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Weniger Verdienst bei gleicher Arbeit?

Serie: Abschied von der Fünftagewoche (vierte Folge) / Beim Chemiekonzern Schering verhindert Teilzeitarbeit die Kündigung von Beschäftigten, hat aber auch die Arbeit intensiviert  ■ Von Hannes Koch

Die regelmäßige tägliche Arbeitszeit und die freien Wochenenden sind auslaufende Modelle. Einige Unternehmen arbeiten bereits am Samstag und Sonntag – um die Maschinen besser auszulasten und konkurrenzfähiger zu sein. Dieser Flexibilisierung steht die Gewerkschaftsforderung nach Verkürzung der Arbeitszeit gegenüber. Absicht und Hoffnung: Existierende Arbeitsplätze werden gesichert und neue geschaffen. In der Praxis gehen beide Strategien meist eine enge Verbindung ein. Wem die neuen Arbeitszeitmodelle dienen und wie sie in der Praxis funktionieren, hat die taz jetzt am Beispiel von Berliner Betrieben und Verwaltungen untersucht.

Wie in anderen Bereichen der Industrie sind die goldenen Zeiten der achtziger Jahre auch beim Chemiekonzern Schering AG längst vorbei. Damals sprengte das Wachstum die Statistiken – seit 1991 gehen Umsatz und Gewinn zurück. Der Konzern trennt sich von ganzen Geschäftsbereichen, unlängst erst wurde die Sparte Pflanzenschutzmittel ausgegliedert und mit dem ensprechenden Bereich der Hoechst AG verschmolzen. Damit einher geht auch ein kräftiger Stellenabbau an den Berliner Schering-Standorten im Wedding und in Charlottenburg.

Von 1991 bis zum Jahresende 1993 sank die Zahl der Stellen von 7.900 auf 7.300. Vor allem die sogenannten „Zentralfunktionen“ der Konzernverwaltung wurden durchforstet. Und der Stellenabbau soll weitergehen: 360 Arbeitsplätze stehen in den nächsten drei Jahren auf der Abschußliste.

Trotzdem konnten Kündigungen – das Schreckgespenst für die Beschäftigten – bislang vermieden werden. Ein Grund dafür: Durch Teilzeitarbeit, die bei Schering im Gegensatz zu anderen Unternehmen traditionell weit verbreitet ist, lassen sich Rationalisierung und Kostensenkung im Sinne der Unternehmensleitung erzielen, ohne ArbeiterInnen auf die Straße zu setzen.

Unternehmenssprecher Michael Langenstein nennt ein Beispiel aus seiner eigenen Abteilung: Ein Referent und zwei Sachbearbeiterinnen, früher jeweils im Besitz einer vollen Stelle, arbeiten jetzt durchschnittlich zwei Drittel der normalen Zeit. Ergebnis: Schering spart das Gehalt für eine ganze Stelle und die Beschäftigten behalten ihren Arbeitsplatz.

Das sieht auf den ersten Blick gut aus, hat aber auch seine Nachteile. „Man verdient weniger, macht aber dieselbe Arbeit“, meint Regine Schwersenz, Betriebsrätin bei Schering. Häufig führe die Teilzeittätigkeit zur Verdichtung der Arbeit, zu mehr Streß. Auch ein Effekt, der, obwohl das nicht gerne zugegeben wird, im Sinne des Unternehmens ist. „Es kann sein, daß die Teilzeitleute konzentrierter arbeiten und schneller auf den Punkt kommen“, meint Sprecher Langenstein.

Heute arbeiten 800 Beschäftigte in Teilzeit, elf Prozent der Berliner Belegschaft. Bezeichnenderweise sind 90 Prozent davon Frauen. Auch bei Schering haftet der individuell verkürzten Arbeitszeit der Ruch des „Karriere-Killers“ an – ein Grund, warum Männer lieber in vollen Stellen leiden. Die Art der Teilzeitmodelle orientiert sich an den Bedürfnissen der ArbeiterInnen und der jeweiligen Vorgesetzten. Praktiziert werden ein Dutzend Varianten: Drei- und Viertagewoche, verlängerter Jahresurlaub, eine Woche Freizeit pro Monat.

Begonnen hat der Teilzeitboom bei Schering zu Beginn der achtziger Jahre. 1984 einigten sich Betriebsrat und Unternehmensvorstand auf eine Betriebsvereinbarung zur Förderung der individuellen Arbeitszeitverkürzung auf freiwilliger Basis. Seitdem nahm die Zahl der Teilzeitbeschäftigten stetig zu – parallel zur allgemeinen Aufstockung des Personalbestandes von 6.000 MitarbeiterInnen 1983 auf 7.900 im Jahr 1991. Aus dieser Entwicklung folgert Unternehmenssprecher Langenstein, daß „auch die Teilzeit einen Beitrag zur Schaffung neuer Arbeitsplätze geleistet hat“. Wieviel Jobs jedoch durch die Teilzeitregelungen exakt entstanden sind, läßt sich nur vermuten. Sicher ist: Wegen der guten Konjunktur in den achtziger Jahren brauchte der Schering-Konzern sowieso mehr Leute und hätte viele davon auch ohne Teilzeitregelungen eingestellt.

Die letzte Folge erscheint am kommenden Samstag

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