: Wenig Zeit
■ Zu den Schüssen im Frankfurter Startbahn–Wald
Schrecken und Erschrecken; Angst, daß die Worte der Verurteilung hohl und ohnmächtig klingen, daß die Formeln der Distanzierung sich nur überbieten; größere Angst aber, daß die Stimme der Vernunft, die Kant zufolge leise ist, nicht nur nicht gehört wird, sondern auch nur noch das Klischee der Besonnenheit zustande bringt. Fest steht, der Mord an den Polizisten geschah aus einer Demonstration heraus. Das hat es bislang in der Bundesrepublik nicht gegeben. In einem Land, in dem immer das Demonstrationsrecht umstritten war und in dem vor allem die Demonstrationspraxis mehr zur Feinderklärung als zur öffentlichen Auseinandersetzung führte, kann die Bluttat in Mörfelden eine schlimme historische Wende sein. Kann. Es ist nicht nur die Frage, ob wir genug Zeit haben, vom Erschrecken zum Begriff zu kommen, sondern wie es mit den Kräften in dieser Gesellschaft bestellt ist, die sich diese Frist auch erkämpfen. Wer wissen will, was angesagt ist, sollte die Stellungnahme der Frankfurter Autonomen zur Kenntnis nehmen. Zum ersten Mal distanzieren sie sich ohne Wenn und Aber von dem „feigen Mord“ und erklären, daß der Täter nicht in „ihre Reihen gehört, auch wenn er sich selbst dazu zählen mag.“ Es ist keine Frage, daß die Profiteure des Mordes, die Hasardeure der Hysterie sich schon gemeldet haben. Nichts leichter, als jetzt an der Gewaltschraube zu drehen. Gar nicht auszudenken, welche Chance sich für Innenminister Zimmermann bietet, seine gescheiterte Amtsführung zu einem guten schlimmen Ende zu führen. Aber es nützt nichts, mit der Warnung vor dem rechten Profit den düsteren Hintergrund auszublenden, der uns alle betrifft. Die Tat von Mörfelden geschah in einer prekären Situation: Erfolglosigkeit und vor allem Einverständnis mit der Erfolglosigkeit beherrscht die Linke. Die „Bewegung“ hat sich fixiert auf eine Reihe von Konflikten, in denen sich Härte und Aussichtslosigkeit gegenseitig verstärken. Wiederholung von Aktionen, inszenierte Bauzaunbürgerkriege machen die Konflikte immer symbolischer. Und wir wissen leider, daß der Kampf um politische Symbole hierzulande schnell in Brutalität übergehen kann. Nichts wäre falscher, als eine Zwangslogik vom Steinewerfen zum Schießen zu konstruieren. Aber es gibt eine allgemeine politische Logik, die unheimlicher ist, weil sie in vagen Tendenzen sich verwirklicht, die man gemeinhin „politisches Klima“ nennt. Die „linke Szene“ ist bedroht von dem Rückzug auf die politische Gesinnung, da reale politische Erfolge nicht mehr denkbar erscheinen, da die politische Phantasie, etwas durchzusetzen, verarmt. Nur zu leicht wird dann die Militanz zum wahren Prüfstein der Gesinnung. Nichts macht die Zwangslogik der Militanz bedrohlicher als die Tatsache, daß sie sich mit der Aufrüstung der Gegenseite rechtfertigen kann. Auch staatliche Organe kämpfen um die Symbole der Durchsetzung, inszenieren ihre Bauzaun–Bürgerkriege. Es gibt ein Milieu der Auseinandersetzung, das Einzeltäter und Provokateure anziehen muß, ein Milieu, in dem sich vielleicht der Traum oder Alptraum der Revolution träumen läßt, in dem aber die Zukunft einer „anderen Republik“ zerstört wird. Betroffenheit reicht allein nicht. Hier steht die Mühe der Selbstkritik an. Die bundesdeutsche Gesellschaft ist gewaltsüchtig und führt die Gewaltdebatte mit religiöser Wut. Bekenntnis wird verlangt und zweideutige Gewaltapologien mithin gefördert. In diesen Wochen gab es einen gefährdeten Versuch, am zehnten Jahrestag des Deutschen Herbstes die Konstellation von Gewalt und Rache zu durchbrechen. Selbst der Bundesjustizminister konnte den Gedanken der Versöhnung nicht ganz ablehnen. Der Versuch einer politischen Deeskalierung gegenüber der Vergangenheit ist die vorweggenommene Antwort auf das, was in Mörfelden geschah. Keinen größeren Lohn kann der Täter erwarten, wenn jetzt in dem Sog der Hysterie das Grundrecht der Demonstrationsfreiheit durch verschärfte Gesetze aufgegeben wird. Die „Sicherheit der Bundesrepublik“ ist nicht gefährdet, wie Rebman erklärt. Gefährdet ist die Hoffnung auf eine demokratischere und menschlichere Gesellschaft.
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