Wenn Jungen sexuell missbraucht werden: Sprich mit mir!
Jungen werden wie Mädchen Opfer von sexuellem Missbrauch. Aber sie können schwerer über das Erlebte reden. Das will die Bundesregierung jetzt ändern.
Sie werden auf Spielplätzen angesprochen, in Jugendklubs und auf Sportveranstaltungen. Überall dort, wo Jungs mit anderen Jungs zusammentreffen, können sie auch auf ihren Vergewaltiger stoßen. Und zu Hause wartet manchmal der pädosexuelle Onkel oder der Stiefvater.
Verschiedenen Untersuchungen zufolge, die am Mittwoch auf einer Fachtagung in Berlin erläutert wurden, hat jeder vierte Junge im Alter von 10 bis 16 Jahren ungewollte sexuelle Kontakte erlebt, die von erwachsenen Männern ausgingen, jeder zwölfte Junge hat bereits sexuelle Gewalt erfahren - von Exhibitionismus bis hin zur Vergewaltigung. Die Zahlen sind alarmierend. Sexuelle Gewalt gegen Jungen ist ein großes Thema. Aber: In der öffentlichen Debatte taucht es bislang nicht auf. Im Gegenteil: Es ist ein Tabu. Warum?
Sind die Jungen vergessen worden, weil Frauenforschung und -politik jahrzehntelang eben Frauenforschung und -politik waren? Weil das Ausschlussprinzip so prima funktionierte? So einfach ist es nicht. Für Jungs und ihre Sexualität und die damit auch nicht selten einhergehende Gewalt hat sich bislang niemand interessiert. Jungs passiert so etwas einfach nicht, lautete die gängige These. Das Thema sexuelle Gewalt war viele Jahrzehnte vor allem mit Mädchen besetzt. Aber Jungs passiert es eben auch - und sie können noch schwerer darüber reden als Mädchen.
Das will die schwarz-gelbe Regierung jetzt ändern. Zumindest hat sie sich eine eigenständige Jungen- und Männerpolitik in den Koalitionsvertrag geschrieben. Zusammen mit Vätervereinen will sie Jungen fördern, heißt es da blumig. Wie das konkret aussieht und welche Themen Bundesfamilienministerium Ursula von der Leyen (CDU) da so vorschweben, hat sie noch nicht mitgeteilt.
Peter Mosser, Psychologe und Autor des Buches "Wege aus dem Dunkelfeld - Aufdeckung und Hilfesuche bei sexuellem Missbrauch an Jungen" hat herausgefunden, dass etwa ein Drittel aller Betroffenen niemals erzählen, was ihnen passiert ist. Rund 64 Prozent reden darüber, wenn sie erwachsen sind. Aber auch erst dann, wie Erfahrungen von Beratungsstellen zeigen, wenn ihre Beziehungen immer wieder scheitern und sie sich zum eigenen Kinderwunsch nicht verhalten können.
Sexueller Missbrauch von Jungen ist weitestgehend unerforscht. Aber das, was man heute weiß, ist erschreckend: Manche Jungen sind erst drei Jahre alt, wenn sie vom Babysitter missbraucht werden. Manche Jungs im Alter von zehn Jahren kennen keine anderen körperlichen Kontakte als die durch Vergewaltigung. Welche Jungen sind am stärksten gefährdet? Jene, die eine "gestörte emotionale Bindung an den Vater" haben, sagt der Soziologe Marek Spitcok von Brisinski: Jungen, deren Väter Schläger, Alkoholiker oder abwesend sind. Diese Jungen sind empfänglich für gemeinsame Spiele mit einem männlichen Erwachsenen, für seine Zuwendung und seine Versprechen.
Mit diesen Jungen muss man sich beschäftigen und vor allem muss man sie zum Reden bringen. Aber wie? Es gibt mobile Beratungsstellen und Streetworker, die gehen genau dorthin, wo Jungen auf ihre Peiniger treffen. Der Ansatz ist gut, aber die Projekte leiden häufig unter akutem Geldmangel. Das Thema war eben nicht in der öffentlichen Debatte.
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