Weltweiter Klimastreik in Corona-Krise: „Wir gehen trotzdem auf die Straße“
Die Pandemiekrise erlaubt keine Massenproteste. Was also macht die Klimabewegung nun? Drei Aktivistinnen berichten.
Anastasija Sergienko: „Zur Not stelle ich selbst ein Windrad auf.“
„Ich bin seit letztem September Klimaaktivistin bei Fridays for Future Russland. Eines Nachts habe ich eine Rede von Greta gesehen, die mich so gepackt hat, dass ich mich auf den Boden gesetzt und angefangen habe, ein Schild für den Streik am nächsten Tag zu malen. Seitdem war ich an 16 Freitagen streiken.
Was machen Klimaaktivist*innen eigentlich jetzt, wo ihnen der Weg auf die Straße fast überall verwehrt ist? Das Klimahub der taz will es genau wissen. Celine Weimar-Dittmar und Leonie Sontheimer befragen auf dem Instagram-Kanal der taz engagierte Menschen auf der ganzen Welt live, was die Corona-Krise mit ihnen macht – und wie sich sich trotzdem oder jetzt erst recht engagieren. Die Interviews erscheinen auch als Mitschnitte auf IGTV und als Protokolle auf der Klimaseite der gedruckten taz und hier auf taz.de.
Fridays for Future ist in Russland nicht besonders groß. Als ich dazugestoßen bin, waren wir etwa 700 Leute in 35 Städten. Ich selbst wohne in Moskau und wir brauchen hier eine Genehmigung für die Massenstreiks. Die Regierung verbietet das meistens. Wir gehen trotzdem auf die Straße und üben eine Protestform aus, die wir “single picket queue“ nennen – also Einzel-Streik-Schlange. Wir stehen mit Abstand voneinander auf der Straße und jeder hat ein Schild im Rucksack, es zeigt aber immer nur eine Person ihr Schild und wir wechseln uns ab. So ist es kein Massenprotest.
Die Bilder vom Streik laden wir in den sozialen Medien hoch und dort erklären wir auch viel zur Klimakrise. Das gibt uns Sichtbarkeit. Aber gerade sind wir hier in Selbstisolation und streiken nur online.
Meiner Meinung nach ist das größte Problem momentan Feuer. Es gibt eine furchtbare Tradition, Wiesen abzubrennen. Die Leute glauben, es würde dem neuen Gras helfen zu wachsen und außerdem vor Waldbränden schützen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Wir haben ein riesiges Problem mit schwelenden Torfbränden. Dabei entsteht viel Rauch, aber es gibt keine Flammen und ist schwierig, die Brände zu entdecken. Ich und ein paar Leute versuchen, diese Schwelbrände auf dem Computer in eine Karte einzutragen. Wir teilen die Koordinaten dann der freiwilligen Feuerwehr mit, die gezielter ausfahren kann. Trotzdem fürchte ich, dass wir diesen Sommer australische Verhältnisse erleben werden.
Das zweite Problem, mit dem die Klimabewegung hier zu kämpfen hat, ist, dass die Regierung und auch viele Privatmenschen nicht aus fossilen Energien aussteigen wollen. Russland ist Öl- und Gas-Land. Die Argumente gegen erneuerbare Energien sind bescheuert. Sie sagen, dass Windräder gefährlich für Vögel sind. Okay, ja, aber das lässt sich regeln. Aber Öl, Gas und Kohle sind gefährlich für unsere Gesundheit, unsere Lebensgrundlagen und die Natur. Wir sollten lieber Solarpanels auf unseren Dächern installieren, als Öl und Kohle von weit weg herzukarren. Es wäre gut, wenn es um die großen Städte herum erneuerbare Energien gäbe. Eines Tages wünsche ich mir, dass ich aus meinem Fenster auf ein Windrad schauen kann. Zur Not stelle ich es eben selbst auf.
Der Interview-Mitschnitt auf IGTV
Anna Conradie: „Woher wir kommen, definiert, wie wir Probleme betrachten und verstehen.“
„Ohne Corona hätte ich jetzt Fundraising Events für meine Organisation artivists gehabt. Ich habe artivists gegründet, um eine künstlerische Form des Protestes zu schaffen und so Menschen in die Klimabewegung reinzuholen.
Jetzt hatte ich stattdessen heute ein Meeting für den Jugend-Thinktank, den ich ebenfalls gegründet habe. Dort arbeiten wir mit verschiedenen großen fossilen Firmen hier in Südafrika daran, wie sie sich umweltfreundlicher aufstellen können. Ich kontaktiere sie per E-Mail und mache deutlich, dass wir ihnen nicht schaden wollen, sondern mit ihnen zusammenarbeiten. Bei einer der Firmen, mit denen wir jetzt zusammenarbeiten, hat es mehr als ein Jahr gedauert, bis wir uns erstmals persönlich getroffen haben.
So habe ich letzten Mai angefangen, mich in der Klimabewegung zu engagieren. Es ist wirklich schwer, den Leuten hier klarzumachen, dass die Klimakrise ein riesiges Problem für uns alle ist und wir jetzt sehr schnell handeln müssen. Ich glaube, woher wir kommen, definiert, wie wir Probleme betrachten und verstehen.
Hier in Südafrika leben die Reichsten direkt neben den Ärmsten. Darum denke ich, die Jugend in Afrika sieht Klimathemen oft anders als Europäer*innen oder “der Westen“, wie wir ihn nennen. Aktivist*innen vom afrikanischen Kontinent liegt viel an sozialer Gerechtigkeit, da wir Ungleichheit an jeder Ecke sehen. Wir kämpfen nicht nur für besseres Klima, sondern auch für Klimagerechtigkeit. Unsere größte Sorge im Land ist Dürre. Letztes Jahr deklarierten die UN zwei Regionen zu „nationalen Desaster Zonen“. Es gab vier Monate lang kein Wasser, weder in Flüssen noch aus dem Wasserhahn. Wir sollten genug Wasser haben, aber verlieren etwa 40 Prozent durch fehlende Infrastruktur. Vor allem die ländlichen Regionen und Bauern sind davon betroffen. Wenn wir jetzt nicht schnell handeln, werden viele Menschen hier ihre Lebensgrundlage verlieren.“
Der Interview-Mitschnitt auf IGTV
Xiye Bastida: „Wir Jugendlichen sind nicht die Ersten, die diesen Planeten schützen wollen.“
„Ich lebe in Manhattan, New York, fast im Herzen der Stadt und damit mitten im Epizentrum der Pandemie. Meine Tage verbringe ich drinnen, mache Hausaufgaben und Aktivismus, während draußen die Sirenen der Krankenwagen heulen. Ich gehe nicht nach draußen, ich möchte mich und andere nicht gefährden.
Ich bin eine der Hauptorganisator*innen von Fridays for Future in New York City und war seit sieben Wochen nicht auf der Straße. Wenn wir möchten, dass andere Menschen auf die Wissenschaft hören, müssen wir mit gutem Beispiel vorangehen. Also machen wir, was Fridays for Future gerade auf der ganzen Welt macht: Netzstreik.
Aber damit Klimaaktivismus weiter funktioniert, müssen wir mehr machen, als Fotos von uns im Internet posten. Deswegen habe ich die re.earth-Initiative gestartet. Das Ganze begann als Kampagne, mittlerweile ist es eine Jugendorganisation. Wir klären Leute über verschiedene Aspekte der Klimakrise auf und geben Tipps, was sie auf individueller und systemischer Ebene tun können.
Wenn wir Klimaaktivist*innen hören, dass Politiker sagen, „wir sollten zurück zur Normalität“, können wir nur den Kopf schütteln. Die Normalität bedeutet, fossile Brennstoffe zu verfeuern, den Planeten weiter auszubeuten und zu verschmutzen. Das darf nicht normal sein.
Ich habe einen indigenen Hintergrund. Mein Vater ist Otomi, das ist eine indigene Gruppe in Mexiko. Ich habe in Mexiko gelebt, bis ich 13 war. Meine Eltern haben sich 1992 beim Earth Summit in Rio kennengelernt. Zehn Jahre bevor ich geboren wurde. Mein Vater war schon immer ein Redner, und von ihm habe ich gelernt, in der Öffentlichkeit zu sprechen. Meine erste Rede habe ich auf einer UN-Konferenz auf Mauritius gehalten, als ich 15 war. Eigentlich war mein Vater eingeladen, aber er konnte nicht, also schickte er mich. Da habe ich gemerkt, dass die Menschen beeindruckt sind, wenn jemand Junges über das Klima spricht.
Wir Jugendlichen denken, dass wir die Ersten sind, die den Planeten schützen wollen. Offensichtlich ist das nicht der Fall. Umweltschutz hat eine lange Geschichte. Wir sollten lernen, was bislang funktioniert hat und was nicht und was in Zukunft funktionieren muss, um den Planeten zu schützen.“
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