: Wenn Hongkong ein Gesicht wäre...
...sähe es aus wie das von Meggie Cheung. Jetzt ist Asiens Catherine Deneuve in Hongkong Love Affair zu sehen ■ Von Tobias Nagl
Wie Visitenkarten tauschen sie zögernde Gesten aus. Ihre Nähe trägt die Fremdheit der Zirkulation auf der Stirn geschrieben, ihre Liebe ist Not. Wieder einmal ist eine brillante Idee, Geld zu machen, gescheitert, und Maggie Cheung kaut so trotzig und selbstvergessen auf dem Strohhalm einer Coca-Cola-Flasche, wie das nur wenige können. Auch sie sei eine Fremde im Moloch der Stadt, gesteht sie in diesem Moment der Niederlage, auch sie komme vom Festland. „Your look, your gesture, your face, your hair are so Hongkong“, versucht ihr trampeliger Sidekick sie zu trösten. Immer noch kaut sie auf dem Strohhalm, aber es ist nicht mehr dasselbe. Dann sehen wir nur noch Maggie Cheung, die mit kleinsten Details dieses Hasardspiel um die nimmermüden Stehaufmännchen der Neuen Weltordnung pointiert.
Über 70 Rollen hat diese „Catherine Deneuve Hongkongs“ (Wong Kar-Wai) bisher gespielt, die meisten allerdings in Schlock-Spektakeln wie Heroic Trio. In Stanley Kwans selbstreflexivem Dokudrama Centre Stage/The Actress verkörpert sie die moderne chinesische Stummfilm-Diva Ruan Lingyu, eine tragische Greta Garbo der Shanghaier Filmindustrie, die sich im Alter von 25 Jahren aufgrund von öffentlichen Gerüchten über ihre Affären das Leben nahm. Kwan fragt darin Cheung, ob und wie sie denn von der Nachwelt erinnert werden wolle. Dem ehemaligen Model, das bei der heimischen Presse ob ihrer Klatschfeindlichkeit nicht viel beliebter ist als ihr historisches Vorbild, war das zumindest vor der Kamera allenfalls ein schüchternes Kichern wert.
Inzwischen ist sie längst einer der profiliertesten Stars des asiatischen Kinos – erst recht im westlichen Art-House-Umfeld. Nach den Erstaufführungen von Wong Kar-Wais Debüt As Tears Go By und dem antonioniesken Days Of Being Wild war sie letztes Jahr genauso an der Seite von Jeremy Irons und Gong Li in Wayne Wangs Chinese Box als zerzauster Punk zu sehen wie neben der Truffaut-Ikone Jean-Pierre Léaud in Latex über die Pariser Dächer huschend in Irma Vep von Olivier Assayas, den sie nach den Dreharbeiten heiratete. Mit seiner Musidora-Referenz leistet er für die französische Tradition noch einmal das, was Kwan schon in der chinesischen etabliert hatte: die Versöhnung von semi-dokumentarischer Autorenfilm-Askese und fetischisiert-glamourösem Diva-Spektakel.
Davon kann vielleicht auch Peter Chans Migranten-Drama Hongkong Love Affair (treffender der Videotitel: Comrades, Almost A Love Story) profitieren, das jetzt mit zwei Jahren Verspätung in die Kinos kommt und Fragen nach der komplizierten kulturellen Identität Hongkongs stellt – und sich noch komplizierter am Scheitern der Antwort abarbeitet. Wenn auch nie direkt ausgesprochen, ein weiterer Film zum Komplex „Übergabe“ an die Volksrepublik also.
Pop-Star Leon Lai (Fallen Angels) spielt einen Festlandchinesen, der in das kapitalistische Hongkong kommt. Alles ist ihm fremd, selbst die Tante, bei der er wohnt – die wartet nämlich auf die Rückkehr William Holdens. Weder Englisch noch Kantonesisch spricht er, und so wird die ebenfalls Mandarin sprechende, geschäftstüchtige McDonalds-Verkäuferin Cheung zu seinem einzigen Bezugspunkt. Die beiden könnten kaum unterschiedlicher sein: „To a Mercedes – to a good life“, prosten sie sich zu.
Die Jahre gehen ins Land, Leon lernt Englisch (bei einem von Wong Kar-Wais Kameramann Christopher Doyle ungeheuer schrullig verkörperten Sprachlehrer), das Unvermeidliche passiert: Sie verlieben sich und kommen doch nicht zusammen. Heimatlos bleiben sie auf Schritt und Tritt, das einzige, was sie eint, ist die Liebe zur auf dem Festland so populären Sängerin Teresa Tang. Nach großen Wirrungen finden sie sich zehn Jahre später in New York vor einem Fernseher wieder, auf dem ausgerechnet der Tod Teresa Tangs verkündet wird.
Wenn auch Peter Chans letzte Einstellung an eine gemeinsame chinesische Herkunft appelliert, bleibt sie so wenig hilfreich auf der Suche nach Heimat wie die Liebe ungewiß. Sicher in dieser Welt ist eigentlich nur die Unsicherheit der Aktienkurse. So gerät die Einstellung aus dem Geldautomaten heraus auf das ungleiche Paar nicht nur zu einem der schönsten Leitmotive des Films, sondern auch zum bezeichnenden Kommentar in dieser wundervoll-melancholischen Liebesgeschichte. Doch ohne Maggie Cheung wäre auch dieser nur exakt halb so schön.
Do, 4. bis Mi. 10., 20.30 Uhr; Do., 11. bis Mi, 17. Februar, 18.15 Uhr, 3001
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