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Wenn Musik demokratisch ist

■ Die Galerie im Künstlerhaus Bremen stellt eine lärmende und hintersinnige Installation der Künstlerin Jeanne van Heeswijk aus

Nichts fürchtet ein Museumsgänger mehr als zu viele Objekte. Bei einem Besuch der Ausstellung „Krach schlagen“ in der Galerie des Bremer Künstlerhauses braucht man aber keine Angst vor einer endlosen und langweiligen Bilderflut zu haben. Bei dem Werk der Niederländerin Jeanne van Heeswijk handelt es sich nämlich lediglich um eine einzige Installation. Der künstlerische Genuss dieses Objekts ist dazu kostenlos und dauert nur wenige Sekunden. Dafür erfordert er allerdings gute Nerven.

Eine Metalltür mit der Aufschrift: „Vorsicht! Tür lässt sich nur von außen öffnen!“ führt in die Galerie. Der Besucher öffnet also die geheimnisvolle Tür, tritt in den großzügigen Raum und wird sogleich von einem ohrenbetäubenden Lärm empfangen. Der Krach dröhnt aus riesigen Lautsprecherboxen, die in etwa sieben Metern Entfernung auf die Tür gerichtet sind. Unwillkürlich greift man erschrocken hinter sich, in der Absicht, diese akustische Vorhölle geradewegs wieder zu verlassen. Doch die Tür ist zu und lässt sich nicht wieder öffnen. Das war's schon. Zum Abschied erhält man noch eine CD von Bremer Musikern, dann verlässt man die Galerie durch den Hinterausgang.

Amüsant ist dieser Lärm-Schocker auf jeden Fall. Der Lärm entsteht durch die Übereinanderlegung von 37 verschiedenen Musikstücken: Allesamt Bremer Kompositionen. So viele MusikerInnen wie möglich hat Heeswijk zu den Aufnahmen eingeladen. Auf der kostenlosen CD kann man sich die einminütigen Werke einzeln anhören. Von Hip-Hop über Saxophon-Ensembles bis zum Gedichtvortrag ist alles dabei. Der Krachsinn besteht im Schwachsinn. Denn das „alle auf einmal“ gefällt Heeswijk eigentlich überhaupt nicht. Doch ist es für sie ein notwendiges Mittel, um die Frage zu untersuchen, inwiefern ein demokratisches Prinzip auf Kunst übertragen werden kann. Der einzelne künstlerische Ausdruck mag noch so wichtig sein: Die absolute Gleichberechtigung lässt alles zu einem einzigen, bedeutungslosen Krach verkommen.

Offenbar war diese Intention auch der Grund, weshalb sich kein professioneller Musiker des klassischen Bereichs zu einem Beitrag bereit erklärte. Wie Dorothee Richter vom Künstlerhaus berichtet, konnten sich klassische Musiker mit der Vorstellung, ihre Einzelstimme einem riesigen Krach zu opfern, nicht anfreunden. Das ist verständlich, auch wenn Heeswijk mit ihrem krachenden Endprodukt durchaus interessante Überlegungen über Bedeutungen, Zweckmäßigkeiten und Kunst anstößt.

So kann die Bedeutung des Werkes in seiner Bedeutungslosigkeit gesucht werden. Oder auch im Märchenbuch der Gebrüder Grimm (siehe oben). Auf die Idee ihres Kunstwerks ist Jeanne van Heeswijk nämlich durch die Bremer Stadtmusikanten gekommen: Das Märchen vom Esel, dem Hund, der Katze und dem Hahn, die sich für eine künstlerische Perspektive entschieden, weil sie von ihren Herren als zu alt und unnütz empfunden wurden. So, wie für die Stadtmusikanten ihre Zwecklosigkeit die Grundlage für künstlerische Entfaltung war, sagt Jeanne van Heeswijk, so ist auch jede Kunst auf eine Unabhängigkeit von der Ökonomie angewiesen.

Vielleicht sollte sich mal so mancher, der eine Ausrichtung der Kultur nach rein ökonomischen Kriterien fordert, vor den Krachapparat stellen. Johannes Bruggaier

Die Installation „Krach schlagen“ ist bis zum 22. Dezember in der Galerie im Künstlerhaus am Deich, Am Deich 68/69, zu sehen. Infos unter Tel.: 50 85 98

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