piwik no script img

Wenn Literaten und Autoren reisenMutige Metaphern, alte Leidenschaft

Reiseliteratur, literarische Reisen und Reisereportagen in Zeiten von Krisen. Ein Streifzug über den Büchertisch legt nahe: Die Reise ist männlich.

Der Autor oder die Autorin muss schon etwas von sich preisgeben, um aus der Masse der Reiseliteratur herauszuragen Bild: dpa

„Die Welt ist eine launische Geliebte, die erobert werden will“, schreibt der umtriebige Reisebuchautor Andreas Altmann in seiner „Gebrauchsanweisung für die Welt“. Seit Jahrzehnten ist Altmann unterwegs. Und nachdem er neben Mittelamerika, Indien, Afrika, Australien auch seine „Scheißkindheit“ auflagenstark aufgearbeitet hat, verfasste er jüngst einen Ratgeber: zur Eroberung seiner „Geliebten“, der Welt.

Erstaunlich, wie achtsam und rücksichtsvoll sich der ewige Rocker, Rebell, der Hasser aller Spießer dabei gibt, nämlich als ein Mann mit guten Manieren.

„Ich habe schon vor Jahren beschlossen, (…) jenem Häuflein Verwegener beizutreten, die ohne sie, ohne diese schöne Tugend, nicht leben wollen, nein, nicht leben können, die Freundlichkeit. Als Reisender erst recht nicht…“ Denn: „Jeder Akt der Unfreundlichkeit macht mich – wie jeden von uns – einsamer. Weil dann die Nähe zum anderen, so kurzfristig, so flüchtig die Begegnung auch sein mag, nicht funktioniert!“

Binsen- oder neue Zen-Weisheit? Altersbescheidenheit? Oder einfach die Grundbedingung einer jeden Begegnung, an die man in Zeiten von wachsender Besserwisserei und oberflächlicher Weltläufigkeit immer wieder erinnern muss?

Freundlichkeit, das beinhaltet vor allem auch Respekt. Altmann, der gute Unterhalter mit skurrilen Geschichten über ungewöhnliche Erfahrungen und flüchtige Liebschaften, der Selbstdarsteller und Souffleur des erotischen, starken Gefühls, des intensiven Lebens, des ewigen Kicks, dessen Aufgeregtheit aber auch immer wieder heftig auf die Nerven geht, gibt so schlichte wie wirkungsvolle Ratschläge. Statt großer Gesten preist er die Grundtugenden des Zusammenlebens.

Die Bücher

Andreas Altmann: „Gebrauchsanweisung für die Welt“. Piper Taschenbuch 2012, 14,99 Euro

Ilija Trojanow: „Versuchungen der Fremde“. Malik 2011, 20 Euro (siehe taz vom 7. 7. 2008: „Backpacker an der Buddha-Bar“)

Roger Willemsen: „Die Enden der Welt“. Fischer Taschenbuch. 2012, 15 Euro

Helge Timmerberg: „African Queen“. Rowohlt 2012, 19,95 Euro

Andrea Böhm: „Gott und die Krokodile. Eine Reise durch den Kongo“. Pantheon 2011, 14,99 Euro

Carmen Rohrbach: „Unterwegs sein ist mein Leben“. Malik 2012, 14,99 Euro

Felicitas Hoppe: „Pigafetta“. Fischer Taschenbuch 2012, 8,95 Euro

Sibylle Berg: „Die Fahrt“. rororo 2009, 9,99 Euro

Wolfgang Büscher: „Hartland: Zu Fuß durch Amerika“. rororo 2012, 9,99 Euro

Patrick Leigh Fermor: „Die Zeit der Gaben“ und „Zwischen Wäldern und Wasser“. Fischer Tb., je 9,95 Euro

Thomas Steinfeld (Hg): „Die Zukunft des Reisens“. S. Fischer 2012, 19,99 Euro

Dennis Gastmann: „Gang nach Canossa“. Rowohlt 2012, 18,95 Euro

Als gute Liebhaber der schönen Dame Welt verstehen sich viele. Der Buchmarkt präsentiert ihre Eroberer in stattlicher Zahl. Weltversteher, Journalisten, Literaten, Pilger und Wanderer, Abenteuer, Entertainer. Und alle mühen sich ab, der Geliebten Genüge zu tun oder ihr zumindest gerecht zu werden.

So charakterisiert der bekannte Autor und Herausgeber Roger Willemsen seinen Kollegen, den „Weltensammler“ Ilija Trojanow: „Er reist, indem er die weiche Stelle in der Fremde sucht, den Ort, die Situation, die ihn einlassen werden.“ Und weiter: „Er ist das Prisma, in dem sich die Welt zeigt, nicht das Ego des Betrachters.“

Trojanow gibt sich als Weltversteher und Mister Multikulti, als einer der Gerechten im unfairen Spiel der Globalisierung. Er gibt uns Auskunft über die Befindlichkeit der Dame Welt und bevormundet sie dabei auch gern, wie ein weltgewandter Verführer, der weiß, was Frauen wünschen oder: was die Welt nicht braucht. Beispielsweise „Backpacker an der Buddha-Bar“, junge Menschen, die ihren Platz in einer Welt suchen, die er für sich längst abgegrast hat.

„Von der Weisheit der Mauren, nur wer reise, kenne den Wert des Menschen, sind sie unerreichbar weit entfernt.“ Ob die Welt mehr Trojanow braucht?

Auch Roger Willemsen jettet zu den „Enden der Welt“ und schreibt das in schönen Sätzen auf. Ein Eitler, auf den immer die Geliebten irgendwo warten, der aber nie richtig liebt. Ob zwischen Gibraltar, Deutschland und Tokio, ob im Hotelzimmer oder im Rotlichtmilieu – er beschreibt die Welt in kunstvollen, mutigen Metaphern, die manchmal befremden.

Eine Beobachtung in Tokio: „Die Ordnung auf der Straße hat etwas Kultisches, selbst die Elenden mit der Sozialfunktion,Bettler' liegen in Kartons brav nebeneinander.“

Und dann ein Gefühlsausbruch: „Also zurück in den 20. Stock des Hotels, wo ich an der Fensterfront des Fensters klebe wie ein Herbstblatt.“

Der Weltenbummler, ein Voyeur

Eine schwierige Balance zwischen Abstand und Nähe. Der Weltenbummler Willemsen bemüht sich zwar, bleibt aber meistens der Voyeur, dem die Welt wie die Liebe irgendwie passieren. Eine schlummernde Verheißung, die er ständig überhöht. Ein Liebender, der nie zum Zug kommt. Frau ahnt, dass sich Willemsen mit der Beziehung zur schönen Welt etwas schwer tut. Ein Beziehungsjunkie?

Von dem Abenteurer Helge Timmerberg, der vorzugsweise in Indien und Südamerika unterwegs war, lässt sich seit seinem neusten Buch „African Queen“ vor allem sagen, dass seine Leidenschaft für die schöne Dame Welt darniederliegt. Timmerberg hat sich nämlich in eine echte, in eine wesentlich jüngere Frau verliebt und ist jetzt zu zweit unterwegs, und zwar in Afrika – wo es ihn ohnehin nie sonderlich hinzog.

Er ist reisemüde, weltsatt, liebesselig, er will mit der Liebsten einfach nur nach Hause. Nur der letzte Stopp Kairo kitzelt die alte Leidenschaft wach – wie damals vor 30 Jahren. Da fühlt sich der Held richtig. Big Mama Kairo lockt mit Uraltreizen.

Persönlicher Einsatz

Die Welt soll erobert werden, aber die Konfrontation mit dem Fremden stellt erhebliche Anforderungen an den Reisenden. Mut, Flexibilität, Leidensfähigkeit, die Bereitschaft, Strapazen und Einsamkeit zu ertragen, Risikofreudigkeit, Offenheit, Präsenz, Durchhaltevermögen und Durchsetzungsfähigkeit – es sind die besten Eigenschaften des Lonesome Cowboys, die gefragt sind.

Und sie müssen sich mit Reflexion und Intellektualität verbünden, wie es das Schreiben erfordert, um auf dem Buchmarkt zu bestehen. Hier ist größtmöglicher persönlicher Einsatz gefragt.

Wie sich der Einzelne der Welt nähert, hat viel mit der Subjektivität, mit der Persönlichkeit des Schreibenden zu tun. Ob als Überflieger oder politischer Journalist, Schwärmer oder Draufgänger. Reine Männersache? Zumindest dominiert der klassische männliche Blick auf die Welt der Büchertische. Frauen machen andere Erfahrungen.

„Wie viele Kinder haben Sie?“

„Keine“, sage ich. Und ahnte, was jetzt kommen würde. Eine Frau über 40 ohne Kinder ist in Afrika von Gott und allen Geistern verlassen. „Aber Madame“, sagt er kopfschüttelnd, „dafür gibt es doch heute Ärzte.“ Monsieur Mubake musterte mich nun ernstlich besorgt. „Sie wissen, dass Frauen, die länger als zwei Monate ohne Mann sind, krank werden?“

Ein seltsames Phänomen

„Nein“, sagte ich, dieses Phänomen sei mir neu. „In unseren Krankenhäusern“, sagte Mubake, „liegen unzählige Frauen, die deswegen operiert werden müssen.“ Er sah seine 49 Kinder, oder wie viele es auch immer sein mochten, offenbar als Resultat seines Einsatzes für die Gesundheit seiner Mitbürgerinnen.

Andrea Böhm, politische Journalistin und Autorin, ist im Kongo unterwegs. Sie arbeitet professionell und versteht ihr Handwerk, sie ist eine hervorragende Rechercheurin, die sich leidenschaftlich einlässt auf ihr Thema, es vorbereitet und mit ihrem Wissen und ihren Begegnungen vor Ort ein eindringliches Porträt des Landes einschließlich seiner politischen Strukturen und Verwerfungen zeichnet.

Nicht nur ein Lesegenuss mit gesellschaftlichem und politischem Tiefgang, sondern auch mit der Handschrift einer Frau, die sich in äußerst gewagte Situationen begibt, nicht, weil sie die Gefahr sucht, sondern weil sie die Strukturen einer Gesellschaft auch an ihren äußersten Rändern verstehen will. Nichts unterscheidet ihren Zugriff auf die Welt von dem guter männlicher Kollegen, aber sie wird anderen Situationen ausgesetzt. Weil sie eine Frau ist.

Die Extraportion Mut

Dass vor allem Männer uns die Welt beschreiben, liegt nicht an fehlender Reiselust von Frauen, geschweige denn an mangelnder Qualifikation. Es liegt an der Extraportion Mut, die sie für ihre Welterkundung brauchen. Frauen allein unterwegs haben die Angst mit im Gepäck. Und das behindert ihre Autonomie.

Die Ambivalenz von Angst und vitaler Neugierde, von Frausein und Freisein, grundiert die Welterfahrung von Frauen. Ob Frauen nun real besonderen Gefahrensituationen ausgesetzt sind oder nicht, die Angst gehört zum konventionellen weiblichen Rollenmuster wie Hausfrauen- oder Fürsorgereflex. Es ist die Angst, unvollständig zu sein ohne Mann oder die beste Freundin, die Angst, schutz- und hilflos zu sein, die Angst vor aggressiver Anmache jedweder Art, die Angst vor sozialer Stigmatisierung durch das gesellschaftliche Umfeld, die Angst vor Einsamkeit.

Eine Frau, die reist und reist, weil das für sie ihr Leben ist, und die darüber schreibt, ist die Reiseautorin Carmen Rohrbach. Sie berichtet völlig unprätentiös über ihre Erlebnisse, ob mit dem Esel durch Frankreich oder unter jemenitischen Frauen. Carmen Rohrbach ist die meistgelesene Reisebuchautorin hierzulande. Im Chor der lauten männlichen Abenteurer bleibt sie mit ihren Eins-zu-eins-Erlebnisgeschichten aber verhalten.

Frauen holen auf

Parität zwischen Männern und Frauen auf den Büchertischen herrscht derzeit nur bei dem boomenden Segment Pilgerwandern auf dem Camino de Santiago. Mindestens dreißig Titel sind aktuell greifbar. Pilgern, das ist wie gehen auf geschützten Wegen. Pilgern nach Santiago, das bedeutet auch heute Begegnung mit anderen Wanderern, selbstbestimmte Geselligkeit, intakte Infrastruktur. Frau darf sich weitergereicht fühlen. Eine perfekte Balance zwischen Autonomie- und Sicherheitsbedürfnis.

Die erste Reisende

Der erste überlieferte Reisebericht einer Frau überhaupt entstammt der Feder einer Pilgerin. Egeri (auch Etheria genannt) reiste im 4. Jahrhundert von Spanien aus nach Jerusalem und berichtete detailliert über Sitten, Gebräuche und Rituale der christlichen Glaubensgemeinschaften.

Andere, wie die gefeierte Schriftstellerin Felicitas Hoppe, nutzen zwecks Sicherheitsabstand erstaunliche Kunstgriffe. Hoppe bewerkstelligt ihre Weltumrundung im Roman „Pigafetta“ im geschützten Raum eines Frachtschiffes. Und während sie vor Ort über die Welt und ihre historischen Eroberer reflektiert und dabei vor allem den Eingebungen ihrer Fantasie folgt, lässt sie die Welt und ihre Abgründe einfach an sich vorbeiziehen.

Näher dran an den Menschen, weit weg von den Orten ist die Schriftstellerin Sibylle Berg. In ihrem Roman „Die Fahrt“ schöpft sie aus Begegnungen unterwegs neue literarische Geschichten. Sibylle Berg lässt sich ein – mit ihrem skeptischen, bohrenden, klaren Blick. Die Fahrt ist bereits ein Klassiker, aber ein wunderschönes Buch mit Lebensgeschichten aus fernen Ländern.

Wie sieht die Zukunft des Reisens aus?

Frauen holen auf, aber immer noch geben Männer den Schritt vor. Beispielsweise Wolfgang Büscher. Zu Fuß von Berlin bis nach Moskau zu laufen oder von Kanada bis nach Mexiko mitten durch Amerika, das macht ihm so schnell niemand nach. Erst recht keine Frau. Büscher ist eine Rarität, auch literarisch gesehen. Im Schnittfeld von Reportagen, Literatur und Hintergrundinformation schreibt er romanhafte Reisebücher voller Spannung und Faszination.

Er hetzt nicht dem Kick hinterher, weder überhöht er den Augenblick noch die Landschaft. Er ist das Gegenteil des Überfliegers, denn er erschließt uns den Weg zum Ziel und über den Weg die Wirklichkeit. Büscher geht einfach auf die Welt zu, offen und aufmerksam und überlegt. Ein zeitgenössischer und würdiger Nachfolger seines großen Vorbilds: Patrick Leigh Fermor.

Der Brite Fermor hat ein starkes Stück Literatur hinterlassen, an dem man sich nicht leicht messen kann. Als junger Mann, in den frühen dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts, wanderte er von Holland aus den Rhein und die Donau entlang nach Konstantinopel. Vor einigen Jahren neu entdeckt und in neuer Übersetzung wurde sein Bericht zur Freude aller bibliophilen Weltenbummler wieder auf den Markt gebracht. Fermor beschreibt eine bewegte Zeit, die in den zweiten Weltkrieg mündete und Good Old Europe für immer hinter sich ließ. Charmant wie kein Zweiter hat er die „launische Geliebte“ aus der Reserve gelockt und in seinen Erzählungen von unterwegs zum Tanzen gebracht.

Der Zweck des Reisens

Die Welt ist geschrumpft. Alle Berge sind bestiegen, die Gipfel genommen. Die mediale Bilderflut hat jeden Winkel ausgeleuchtet. Abenteurer wie Altmann und Timmerberg kommen ins Rentenalter. Was bringt die Zukunft? Auch darüber machen sich vor allem kluge Männer – beispielsweise in der theoretischen Essaysammlung „Die Zukunft des Reisens“ von Thomas Steinfeld – Gedanken. Sie sprechen vom Zweck des Reisens, den Momenten des Reisens, den Orten des Reisens und den Zielen des Reisens.

Vielleicht ist ja tatsächlich, wie diese Essaysammlung nahe legt, der Weg das Ziel. Auch nachkommende Autoren wie Denis Gastmann gehen zu Fuß gegen Burnout, Tinnitus und Depression und zur Selbstfindung. Sein Buch „Reise nach Canossa“ ist jedenfalls ein Geheimtipp.

Vielleicht ist es ja tatsächlich die Suche nach anderen Erfahrungen, die uns reicher macht, die uns raus- und wegtreibt mit ihrer Weggefährtin – der Neugier. Das wird sich auch in einer beschleunigten und durchkommerzialisierten Welt nicht ändern. Vielleicht ist ein Schüssel zur gelungenen Reise die geglückte Begegnung. Und auf diese – so das Fazit beim Sichten der Grabbeltische zum Reisen – verstehen sich die wenigen Frauen, die schreiben, gut.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!