: Wenn Blomstedt ruft
■ Glocke-Vater Andreas Schulz geht
Zweieinhalb Jahre hat er im Verborgenen gearbeitet, ein halbes Jahr öffentlich, und nun geht er schon wieder: der 36jährige Musikwissenschaftler, Chorleiter und Organist Andreas Schulz wird Gewandhausdirektor in Leipzig. Eine Riesenstelle, zu deren Annahme der vierfache Vater nicht nein sagen konnte. Vergangenen Mittwoch ist er auf der letzten politischen Sitzung in Leipzig einstimmig gewählt worden.
taz: Herr Schulz, was ist das für eine Position: Gewandhausdirektor?
Schulz: Es war eine Position, die es in dem traditionsreichen Haus immer gegeben hat, bis Kurt Masur, der jetzt in Amerika ist, sie abschaffte. Ich bin der persönliche Wunschpartner von Herbert Blomstedt, der die Position wieder durchgesetzt hat. Vielleicht darf ich noch einmal den formalen Grund-riß sagen: Dem Gewandhauskapellmeister als oberstem Chef unterstehen als direkte Mitarbeiter der Gewandhausdirektor und der Verwaltungsdirektor. Ich bin da zuständig für den gesamten Konzertbetrieb: Programme, Tourneen, Werbung, Organisation, natürlich alles Künstlerische in Absprache mit Blomstedt.
Sie sind Musikwissenschaftler und Praktiker, ehe Sie im Schleswig-Holstein-Musik-Festival organistorische Aufgaben übernahmen. Ich gehe einmal davon aus, daß Sie über ein reines Organisieren auch inhaltlich arbeiten wollen. Können Sie das da?
Genau das ist der Punkt. „Wir wären ein ideales Gespann“, schrieb mir Blomstedt im August 1995. Ich weiß, daß ich Konzeptionen entwickeln kann, und das ist für mich ein ganz großer Reiz. Und dann die Herausforderung dieses uralten Hauses, sozusagen die Traditionspflege, zu der ich unbedingt ja sage, in eins zu bringen mit zeitgenössischen Produktionen.
Sind Sie also auch die Dramaturgie?
Jein. Das Ganze ist dort größer gestrickt. Es gibt auch noch eine Dramaturgie, die suchen neue Stücke, die verhandeln mit Verlagen.
Sie sprechen von der Größe. Wie sind dort die künstlerischen und organisatorischen Dimensionen?
Das können wir uns hier gar nicht vorstellen: Das Gewandhaus bietet 500 Veranstaltungen pro Jahr. Es bespielt neben dem Konzertbetrieb die Oper und die wöchentlichen Kantaten in der Thomaskirche. Im Orchester sind 180 MusikerInnen angestellt.
Sie verlassen etwas zu schnell Bremen, ihr Kind „Glocke“ist gerade mal auf der Welt.
Ich gehe auch mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Und ich habe nächtelang nachgedacht. Die Glocke war nicht irgendetwas. Ich kenne hier jeden Stein. Für mich ist am schönsten, daß mein Konzept aufgegangen ist.
Sie sind hier in der Stadt nicht nur mit offenen Armen empfangen worden ...
Nein. Es gibt einige, die haben schon Champusflaschen aufgemacht wegen der Nachricht aus Leipzig.
Was raten Sie Bremen?
Weniger Konkurrenz, mehr Zusammenarbeit. Dann kann es klappen, daß hier ein norddeutsches kulturelles Oberzentrum entsteht. Die Künstler müssen mit den hiesigen Attraktionen beworben werden und da sind wir schon sehr weit gekommen.
Das Interview führte Ute Schalz-Laurenze
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