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Archiv-Artikel

Wenn Not am Hund ist

Suche in Trümmern und in Wäldern: Beim Aufspüren von Vermissten setzen Hilfsorganisationen Rettungshunde ein. Die müssen gründlich ausgebildet sein. Ein Trainings-Besuch

RETTUNGSHUNDE

Auch die Polizei ruft die Rettungshundestaffeln zu Hilfe – obwohl sie selbst ausgebildete Hunde hat. Die Polizeihunde aber können nicht frei in den Wald geschickt werden, weil sie mehr für den Schutzdienst ausgebildet sind – sie sind eher auf Zubeißen getrimmt. Deshalb werden die Staffeln der Hilfsorganisationen eingesetzt, wenn es darum geht, ein großflächiges Gelände oder auch Trümmer, beispielsweise nach einer Gasexplosion oder einem Erdbeben, nach Vermissten abzusuchen . EE

VON ELKE SPANNER

Dass die Arbeit beginnt, weiß Acqua in dem Moment, wo ihm die Kenndecke mit dem roten Kreuz angelegt wird. Kaum ist sie unter seinem Bauch festgezurrt, beginnt der Hund aufgeregt zu bellen. Dann verharrt er gespannt, bis endlich der erwartete Befehl ertönt: „Such und hilf!“ Acqua stürmt los, den waldigen Hügel hinauf. Nur wenige Sekunden später ist in der Ferne erneut Bellen zu hören: Acqua hat die Frau aufgespürt, die hinter einem Baum kauerte und nun zur Belohnung ein Leckerli aus der Tasche ihres Overalls zieht.

Es ist 19 Uhr, und auf den Klövensteen in Hamburg-Rissen senkt sich langsam die Nacht. Die Dunkelheit ist kein Hindernis, sondern Trainingselement: nach ihrer Ausbildung sollen die Hunde Menschen in verschütteten Häusern und im Dickicht unbekannter Wälder finden. Gute Sicht darf dafür keine Bedingung sein – die Hunde spüren die Gesuchten zunächst mit der Nase auf, nicht mit den Augen.

Jeden Dienstag trifft sich die Rettungshundestaffel des Hamburger Roten Kreuzes (DRK) zum Training. Im Schnitt dauert es zweieinhalb Jahre, bis ein Hund fertig ausgebildet ist. Erst wenn er die Prüfung zum Rettungshund bestanden hat, wird er im Ernstfall eingesetzt. Der Arbeiter-Samariter-Bund, das Technische Hilfswerk, das DRK, die Johanniter-Unfall-Hilfe und der Malteser Hilfsdienst haben für ihre Staffeln eine einheitliche Prüfungsordnung entwickelt.

Angefordert werden die Rettungsstaffeln zu Flächen- und Trümmereinsätzen. Michael Kielau ist schon seit 20 Jahren dabei. Er erzählt, dass die meisten Einsätze darin bestehen, vermisste Personen aufzuspüren. Oft sind es demenzkranke Alte, die aus Pflegeheimen fortgelaufen sind und sich verirren. Oder Kinder, die sich alleine zu weit in den Wald hinein getraut haben. Jogger, die sich beim Sturz das Bein brechen und nicht mehr selbst fortbewegen können. Vor etwa zwei Wochen wurde die Staffel nachts um 1 Uhr zu einer „Ausschlusssuche“ gerufen: Anwohner eines Waldgebiets hatten die Polizei gerufen, weil sie Schüsse und Hilfeschreie gehört hatten. Die Hunde der DRK-Rettungsstaffel haben das Gelände gründlich abgesucht – und glücklicherweise keinen Verletzten oder gar Toten gefunden. Die Einsätze können für die Halter der Hunde eine Belastung sein.

Oft werden die Staffeln auf Suche geschickt, wenn jemand nach einem Verkehrsunfall unter Schock losgerannt ist, irgendwohin. Oder wenn jemand seinen Suizid angekündigt hat und dann verschwunden ist. Auf das Auffinden dieser Gesuchten müssen die Hundehalter psychisch vorbereitet werden. Seminare, in denen auch sie geschult werden, gehören zur Ausbildung einer Hundestaffel dazu.

Pluto ist seit diesen Sommer mit dabei. Die Übung „zielgerichtetes Schicken“ meistert der Hund schon recht gut: Er findet Menschen, die auf dem Boden liegen oder hocken, und bellt dann laut. Er ist aber noch zu ungeduldig dabei. „Er arbeitet zu viel mit den Füßen“, erklärt seine Halterin Sara. Deshalb schickt sie ihren Hund zunächst noch an einer langen Leine los. Als er den Ausbilder hinter einem Baum gefunden hat, bellt er laut – und springt den liegenden Mann dann an. Sara zieht ihn an der Leine leicht zurück. „Er darf vor der gefundenen Person nur bellen, mehr nicht“, erklärt sie anschließend. „Die Menschen, die sich ohnehin in einer schwierigen Situation befinden, bekommen sonst einen zusätzlichen Schock.“

Anders als Polizeihunde sind die Rettungshunde keine „Diensttiere“ von hauptamtlichen Helfern. Es sind Privatleute, die ihre Hunde zu Rettern ausbilden. In der DRK-Staffel sind es überwiegend junge Frauen, die mit ihren Hunden zum Training kommen. Die Ausbildung ist weniger Hobby als Arbeit: Ein bis zwei mal die Woche trifft sich die Staffel, zusätzlich gehen die einzelnen Mitglieder noch auf den Hunde-Übungsplatz. „Man muss das schon wirklich wollen“, sagt Uta Kuschel, die schon ihren zweiten Hund ausbildet.

Zum Retter geeignet ist nicht jeder Hund. Grundsätzlich kommen alle Gebrauchshunderassen infrage. Die dürfen aber „nicht zu klein sein und nicht zu groß“, erklärt Staffelleiter Heino Harbs: Ab 40 cm Stockmaß gelte ein Hund von der Größe her als geeignet. Wolfshunde beispielsweise hätten zu lange Beine und eine zu schlechte Kondition. In der DRK-Hundestaffel sind zurzeit neben Schäferhunden ein Harzer Fuchs, ein Collie, ein Weimaraner, ein Labrador, ein Mischling und diverse andere Rassen. Der Rettungshund, sagt Harbs, muss neugierig sein, Probleme erkennen und vor allem lösen wollen. Die Ausbildung bestünde darin, seinen natürlichen Jagdtrieb für bestimmte Ziele einzusetzen: Die Suche nach Menschen.

Das hört sich einfacher an, als es ist. Die Stadt ist voller Menschen, und natürlich soll ein Rettungshund nicht vor jedem Passanten stehen bleiben und ihn ankläffen. Deshalb bekommen die Retter eine Kenndecke umgebunden, damit sie erkennen, dass sie im Einsatz sind. Und sie suchen auf einen bestimmten Befehl hin. Außerdem lernen sie, nach liegenden und hockenden, sowie nach Menschen zu suchen, die sich beispielsweise auf Bäumen versteckt halten.

Rund ein bis zwei Einsätze hat die Staffel im Monat, erzählt Michael Kielau. Da die Hunde auch zur Suche in Trümmern ausgebildet werden, wurden sie schon mehrfach in Erdbebengebieten eingesetzt, der Türkei zum Beispiel. Kielau hat auch im Iran über zwei Jahre hinweg Rettungshunde ausgebildet. Kürzlich hat er erfahren, dass einer nach einem Erdbeben ein acht Wochen altes Baby in den Trümmern aufgespürt hat – lebend. Kielau schluckt. „Das sind sehr nachhaltige Erlebnisse“, sagt er und schickt den nächsten Hund den Hügel hinauf.