Wenn Politik menschelt: "Lieber Roland Kotz..."
Antipathien sollen schuld sein am Scheitern von Rot-Rot-Grün im Saarland. Aber haben Ab- und Zuneigungen wirklich so viel Einfluss auf politische Entscheidungen?
Dieser Oskar Lafontaine kriegt aber auch alles hin. Denn nach verbreiteter Meinung ist der Parteichef der Linken für so ziemlich alles verantwortlich: Für das Zerbrechen des liebgewonnenen Vierparteiensystems. Für eine Sozialdemokratisierung der konkurrierenden Parteien. Nun soll der 66-Jährige auch noch schuld daran sein, dass die Saar-Grünen sich dafür entscheiden, mit CDU und FDP zu koalieren.
Lafontaines Ankündigung, er wolle den Posten des Fraktionschefs im Bundestag aufgeben, um als Fraktionsvorsitzender in Saarbrücken zu wirken, habe die Grünen gen Jamaika fliehen lassen. Ganz so ist es dann doch nicht.
Nun steht Oskar Lafontaine nicht gerade im Verdacht, der sympathischste Spitzenpolitiker dieses Landes zu sein. Und zweifelsohne ist die Antipathie vieler Grünen im Saarland echt, die sich noch sehr gut an die Schmähungen durch den Linke-Chef erinnern. Dieser hatte im Landtagswahlkampf behauptet, die Grünen hätten sich ohnehin bereits auf eine Koalition mit CDU und FDP festgelegt.
Stimmt die die Argumentation von Saar-Grünen-Chef Hubert Ulrich, dann hat Lafontaines Unterstellung, die Grünen wollten eine Jamaika-Koalition, zur Entscheidung für diese geführt. An diesem irritierenden Umstand lässt sich gut erkennen, dass es mit Ab- und Zuneigungen nicht getan ist, wenn man das Zustandekommen politischer Entscheidungen erklären will. Persönliche Sympathien mögen dabei eine Rolle spielen. Doch Politiker sind auch nur Menschen: Sie sind ab und an fähig zum abwägend gefassten Entschluss. Dabei spielen Opportunität und Machtwille eine große Rolle.
Ein glänzendes Beispiel dafür lieferte die erste große Koalition bei ihrem Zusammentritt 1966. Da stand das ehemalige NSDAP-Mitglied und der Mitarbeiter im Reichsaußenministerium Kurt Georg Kiesinger neben dem ehemaligen Kommunisten, Exilanten und Widerstandskämpfer Herbert Frahm, seit seiner Jugend Willy Brandt genannt. Hinter Bundeskanzler und Vizekanzler standen Finanzminister Franz Josef Strauß und Regierungssprecher Conrad Ahlers. Strauß hatte Ahlers, damals Spiegel-Autor, wenige Jahre zuvor durch die Behauptung kurzzeitig ins Gefängnis gebracht, er habe Landesverrat begangen. Nun lächelten sie in die Kameras und sollten drei Jahre lang regieren.
Natürlich mochten sich die Herren damals nicht. Aber die Aussicht aufs Regieren, vielleicht sogar der Wunsch auf gesellschaftlichen Wandel, ließ persönliche Abneigungen in den Hintergrund rücken. Heutige Politiker verhalten sich nicht sonderlich anders. Eher sind die Gräben kleiner geworden.
Was geblieben ist, ist die willkommene Möglichkeit, Personen statt Inhalte zu präsentieren. Der Umstand, dass Lafontaine dem Dalai Lama charakterlich nicht unbedingt ähnelt, hilft bei der Begründung politischer Entscheidungen: Der ist böse, mit dem wollen wir nicht. Das fällt einfacher als die Erklärung, hinter einer Koalitionsentscheidung steckten landespolitische Inhalte oder bundespolitische Taktik.
Ähnlich verhält es sich beim Nordderby zwischen Ralf Stegner und Peter Harry Carstensen. Der schleswig-holsteinische SPD-Chef und der CDU-Ministerpräsident können sich nicht ausstehen. Und doch steckt hinter diesem Streit mehr als wechselseitige Abneigung zwischen einem arrogant und intellektuell wirkenden SPD-Mann und einem gefühligen Bauernsohn.
Beide Männer waren professionell genug, mal schlecht, mal recht gemeinsam mehrere Jahre lang zu regieren. Beide Seiten hätten ihren beträchtlichen Ärger auf die Unausstehlichkeit ihres Gegenübers wohl auch noch eine Weile heruntergeschluckt, wenn sie sich davon Machtgewinn oder -erhalt versprochen hätten. Doch Carstensen wie Stegner stehen symbolisch für tiefer gehende Verwerfungen: In Schleswig-Holstein stehen sich Linke und Rechte seit Jahrzehnten besonders unversöhnlich gegenüber. Der Bespitzelungsskandal um den CDU-Ministerspräsidenten Uwe Barschel und seinen SPD-Konkurrenten Björn Engholm war der augenfälligste Ausdruck hierfür.
Ein besonders schöner Nachweis dafür, wie disziplinierend Macht wirken kann, liefern die Erzrivalen Roland Koch und Angela Merkel. Als die CDU-Vorsitzende auf dem Bundesparteitag vor einem Jahr den hessischen Ministerpräsidenten in ihrer Rede direkt ansprach, da sagte sie versehentlich "lieber Roland Kotz". Die Kanzlerin verbesserte sich schnell. Am Ende klatschte Koch höflich Beifall.
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