■ Wenn Israels konservativer Regierungschef Benjamin Netanjahu den jüdischen Siedlern im besetzten Westjordanland freie Hand läßt, ist der Friedensprozeß mit den Palästinensern verloren, meint der französische Philosoph Alain Finkielkraut: Z
Am Abend der israelischen Parlamentswahlen legte ich mich schlafen, wie alle mit der Überzeugung, daß der Kandidat der Arbeitspartei, Schimon Peres, gewonnen hatte; am nächsten Morgen erfuhr ich von dem knappen Sieg seines Kontrahenten, des Vorsitzenden des rechten Likud- Blocks, Benjamin Netanjahu.
Dieses Erwachen war brutal und schmerzhaft, nicht nur, weil die Rechte die Linke geschlagen hatte; so etwas passiert überall, ohne daß das Konsequenzen hätte. Und es ist schon lange her, daß ich von der Idee geheilt bin, die Linke repräsentiere angesichts der Besitzenden die Partei der Menschlichkeit. Meine Enttäuschung und Trauer waren nicht nur politisch. Ich hatte das Gefühl, eine spirituelle Katastrophe zu erleben.
Dieses Gefühl bestätigte sich einige Stunden später, als ich Radio Schalom hörte. Eine interaktive Sendung wurde übertragen: Die Hörer waren aufgefordert, ihre Meinung zu sagen, Fragen zu stellen und, bei Bedarf, sich mit Fragen direkt an die Journalisten des Senders zu wenden. Viele machten davon Gebrauch, um ihre Freude mitzuteilen, der nationalen Presse und den jüdischen Radiosendern ihre Parteilichkeit vorzuwerfen, und zu bekräftigen, daß die Wahl nicht knapp ausgegangen war, sondern Netanjahu einen deutlichen Sieg errungen hatte. Denn, so bekräftigte einer nach dem anderen, wenn man die jüdischen Stimmen zähle (und die jüdischen Stimmen sind die einzigen, die in einem jüdischen Staat zählen), so trennen die beiden Kandidaten fast zehn Prozent. Was im Grunde genommen nichts anderes heißt, als daß Schimon Peres, wenn er gewonnen hätte, ein Gewählter der Araber gewesen wäre. Das heißt, er wäre zwar ein legaler Ministerpräsident geworden, damit aber keineswegs ein legitimer.
Mit dem Sieg von Benjamin Netanjahu begab sich die Sprache der Apartheid aus dem Dunkeln heraus und forderte stolz ihren Platz an der Sonne. Um es noch unverblümter zu sagen: Es gibt heute jüdische Faschisten in Israel, aber auch in Amerika oder in Frankreich – Faschisten, die, wie der Präsident der französischen Variante des Likud, der Front National, anläßlich eines Empfangs zu Ehren eines der Chefs der israelischen extremen Rechten schamlos aus dem großen antisemitischen Repertoire der dreißiger Jahre schöpfen, um das Antlitz des Chefs der palästinensischen Autonomiebehörden, Jassir Arafat, zu beschreiben.
Faschisten, die zu einer Demonstration am Trocadero-Platz in Paris, die nach den Attentaten der Hamas in Jerusalem und Tel Aviv organisiert worden war, mit Transparenten kommen, auf denen zu lesen ist: „Friedensprozeß = Auschwitz“. Und die ihren Haß den anderen Juden, die ebenfalls auf dem Vorplatz anwesend waren, entgegenschreien.
Und sie sind es, die ihre Revanche bejubelten und auskosteten, als die Ergebnisse der Wahlen in Israel bekanntgegeben wurden. Das ist Grund genug dafür, von einer spirituellen Katastrophe zu sprechen. Zweifellos, man sollte nicht schwarzmalen: Nicht alle Wähler Netanjahus sind Ideologen; und nicht alle haben sich von niederen Leidenschaften überwältigen lassen. Ohne die wiederholten Attentate vom Februar 1996 – darauf wette ich – hätte die Mehrheit der Israelis ihr Vertrauen erneuert, nicht nur in den Frieden – jeder will Frieden, sogar die fanatischen Verfechter eines Groß-Israel –, sondern in die Idee, daß es, um zu einem Frieden zu gelangen, keine anderen Mittel gibt als die, Territorien aufzugeben.
Vor den Vereinbarungen von Oslo fand die israelisch-palästinensiche Auseinandersetzung im Westjordanland und im Gebiet des Gaza-Streifens statt. Innerhalb der alten Grenzen Israels herrschte Sicherheit. Seit der Friedensprozeß im Gange ist, ist die Gewalt bis ins Herz Israels vorgedrungen. Dies ist das unerträgliche Paradox, das viele Israelis dazu veranlaßt hat, den Hauptakteur des Friedensprozesses in extremer Weise zu verurteilen. Die Angst, eine verständliche Angst, hat ihre Wahl diktiert.
Sie haben nicht die Extremisten gewählt, sondern die Sicherheit. Diese Nuance ist wichtig. Doch ist sie darum auch beruhigend? Die Terroristen haben nicht irgendwann zugeschlagen. Als engagierte Gegner des Kompromisses, die nichts so sehr hassen wie einen gemäßigten und verhandlungsbereiten Feind, haben sie sich mit Bomben in den Wahlkampf eingeschaltet. Sie haben eine Falle ausgelegt und Wahlregeln aufgestellt. Es gibt keinen Grund, sich darüber zu freuen, daß ihnen so untertänig gehorcht wurde.
Aber, wird man sagen, der Wahlkampf ist eine Sache, die Regierungsverantwortung eine andere. Vertrauen wir dem Pragmatismus von Benjamin Netanjahu. Er, der Englisch besser als Hebräisch spricht, wird niemals so weit gehen und die US-Regierung herausfordern. Hat er nicht bekräftigt, daß er sich an die Vereinbarungen halten werde, die seine Vorgänger- Regierung in Oslo und Washington unterzeichnet hat?
Pragmatismus ist der Sinn für Realitäten. Nun gibt es eine mächtige Realität, mit der alle israelischen Regierungen rechnen müssen: die Siedler und all diejenigen, die sie unterstützen. Diese Cowboys mit Maschinengewehren und Kippa werden einen Übergang der wirklichen Souveränität im Westjordanland nicht ohne zu murren akzeptieren. Jeder weiß das in Israel, und jeder, rechts wie links, fürchtet die Entschlossenheit der Siedler.
Diese Angst war so stark, daß die palästinensische Unnachgiebigkeit lange Zeit wie ein Glücksfall oder ein, von der Vorsehung bestimmtes, Alibi gelebt wurde. Die arabische Ablehnung erlaubte, den Zusammenstoß mit der jüdischen Ablehnung eines Friedens im Austausch gegen Territorien aufzuschieben.
Der große Mut von Jitzhak Rabin und Schimon Peres besteht nicht nur darin, das Risiko eingegangen zu sein, mit einem Feind zu verhandeln, von dem man niemals sicher sein kann, daß er sich mit der Existenz Israels wirklich abgefunden hat; das Risiko besteht in einer gewalttätigen Konfrontation mit einem Teil der Israelis.
Für dieses Risiko hat Rabin mit seinem Leben bezahlt. Er war sich dessen so stark bewußt, daß Rabin, trotz des allgemeinen Traumas, das das Massaker von Hebron in Israel ausgelöst hatte, es nicht wagte, die Zerstörung der jüdischen Siedlung anzuordnen, die dort im Haß und am Rande des Krieges lebt. Es ist nicht verboten zu glauben, daß der Pragmatismus von Benjamin Netanjahu ihm eingegeben hat, vorerst einen Konflikt mit denjenigen zu vermeiden, die um so weniger zögern würden, Gewalt anzuwenden, wenn Netanjahu auf seine Wahlversprechen zurückkommt und sie das Gefühl hätten, verraten worden zu sein. Nichts weist allerdings darauf hin, daß er daran gedacht hätte, diesen Weg einzuschlagen.
Die spektakuläre Wiederbelebung der jüdischen Besiedlung in den arabischen Städten und Vierteln sowie die massiven Maßnahmen der Enteignung, die seine Regierung ergriffen hat, haben den Effekt, wenn nicht gar das Ziel, die Palästinenser in die Hoffnungslosigkeit zu stürzen und damit früher oder später in den bewaffneten Kampf. Wenn Konfrontation auf Verhandlungen folgt und tödliche Wut auf den Geist des Kompromisses, werden einige, in Israel oder in Frankreich, sich triumphierend an jene wenden, die sie bereits als edle Gemüter bezeichnen: „Ihr seht nur zu gut“, werden sie dann sagen, „daß es für uns selbstmörderisch wäre, der Errichtung eines palästinensischen Staates zuzustimmen!“
Obwohl ich das Verlangen der Palästinenser nach Souveränität unterstütze, hatte ich stets Schwierigkeiten, mich mit ihrem Kampf zu identifizieren. Diese Schwierigkeit resultierte nicht nur aus meiner hauptsächlichen Sorge um das Schicksal Israels. Eine Präferenz schließt Unparteilichkeit nicht aus. Ganz im Gegenteil. Ich stieß mich lediglich an der Doppelzüngigkeit der PLO, und obwohl ich den politischen Sinn des palästinensischen Aufstandes in den besetzten Gebieten, der Intifada, verstand, fand ich weder etwas Heroisches noch etwas Anrührendes an einem Krieg, in dem die Soldaten Kinder waren.
Mit der aktuellen israelischen Politik hat sich alles geändert: Man muß schon unter dieser Unfähigkeit, aus sich selbst herauszugehen, die Rassismus heißt, leiden, um sich nicht heute in die Lage der Palästinenser zu versetzen und ihre Trauer und Entmutigung verstehen. Der Zionismus widerspricht nicht dem Willen, den Palästinensern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die Solidarität gegenüber Israel würde ihre Natur verändern, wie sie widerstandslos akzeptierte, daß die Cowboys mit Maschinenpistolen und Kippa das letzte Wort haben.
Aber angesichts steigender Unzufriedenheit im Westjordanland und im Gaza-Streifen, sinkender Investitionen in Israel und einer drohenden Destabilisierung in der Region spricht man immer häufiger von einer Regierung der nationalen Einheit. Man setzt auf eine amerikanische Verwaltung, befreit von der Hypothek der Wähler, auf den großartigen Pragmatismus von Benjamin Netanjahu und auf das Ansehen von Schimon Peres, um die arabischen Ängste zu besänftigen. Das sei, sagt man, das Szenario der letzten Chance für den Friedensprozeß. Vielleicht stimmt das. Aber es ist auch möglich, daß die gegenseitige Neutralisierung der Rivalen vom Likud-Block und der Arbeitspartei darauf hinausläuft, den Kredit letzterer bei der PLO zu verspielen.
Das könnte dazu führen, das Lager der Ablehnung zu verstärken. Wie? Indem sich zu denjenigen Palästinensern, die niemals einen Kompromiß gewollt haben, und denjenigen, die niemals daran geglaubt haben, auch noch solche gesellen, die, nach vielen Jahren des Aufschubs, der Blockaden und der minimalen Kompromisse, auch aufgehört haben, an einen Kompromiß zu glauben.
Weit davon entfernt, den Frieden zu retten, läuft die Strategie des geringsten Übels Gefahr, letztendlich die Logik des Schlimmsten zu begünstigen.
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