■ Wenn am Chiemsee die rote Sonne im Mond versinkt: Kein Weltuntergang, nirgends
11. August 1999: Totale Sonnenfinsternis (Sofi) = Weltuntergang. Eine fantasielose, ja, man muss es so hart sagen, eine sehr irdische Gleichung! Das Zusammenfallen von zwei erfreulichen Ereignissen an einem Tag, dazu noch pünktlich zum Millenniumssprung, erscheint absolut unwahrscheinlich. Warum soll die Menschheit ausgerechnet im Finstern abtreten? Wir könnten nicht einmal unser dummes Gesicht sehen, wenn die außerirdischen Hooligans kichernd den Planeten zerhacken oder ein verkaterter Gott uns mit großkalibrigen Asteroiden zermalmt. Zugegeben, solch ein Weltuntergang mit Ansage und eingebautem Irisschutz gibt ein schickes Szenario her. Der Sofi-Tourist sitzt bebrillt am Chiemsee, gabelt ereignisgemäß ein pechschwarzes Meeresfrüchterisotto mit safrangelbem Würzrand, hebt sein Champagnerglas, und – wrommm – fliegt ihm punkt halb eins der Erdball um die Ohren.
Aber welch grandiose Überbewertung der eigenen Existenz! Es gibt 100 Milliarden Sterne allein in unserer Milchstraße. Warum soll ausgerechnet unsere popelige Erde mitsamt Dunkeldeutschland in einer Himmels-Lightshow mit züngelnden Sonnenkoronaren in die Weiten des Universums verglühen? Wäre das nicht zu viel des Aufhebens für sechs Milliarden debiler Erdlinge, die es bis heute nicht schaffen, auch nur eine Woche zusammenzuleben, ohne sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen?
Auch die schiere Mathematik spricht gegen den kosmischen GAU. Denn eines ist festes, empirisch belegtes Naturgesetz: Die Häufigkeit der Schreckensvisionen von Zeugen Jehovas, Schwitzhüttenschamanen und anderen Gerstenkornkaffeesatzlesern verhält sich umgekehrt proportional zur Eintrittswahrscheinlichkeit. Will sagen: Wenn alle Seher sehen, dass Herr Nostradamus zürnend heruntersteigt, dann nimmt der garantiert seinen freien Tag und geht in der Nachbarmilchstraße joggen.
Also: Kein Weltuntergang, nirgends. Das Weltenende wäre viel zu einfach. Stattdessen klingelt am 12. August morgens um sechs wieder der Wecker. Und es geht alles so weiter: rote Ampeln, Stechuhr, Mahnbescheide des Finanzamts und abends rhabarbernde Talkshows und Ravioli aus der Dose. Wenn schon eine Strafe Gottes, dann diese.
Außerdem würden wir wegen des heutigen ja den nächsten Weltuntergang verpassen. Am 31. 12. um 24 Uhr ist es wieder soweit. Dann bringt die Doppelnull des Jahres 2000 den Computercrash inklusive Apokalypse. Bis dahin: Geduld! Manfred Kriener
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