: Wenn Wedemeier Klartext redet
■ Das Rathaus hat die SPD-Partei-Strategie für den Wahlkampf festgelegt
Wenn die SPD interne Papiere über ihre Wahlchancen verfaßt, dann ist von dem nach außen getragenen Optimismus plötzlich nichts mehr zu merken: „Das Ergebnis der Bundestagswahl im Land Bremen ist schlicht und einfach dramatisch schlecht, das schlechteste seit 1953. Wir hatten in den Hochburgen katastrophale Verluste, die zum Teil überspielt worden sind durch Gewinne von den Grünen und in den bürgerlichen Wohnvierteln.“ So heißt es in einem elfseitigen Papier über dem die Namen Ilse Janz, Claus Dittbrenner und Klaus Wedemeier stehen.
Ein Alarmsignal sei, daß „Wählerinnen und Wähler von der SPD nicht nur zu den Nichtwählern, sondern auch direkt zu CDU und FDP abgewandert sind.“ Die Verluste der SPD, die mit vier Prozent doppelt so hoch lagen wie im Schnitt der alten Länder, sind nach Ansicht der Autoren zu einem Gutteil hausgemacht: „Es muß für die Landesorganisation Bremen festgestellt werden, daß die Organisation (Basis) nicht ausreichend mobilisiert war. Das Problem der Partei scheint es zu sein, daß nur noch wenige Funktionäre und Mandatsträger wirklich 'draußen' sind. Das klassische Wählerklientel wird nicht mehr angesprochen.“
Inzwischen wollen zwei der Mitautoren von dem Papier, das das Datum März 1991 trägt, nicht mehr allzuviel wissen: „Das steht nicht mehr zur Debatte“, meinte gestern die SPD-Vorsitzende Ilse Janz und Fraktionschef Dittbrenner bezeichnete die Überlegungen als „Einstiegspapier, dem man keine allzugroße Bedeutung beimessen muß.“ Doch trotz der Distanzierung war die Analyse für die Wahlkampfkommission der SPD der Ausgangspunkt für die Erarbeitung einer Wahlkampfstrategie, die im März von der zuständigen Kommission festgezurrt wurde.
Und die Strategie lautet: Halten und Ausbau von bürgerlichen Wähleranteilen und vor allem: Ran an die Traditionswähler, die der SPD in der Bundestagswahl gleich scharenweise den Rücken kehrten oder zu Hause blieben. Neben den üblichen Werbemethoden wie Hausbesuchen und Ständen und den Sonntagszeitungen soll vor allem einer die Mehrheit der SPD sichern: Bürgermeister Klaus Wedemeier. Während die SPD wegen ihres inneren Zustandes kritisiert wird und die SPD-Fraktion überhaupt nicht vorkommt, wird die Rolle des „Spitzenkandidaten“ mehrmals betont. „Wir werden den Bürgermeister als Spitzenkandidat herausstellen müssen. Er muß thematisch zur Identifikationsfigur werden“, heißt es. So soll Wedemeier auch die Themenpalette der SPD „schrittweise erarbeiten und der Öffentlichkeit vorstellen.“
Und auch die Themenbereiche, die den Wahlkampf prägen sollen, sind deutlich auf Wedemeier zugeschnitten. Neben den „Erfolgen, die eng mit dem Namen des Bürgermeisters verknüpft sind“ (Ringen um mehr Geld aus dem Finanzausgleich und der „vorläufige Erfolg“ beim Kampf um Bremens Selbständigkeit), wird auch die Rolle des Arbeitssenators Wedemeier hervorgehoben. „Unsere ABM-Politik ist die erfolgreichste aller Länder“, heißt es. Umweltschutzthemen tauchen dagegen lediglich als Themen auf, die nur Randgruppen interessieren, von uns aber angesprochen werden müssen.“
Die Konzentration auf den Bürgermeister und seine Prioritäten ist nicht zufällig. Das „Ich“ an zwei Stellen des Papiers verweist auf den tatsächlichen Autor des Textes, Klaus Wedemeier. „Wohl richtig“ sei es, daß das Papier aus dem Rathaus gekommen ist, gibt beispielsweise Klaus Dittbrenner zu. Und im Rathaus werden inzwischen nicht nur die entscheidenden Papiere geschrieben, dort wird die Lage tatsächlich auch so beurteilt, daß nur noch ein Wedemeier in exponierter Rolle die SPD retten kann. Daß dies möglicherweise nicht dem Herzen der Partei entspricht, ist den Strategen klar. Aber genauso überzeugt scheint man, daß dies auf dem Hintergrund des „erschütternden Ereignisses Bundestagswahl“ und angesichts der drohenden nächsten Wahlschlappe „zähneknirschend“ akzeptiert werden wird. hbk
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