weder auf Jamaika, in Kenia oder Tunesien gehört. Solche Bumsschuppen für Frauen stünden den weiblichen Freierbedürfnissen konträr entgegen: Ihre funktionale Eindeutigkeit zerstört die Lust der Vorlust und alle Liebesillusion von vornherein.
Die sogenannten weiblichen Sextouristen bewegen sich in einer Grauzone von Anmache und Anziehung, von materiellem Nutzen, sexueller Ausbeutung und manchmal vielleicht auch Liebe... Weiblichem Sextourismus fehlt die organisierte Eindeutigkeit und triebhafte Eindimensionalität männlicher Sexausflüge nach Bangkok.
Die Frau also letztendlich doch Opfer patriarchaler Selbstherrlichkeit: hereingelegt und ausgebeutet von polygamen männlichen Strandschönheiten? Mitnichten. Sie ist auch romantisch verbrämte Lusttäterin, die sich holt, was sie braucht und wie sie es braucht.
Literatur:
„Aids, Sex, Tourismus – Ergebnisse einer Befragung deutscher Urlauber und Sextouristen“, Band 33. Schriftenreihe des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG), Nomos Verlagsgesellschaft, Baden- Baden, 388 S., 54 DM.
Uwe Wandrey: „Liebesfluchten – Was Frauen in den Süden zieht“. Rasch und Röhring, 1992, 208 S.
Im Juli erscheint „Aktuell“, das Magazin der Deutschen Aids-Hilfe zum Thema: Sex, Tourismus Aids, Dieffenbachstr. 33, 10921 Berlin.
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