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Archiv-Artikel

Wenn der Akku leer ist

So bequem der Bürostuhl auch sein mag: Die Arbeit macht krank. „Gratifikationskrise“ und „Burnout“ belasten immer mehr Deutsche

VON MARIA SELCHOW

Emotionale Erschöpfung, Depressionen, körperliche Beschwerden, soziale Isolation – das sind nur einige der Symptome von Burnout. Bei dieser psychischen Belastung lassen Druck ausübende Umstände und die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes die Arbeit zum alleinigen Lebensinhalt werden. Eigene Bedürfnisse treten dabei völlig in den Hintergrund. Der Konflikt wird so lange verdrängt, bis die Überarbeitung in einem Gefühl des völligen „Ausgebrannt-Seins“ gipfelt – schlimmstenfalls mit der Endstation Arbeitsunfähigkeit.

Die neue Volkskrankheit

Arbeit ist für viele zum Synonym für Quälerei, Ausbeutung und Dauerbelastung geworden. „Stress, immer nur Stress!“, hallt es durch die Büroflure. Während früher vor allem umgebungsbedingte Belastungen (Raumklima, Beleuchtung, Lärm) beim Thema „Gesundheit am Arbeitsplatz“ die zentrale Rolle spielten, sind mittlerweile psychische Erkrankungen in den Fokus gerückt – im Wesentlichen das als neue Volkskrankheit bezeichnete Phänomen Burnout.

Doch warum macht uns Arbeit krank? Betrug die Arbeitszeit um 1900 noch 10 Stunden pro Tag (und das sechs Tage hintereinander), liegt die durchschnittliche Arbeitszeit mittlerweile bei 40 Stunden pro Woche. Müssten wir nicht auf Grund der zusätzlichen Freizeit viel ausgeglichener sein? „Dass die Arbeit abnimmt, stimmt nur bedingt. Sie verdichtet sich zunehmend“, sagt Ernst Hoff, Professor für Arbeits-, Berufs- und Organisationspsychologie an der Freien Universität Berlin. Fabrikarbeiter vor hundert Jahren mussten die immer gleichen, simplen Handbewegungen machen. Heute hat der perfekte Mitarbeiter flexibel, mobil, multitaskfähig und jederzeit einsetzbar zu sein.

Fluch der Autonomie

Während einst exakt vorgegeben war, wer wann wo und wie zu arbeiten hat, hat der Einzelne in der heutigen Gesellschaft viel mehr Autonomie. „Diese Autonomie hat jedoch zur Folge, dass die Fremdkontrolle umgewandelt wird in Selbstdisziplinierung, Selbstbelastung bis hin zur Selbstausbeutung“, so Professor Hoff. Mit der Subjektivierung der Arbeit geht die Entgrenzung von Berufs- und Privatleben einher. Die sogenannte Work-Life-Balance, einer der Forschungsbereiche Hoffs, gerät aus dem Lot.

Aus den aktuellen Gesundheitsreporten der Krankenkassen geht hervor, dass durchschnittlich jeder zehnte krankheitsbedingte Ausfall psychische Ursachen hat. Laut dem Bericht der Techniker Krankenkasse zeigt sich bei Diagnosen von psychischen Störungen eine auffallend lange Arbeitsunfähigkeitsdauer: 2008 lagen die Krankschreibungen bei Männern durchschnittlich bei 39, bei Frauen bei 36 Tagen am Stück. Auswirkungen haben die psychischen Erkrankungen nicht nur auf die Gesundheit der Beschäftigten. Auch in der mangelhaften Produktivitätsbilanz in Unternehmen wird die Misere spürbar: Kaum Innovationen, schlechte Arbeitsmoral, hohe Fehlzeiten und Personalfluktuation sind nur einige Folgen.

Die Gratifikationskrise

Ein weiterer Grund für das sich allgemein verschlechternde Verhältnis zur Arbeit ist laut Hoff die „Gratifikationskrise“, ein Modell aus der Belastungsforschung. In immer mehr Berufen fehlen nötige Gratifikationen, also Belohnungen in Form von angemessener Bezahlung und gesicherter Zukunft. Gerade junge Menschen, die voller Tatendrang und engagiert ins Berufsleben einsteigen, sind schnell ausgepowert und demotiviert. Ernüchtert stellen sie fest, dass ihr Bemühen kaum Anerkennung findet. Oft mangelt es aber auch schlicht an Durchhaltevermögen und Geduld, was die Entlohnung betrifft. Dass der Atem nur für „Kurzstreckenläufe“ reicht, ist auf die inzwischen etablierte Projektarbeit als gängiger Arbeitsablauf zurückzuführen. Anerkennung, besonders finanziell, ist zunehmend ergebnisorientiert. Wenn das Ergebnis nicht stimmt, dann ist sowohl der Einzelne als auch das Team unmittelbar bedroht.

Der Druck ist immens – auch in Bezug auf den Widerspruch zwischen Kooperation und Teamfähigkeit auf der einen Seite und Wettbewerbsorientierung und Durchsetzungsfähigkeit auf der anderen Seite. „Selbst innerhalb der Unternehmen werden marktähnliche Strukturen geschaffen, die den Wettbewerb an einzelne Abteilungen weitergeben und sie so vergleichbar machen“, ergänzt Ernst Hoff. Der nette Kollege vom Nachbarbüro wird so zum direkten Konkurrenten. Der Arbeitnehmer ist sein eigenes Produkt, das er in Form seiner Arbeitskraft immer wieder vermarkten muss.

Das heutige Arbeitssystem ist erbarmungslos unvereinbar mit privaten Zielen. Besonders die Familienplanung rückt vor den gegenwärtigen Beschäftigungsverhältnissen in den Hintergrund. Das Bedingungslose Grundeinkommen wäre ein Modell, das den starken Einfluss der Arbeit auf die alltäglichen Lebensbereiche mindern könnte. Wer nicht ständig um den Job bangen und sich dem psychischen Druck beugen muss, kann sich auch anderen Aspekten des Lebens widmen.

Professor Hoff hat sich im Rahmen seiner Forschung noch nicht ausführlich mit diesem Modell beschäftigt. Allerdings glaubt er, dass es als Existenzsicherung besonders für diejenigen gut wäre, die sowieso Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt haben. „Bei anderen Gruppen“, entgegnet er, „kann es möglicherweise zu einem Widerstreit führen. Das Wettbewerbsprinzip ist fest in den Köpfen verankert.“ Innere Konflikte und Gerechtigkeitsdiskussionen wären die Folge. Wer arbeiten will, kann dies auch weiterhin tun. Auf der Basis eines Bedingungslosen Grundeinkommens könnten aber rein leistungsfixierte Fragen – Wann ist die Deadline des Projektes? Wie viele Überstunden habe ich eigentlich schon? – weniger wichtig werden.