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Archiv-Artikel

Wenn in Ostpreußen die rote Sonne im Meer versinkt

Die „Berichte aus der Abwurfzone“ zeigen, dass der „embedded journalist“ nicht erst für den Irakkrieg erfunden wurde. Schon im Zweiten Weltkrieg waren Journalisten live dabei. Was sie schreiben, ist oft anregend, aber so genau wollten wir es gar nicht wissen

Vor zwei Jahren gab der Berliner Literaturwissenschaftler Oliver Lubrich in der „Anderen Bibliothek“ ein interessantes Buch heraus: „Reisen ins Reich 1933 bis 1945. Ausländische Autoren berichten aus Deutschland“. Man konnte den fremden Blick verfolgen, mit dem Schriftsteller wie Samuel Beckett, Christopher Isherwood oder Jean Genet auf die Hitlerei schauten. Das war manchmal mehr, manchmal weniger gelungen, in jedem Fall aber anregend. Nun hat Lubrich offenbar wieder Berichte gesichtet und dabei kam noch ein Buch heraus – speziell über die Folgen der Bombardierungen. Aber muss man das wirklich alles lesen wollen, wenn man nicht gerade Historiker ist?

Abgesehen von Lubrichs kompetenter und interessanter Einleitung sind die ersten 100 Seiten eher belanglos. Nicht jeder, der etwas über die Bombentage in Deutschland geschrieben hat, hatte eben auch wirklich etwas zu sagen. Das erklärt sich, so Lubrich, auch aus den Bedingungen, unter denen die ausländischen Autoren arbeiten mussten. Er nennt es einen „Extremfall teilnehmender Beobachtung“. Denn die Berichterstatter waren gleichzeitig mittendrin und hatten doch distanziert zu sein. Zudem hatten ihre Auftraggeber ganz eigene Interessen – von der Zensur in Deutschland ganz zu schweigen.

Nun ist den heutigen Zeitungslesern ja diese Position besonders aus den letzten Jahren des Irakkrieges beileibe nicht fremd. Verblüfft stellt man fest, dass der „embedded journalist“ gar keine Erfindung von heute ist. Schon damals hatte es die „Eingebetteten“ gegeben, die Angriffsflüge begleiteten oder mit den alliierten Truppen als Kriegsberichterstatter kamen, so wie Martha Gellhorn und Janet Flanner.

Eine köstliche Geschichte gibt es von Curzio Malaparte, der für den Corriere della Sera berichtete – man ist nie ganz sicher, ob er journalistisch oder fiktiv arbeitet. Doch das ist einem irgendwann auch egal, weil der Text einfach schön ist. Die Zeitung jedenfalls wurde davor gewarnt, seine Eindrücke von der Ostfront zu drucken, weil er zum angegebenen Zeitpunkt gar nicht vor Ort, sondern auf Capri gewesen sein soll …

In der hier abgedruckten Geschichte berichtet er von einem Treffen mit Luise von Preußen, der Großnichte des letzten deutschen Kaisers, die ihn sofort nach einer Stecknadel fragt, weil sie einen nahezu unsichtbaren Riss in ihrem Rock hat. Außerdem gesteht sie dem Schriftsteller, wie gerne sie in der Fabrik arbeiten würde, statt wie eine verachtete Hohenzollern-Paria nichts zu tun. Malaparte wiederum erzählt ihr eine Geschichte aus den Anfangstagen des Krieges in Neapel. Dort habe ein Vater vor Fliegerangriffen Geschenke im Garten versteckt, die sein Sohn finden soll, wenn alles vorbei ist, damit er sich nicht fürchtete. Diese Geschichte soll Roberto Benigni zu seinen Film „Das Leben ist schön“ inspiriert haben.

Die Texte sind nach Jahreszahlen geordnet – naturgemäß sind die extremsten von 1945. Da finden sich Ausschnitte aus Kurt Vonneguts „Slaughterhouse-Five“ und aus zwei Romanen von Louis-Ferdinand Céline, aber auch ein neu übersetztes Stück von Martha Gellhorn „Wir waren niemals Nazis“. Es zitiert im O-Ton die üblichen Lügen und Entschuldigungen, von denen nahezu alle ausländischen Autoren berichteten, wenn sie zu Kriegsende nach Deutschland kamen: Keiner ist Nazi. Keiner ist es je gewesen. Gellhorn schreibt: „Es würde besser klingen, wenn es musikalisch untermalt wäre. Die Deutschen könnten dann diesen Refrain singen. Sie alle reden so. Man fragt sich, wie die Naziregierung, für die niemand etwas übrig hatte, 5 Jahre den Krieg hat führen können.

Ja, das fragt man sich und versteht Gellhorns Verachtung, mit der sie diesen Text schrieb, der mit einem Dialog endet, den die Reporter mit Frauen eines Dorfes führten: „‚Die Bomben‘, sagten sie, ‚O Gott, die Bomben. 2.800 Bomben sind allein auf dieses Dorf gefallen‘, behaupteten sie. ‚Ihr spinnt‘, sagten wir zu ihnen, ‚wenn das stimmte, dann wäre vom Dorf nichts mehr übrig‘. ‚Ach, die Bomben‘, sagten sie – felsenfest davon überzeugt, dass ihr Dorf dem Erdboden gleichgemacht und sie allesamt tot waren.“

Kurz: Hier und dort finden sich schöne „Berichte aus der Abwurfzone“, aber insgesamt ist Lubrichs Band eher eine ordentliche Fleißarbeit für Spezialisten. Angesichts der vielen Bücher über die derzeitigen Abwurfzonen wird sich das Interesse in Grenzen halten.

RENÉE ZUCKER

Oliver Lubrich: „Berichte aus der Abwurfzone. Ausländer erleben den Bombenkrieg in Deutschland 1939 bis 1945“. Eichborn Verlag, Berlin 2007, 480 Seiten, 28 Euro