: Wenn der Doktor mit der Ratte...
■ Dritte Internationale Berliner Konferenz für Sexualwissenschaft / Vereinigt ran an die Vereinigung
Von Christof Zink
Die erste internationale „Tagung für Sexualreform“ hat 1921 der große Magnus Hirschfeld nach Berlin gebracht. 1926 gab es eine zweite, aber dann dauerte es 64 Jahre bis zur „Dritten Internationalen Berliner Konferenz für Sexualwissenschaft“. Dieses Mal ist sie zeitgemäß eine zwei -deutsche: Die „Gesellschaft für Endokrinologie und Stoffwechselkrankheiten“, eine „Magnus-Hirschfeld -Gesellschaft“ (beide Ost) und die „Deutsche Gesellschaft für sozialwissenschaftliche Sexualforschung“ (West) luden vergangene Woche SexualforscherInnen aus Europa, Nordamerika und Australien nach Berlin.
Wenn sich schon bei der deutsch-deutschen Vereinigung Lust und Schmerz kaum noch trennen lassen, ist das neue Miteinander der Vereinigungsforscher eine besonders brisante Zweierkiste: Der Vorsitzende der Einladenden (Ost), Professor G. Dörner von der Charite, vertrat in den vergangenen Jahren eine stramm auf die rechtgläubige Sexualität, auf Hormone und andere Normen ausgerichtete Sicht, während Professor E. J. Haeberle vom Aids-Zentrum des Bundesgesundheitsamts als Vorsitzender der Einladenden (West) sich dem schönen Thema schon immer eher soziologisch und psychologisch widmet.
Kein Wunder, daß es zunächst beim Petting bleibt: Getagt wird teils in Berlin (Ost), teils (West), die Themen bleiben säuberlich sortiert - von Aids einmal abgesehen, da treffen sich die Welten dann doch. Vor- und Nachspiel bilden eine historische Ausstellung im Reichstag, ein Senatsempfang, Sanssoucis und die Verleihung von Magnus-Hirschfeld -Medaillen an verdiente Sexologen. Im ersten Teil der Tagung (Ost) ging es wieder einmal um die alte Frage, warum denn manchmal Frauen lieber Frauen und Männer lieber Männer lieben als andersrum. Professor Dörner und einige seiner herbeigebrachten Hormonkollegen lieferten zwar reichlich Material für ihre These, die Hormone und das Hirn dieser Menschen seien daran schuld. Sie behaupten zwar neuerdings wende sich, wer kann - das sei nicht weiter schlimm, sondern gerade diesen Erkenntnissen sei es zu danken, daß es in der DDR heute keinen § 175 mehr gebe.
Dem widersprach der Herausgeber des 'Journal of Homosexuality‘, Professor John De Cecco aus San Francisco, ganz entschieden: „Die Suche nach den Gründen für Homosexualität ist nicht nur müßig, sondern insgesamt Ausdruck der Angst vor Homosexualität.“ Sein nordamerikanischer Kollege John Money fügte am Beispiel der schwarzen Minderheit der USA hinzu, daß es gegen Diskriminierung und Vorurteile noch nie geholfen hat, wenn der Mehrheit die „Gründe“ für das Anderssein der Minderheit „wissenschaftlich“ erklärt werden.
So kam auch dieses Mal bei der Suche nach den Wurzeln des Unerhörten außer Gewäsch und Zeitverschwendung nichts ans Licht.
Aufschlußreicher waren da schon Einblicke in die gesellschaftliche Realität - auch in die der Sexualforscher: Da berichtete ein Doktor aus Jena über die - offenbar erste
-Studie zur - offenbar ziemlich traurigen - Lage lesbischer Frauen in der DDR. Ein Doktor aus USA schildert die aussichtslos verworrene und verlogene Rechtslage in einzelnen Bundesstaaten, die sogar Eheleuten vorschreibt, was sie zusammen tun. Ein Mensch aus England schließlich erzählt seelenruhig von seinen irrsinnigen Gehirnstudien mit Elektrosonden an Todeskandidaten in den Knästen Singapurs. Und inmitten dieses Gruselkabinetts dann noch die Firma Schering, die die Tagung (Ost, nicht West) sponsert und eine Pille preist, nach der sich bei „exzessiver Masturbation“ oder „Fetischismus“ in 80 Prozent der Fälle nichts mehr regt.
Aber dann die Ratten! Sexualforscher haben offenbar seit jeher eine gewisse Neigung zum Tierversuch: 1926 ging es noch um die Drüsenprobleme junger Rinder, um die Geschlechtsumwandlung bei Ringeltauben, um Frösche und Hunde. Heute lieben die ForscherInnen dagegen monoman die weißen Einheitsnager, von deren hormonellen Absonderlichkeiten vor allem die Forscher-Ost viel zu halten scheinen.
In bezug auf Ratten war der Besuch der Tagung dann auch wirklich nützlich: Wer weiß schon aus eigener Erfahrung, wie lange man eine schwangere Ratte - der Stasi läßt grüßen - an den vier Pfoten festbinden und in die Schreibtischlampe starren lassen muß, damit vor lauter Streß der ungeborene Rattensohn später Männlein und Weiblein durcheinanderbringt?
Leider fiel der versprochene Bericht über „Mäuse in sexueller Erregung“ mangels Redner flach. Auch sonst blieb manche interessante Frage außen vor, zum Beispiel diese: Wie mag das Liebesleben eines Mannes aussehen, der rammelnde Ratten bei gängiger Partnerwahl als „heterosexuell“ erlebt? Vielleicht brachte der zweite Teil der Tagung eine Antwort: Da ging es unter der Regie der Sexforscher-West um „Bisexualitäten“.
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