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Wenn der Sehnsuchtsort Alltag wirdDie Fischerfrauen von Conil

Ein Besuch bei Bettina Bretzigheimer und Sonja Raschert an der Costa de la Luz. Was früher ein ruhiges Fischerdorf war, ist heute Touristenhochburg.

Sonja Raschert (links) und Bettina Bretzigheimer am Strand von Conil Foto: Pedro Leal
Edith Kresta
Interview von Edith Kresta

Die Stadt liegt an der spanischen Costa de la Luz und ist ein herrlich entspannter Ort mit traumhaften Stränden für lange Spaziergänge und tolle Fotos. Ein ideales Reiseziel für allein reisende Frauen“, so steht es im aktuellen blog #soloreisen der Reisebloggerin Eva. Ein entspannter, traumhafter Fischerort war Conil auch für Sonja und Bettina Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre. Es war und ist ihr Ort.

Sonja: Ich hatte gerade einen Spanischkurs gemacht und bin mit einer Freundin 1976 nach Spanien getrampt. Ich suchte ein verträumtes Dorf am Meer. Nachdem wir das Mittelmeer entlang gefahren waren, glaubten wir nicht mehr daran, so etwas zu finden. Aber Conil war dann genau das, was ich suchte.

Ich würde jeder anderen Frau den Rat geben: Suche erst den Ort, wo du leben willst, und dann den Mann

Sonja Raschert

taz: Ein untouristisches Fischerdorf?

Ja, das Conil von heute hat fast gar nichts mehr mit dem Conil von damals, 1976, zu tun. Die Fischerboote lagen noch am Strand. Wenn wir dort badeten, ergab sich gleich ein Gespräch. Oder in den Fischerkneipen. Es gab viele Orte der Begegnung. Heute ist es für Touristen viel schwieriger, Kontakt zu Einheimischen zu bekommen.

Bettina: Ich kam 1978 das erste Mal hierher. Es hat mir unheimlich gut gefallen. Wir waren überall eingeladen, hatten schnell Freunde. Drei Jahre später, 1981, bin ich wiedergekommen. Die Leute hatten sich nach einem Unfall meiner Freundinnen so rührend um sie gekümmert, dass ich ganz weg war. Auf der Straße fragten mich Fremde, wie es ihnen gehe. Da habe ich mich in Conil verliebt.

Und nicht nur in Conil. Welche Rolle hat es gespielt, dass ihr hier eine Liebe hattet?

Sonja: Na ja, fürs Bleiben die entscheidende. Aber zuerst haben wir uns in den Ort verliebt. Der Mann kam später. Ich würde jedem den Rat geben: Suche erst den Ort, wo du leben willst, und dann den Mann!

Bettina: Ja, die Liebe kam dazu. Zurück in Deutschland hatte ich 12 Kilo wegen Liebeskummer abgenommen.

Sonja: Aber der Zugang zur Frauenwelt war zunächst eher schwierig. Für die Leute waren wir unmoralische Ausländerinnen. Und jeder kannte uns. Hier war die Moral noch in Ordnung. Streng. Und die Männer waren sehr interessiert an den Ausländerinnen. Die einzige Möglichkeit, als Frau Ruhe zu haben, war, den nettesten Begleiter zu akzeptieren. Dann haben alle anderen Ruhe gegeben.

Im Interview: Sonja Raschert und Bettina Bretzigheimer

Seit den 80er Jahren leben Sonja Raschert und Bettina Bretzigheimer in Conil an der spanischen Costa de la Luz nahe Cadiz.

Die Psychologin mit dem Fischer, die Lehrerin mit dem Tavernenwirt, die Schriftstellerin mit dem Hirten …, man traute solchen Urlaubsliebesgeschichten nicht viel Zukunft zu.

Bettina: Ja, das kam von der deutschen Seite genauso wie von hier. Mir hat jemand ins Gesicht gesagt, dass ich keine Zukunft hätte mit Moreno, dass es nicht gut gehen kann. Da waren wir schon jahrelang zusammen. Wahrscheinlich haben meine Eltern genauso gedacht. Und heute sind wir 40 Jahre zusammen und haben zwei Kinder…

Sonja: Mir hat Antonio gutgetan, den ich 1980 kennengelernt habe und mit dem ich zwei Kinder habe. Seine schönste Liebeserklärung war: Sonja, ich verstehe dich nicht, aber ich mag dich so, wie du bist. Das war, glaube ich, das Ausschlaggebende.

Bettina Bretzigheimer um 1980 in Conil Foto: Sonja Raschert

Und wie entscheidet man sich für einen Ort, der beruflich sehr begrenzte Perspektiven liefert?

Bettina: Bei mir war es ein bisschen naiv. Ich wollte ein kleines Häuschen, das ich dann im Sommer vermiete, während ich in dieser Zeit in Berlin jobbe. Das hat sich geändert, als meine Beziehung zu Moreno anfing. Mit meinem ausgezahlten Erbanteil konnte ich dann hier eine Wohnung kaufen und in die Wohungsvermietung einsteigen. Andere Jobs wie Übersetzungen haben sich dann ergeben.

Seid ihr ökonomisch von euren Männern abhängig?

Sonja: Ich habe mich schon hauptsächlich auf Antonio verlassen. Ich habe zwar auch ein bisschen Vermietung, aber das war ein Zusatzverdienst.

Bettina: Bei mir wäre das nicht gegangen. Allein mit dem Fischfang wären wir nicht über die Runden gekommen. Es kam zu wenig rein.

Sonja: Und wir sind geübt in Genügsamkeit. Wenn man mit wenig auskommen kann, braucht man auch nicht viel. Doch durch das Heiraten hat sich damals alles verändert. Da sind dann die Frauen auf mich zugekommen und haben gesagt: Jetzt bist du verheiratet, jetzt bist du wie wir.

Was heißt das?

Sonja: Als Fremde hatten wir Narrenfreiheit und konnten anders sein. Nun begann eine furchtbare Zeit. Ich fühlte mich total kontrolliert, vor allem nach der Geburt meines ersten Kindes. Alle Frauen haben versucht mich zu erziehen, mich hinzukriegen. Alle, auch die Nachbarinnen, haben versucht einzugreifen. Damals hat mich nur mein Dickkopf gerettet und dass Antonio zu mir gestanden hat. Die Familie war immer und überall präsent. Ich hätte sie alle auf den Mond schießen können.

Bettina: Bei mir ist das anders. Wir haben zwar bis heute nicht geheiratet, aber ich wurde von Anfang an akzeptiert und habe ein sehr gutes Verhältnis zu Morenos Familie. Andalusien hat sich zwar verändert, der Erziehungsstil aber nicht unbedingt. Wir waren drei deutsche Frauen, die Kinder hatten und andere Erziehungsvorstellungen. Wir haben uns immer am Strand getroffen. Es war gut, dass wir uns austauschen konnten.

Hat die Fischerwelt von Conil für euch ihre Unschuld verloren?

Sonja: Klar, und ich habe meine Naivität verloren. Früher habe ich vieles verklärt. Wir sind auch in die Fischereipolitik eingestiegen, als wir merkten, was alles falsch läuft.

Zum Beispiel?

Sonja: Die Fischer, die seit Jahrzehnten ihr Handwerk ausübten, sollten plötzlich Kurse machen, um zu beweisen, dass sie Fischer sein dürfen. Unsere Männer mussten also neben der Arbeit – 12 Stunden auf dem Meer – die Schulbank drücken, um einen Kapitänsschein zu machen. Sie sind aber als Kinder kaum in die Schule gegangen. Nach 30 Jahren Arbeit als Kapitän brauchten sie plötzlich einen theoretischen Abschluss. Wir haben dann erreicht, dass sie die Prüfung mündlich machen konnten – sie konnten ja nicht schreiben. Jedenfalls haben sie dann ihren Kapitänsführerschein bekommen. Wir waren erfolgreich und haben dann einen Fischerfrauenverein gegründet. Wir haben viel Unstimmigkeiten in der Vereinigung der Fischer aufgedeckt und Transparenz und Mitbestimmung gefordert.

1980: Sonja Raschert unterwegs in Spanien Foto: privat

Ihr wart die Managerinnen eurer Männer?

Bettina: Ja, so kann man es sagen. Unsere Männer haben durchgeblickt, aber sie wussten sich nicht zu wehren. Die rasten dann zu Hause oder in der Kneipe aus, aber die können nicht vor die Verantwortlichen treten und sagen: Also pass mal auf, so geht es nicht. Klar und ruhig. Wir sind das Sprachrohr unserer Männer. Wir können schreiben und besser reden.

Sonja: Ich nenne sie immer Knallfrösche. Sie explodieren, und wenn sie explodiert sind, geht es ihnen wieder gut. Aber es ändert sich nichts. Wir dagegen arbeiten mit freundlicher Penetranz.

Wie hat sich Conil verändert?

Sonja: Mir graut vor den Immobilienhaien und Agenturen, die hierhergekommen sind. Sie haben Conil in seiner Struktur verändert. Das Gleichgewicht ist weg: Früher hat man sich gefreut, wenn im Sommer viel los war, der Winter war die Zeit für die Beziehungen im Ort. Jetzt ist der Tourismus im Sommer ausufernd, und im Winter findet nichts mehr statt. Wenn ich heute nach Conil käme, wüsste ich nicht, ob ich mich für den Ort entscheiden würde.

Blick auf Conil Foto: Pedro Leal

Solche Geschichten wie eure sind selten geworden?

Sonja:Wahrscheinlich. Spanien hat sich total verändert. Conil wurde vom Dorf zur Stadt. Die Sexualmoral hat sich liberalisiert. Und Drogen sind hier an der Küste verbreitet.

Bettina: Aber hier lebt man immer noch ein bisschen mehr in den Tag hinein. In Deutschland sind die Leute sehr verplant. Ich habe das Gefühl, die Leute müssen immer aktiv sein. Oder allein die Frage: Was arbeitet du? Spanier haben mich nie gefragt, was ich arbeite. Bei Deutschen ist es fast immer die erste Frage.

Sonja: Wenn Bettina nicht hier wäre, würde ich mich schon allein fühlen, auch wenn wir uns manchmal wochenlang nicht sehen. Deutsche Freundschaften sind anders als spanische. Familie ist hier immer noch im Vordergrund. Unsere Beziehung ist ein Stabilisator. Und all die Fischereikämpfe hätten wir nicht allein ausgestanden.

Bettina: So geht’s mir auch!

Und Deutschland? Habt ihr jemals daran gedacht, zurückzugehen. Wäre es eine Altersperspektive für euch?

Sonja: Also, einmal im Jahr fahre ich sehr gern hin.

Bettina: Nein, ich kann mir nicht vorstellen, nochmals zurückzukehren.

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