Wenn am CDU-Stand die Emotionen hochgehen

■ Von linken Demonstranten und Rentnern, die sich an die Krawatten gingen – in Frankfurt am Main begann die hessische CDU mit der Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft

Frankfurt/Main (taz) – Die CDU-Landtagsabgeordnete Heide Degen steht an vorderster Front. Vor dem weißen Container ihrer Partei auf der Frankfurter Zeil, der Haupteinkaufsstraße im Zentrum der Stadt, drängen sich am Samstag vormittag Menschentrauben. Ihr junger Kollege Thilo Stratemann vom Stadtteilverband Fechenheim spürt Aufbruchstimmung an der Basis. Viel Feind, viel Ehr. Am Morgen hat eine kleine Gruppe linker Demonstranten die Unterschriftensammler gegen die doppelte Staatsbürgerschaft als „Rassisten“ beschimpft und versucht, den Stand umzuwerfen.

„Das ist ihnen aber nicht gelungen“, sagt Degen. Statt dessen hätten sie Unterschriftenlisten zerrissen, „aber nur zwei oder drei“. Stratemann registriert gegen elf Uhr 700 Unterschriften und einen Engpaß bei den Kugelschreibern. Ein paar haben die Demonstranten mitgehen lassen, die meisten aber verschwinden in den Taschen der Unterzeichner. Manche wollen ihren Paß zeigen wie bei einer Volksabstimmung, andere haben schon mehrfach unterzeichnet und wollen auch nächstes Wochenende wieder ihre Unterschrift ableisten. Das, versichert Stratemann, sei nun wirklich nicht nötig.

Die Stimmung ist aufgeheizt, die Gemütlichkeit auf Deutschlands größter Einkaufsmeile dahin. Die von den Christdemokraten geforderte Diskussion entlädt sich in Haßtiraden. Rentner brüllen sich an und gehen sich an die Krawatten, die Polizei trennt Kampfhähne. Am zweiten Stand am Liebfrauenberg geht ein Anhänger der CDU auf einen Fotografen los. Mittendrin stehen tapfer und unerschütterlich CDU- Frauen und halten Listen und die Parteilinie hoch: „Integration kommt bei uns zuerst. Aber Sie müssen sich für einen Paß entscheiden.“

Buz Metin stammt aus der Türkei und hat einen deutschen Paß. Und Beharrungsvermögen. Er ist auf die Zeil gekommen, um Ernst zu machen mit dem Diskurs und weicht stundenlang weder vor Beschimpfungen noch vor den seltsamsten Argumenten zurück. Zum Beispiel dem, daß die doppelte Staatsbürgerschaft dazu berechtige, „zwei oder drei Frauen zu haben“, daß hier „ein Kalif Bundeskanzler“ werden könnte. Diffuse Ängste brechen sich Bahn. „Die Deutschen“, sagt einer, „brauchen ihr Heimatgefühl mehr als andere. Ohne Zaun drehen sie durch.“ Durch die Passagen pfeift ein heftiger Wind. „Wer Wind sät, wird Sturm ernten“, sagt bibelfest der grüne Stadtverordnete und Hochschullehrer Michael Brumlik. „Brunnenvergiftung“ nennt seine Parteikollegin, die Schuldezernentin Jutta Ebeling, die Aktion.

Die rechtsextremen „Republikaner“ haben ihren Stand 300 Meter weiter aufgebaut. Landesgeschäftsführerin Verena Zastrau gibt sich moderat. Ein Aufkleber sorgt für Klartext: „Wenn wir kommen, fliegen andere nach Hause.“ Zastrau und ihre Getreuen stehen auf der zugigen Platte hinter der Hauptwache zwar noch heftiger im Wind als die CDU, der Ansturm aber bleibt aus. 50 Unterschriften haben sie vorzuweisen. Ein Unterzeichner schimpft auf den CDU- Parteichef Wolfgang Schäuble. Er will keinen Rollstuhlfahrer als Kanzler, so, als hätte es gar keine Bundestagswahl gegeben. Ein deutsch-spanisches Ehepaar unterschreibt hier und bei der CDU: „Jeder soll das bleiben können, was er ist. Wir sind für den Euro- Paß.“ Und gegen „die Asiaten, von denen Europa überrollt wird“. Am Nachmittag zählt Stratemann auf der Zeil über 3.000 Unterschriften zusammen.

In ganz Hessen sind es 35.000 geworden. In Wiesbaden ist gar Blut geflossen, als Spitzenkandidat Roland Koch seine Unterschrift zelebrierte. Ein Fotograf verletzte sich bei der Rangelei um den besten Blickwinkel. Heide Platen