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Weltsozialforum in Porto AlegreGemeingüter als dritter Weg

In Porto Alegre wird der Diskurs über die "Commons" zum globalisierungskritischen Mainstream. Zwischen Markt und Staat soll sie zur dritten Alternative werden.

Die WSF-Teilnehmer wollen Artenvielfalt dem markt entziehen. Bild: dpa

PORTO ALEGRE taz | Manche Rituale wird das Weltsozialforum (WSF) einfach nicht los. Etwa die "Versammlung der sozialen Bewegungen" im alten Gaswerk von Porto Alegre, deren Abschlusserklärung so etwas ist wie die sichtbare Essenz des Treffens. Ein offizielles Statement aller TeilnehmerInnen gibt es grundsätzlich nicht - es würde der Philosophie horizontaler Netzwerke zuwiderlaufen.

Im Hinblick auf den UN-Umweltgipfel Rio+20 rücke der "Kampf um Umweltgerechtigkeit" in den Mittelpunkt, heißt es in der Bewegungserklärung, der "grüne Kapitalismus" sei kein Ausweg aus der Krise. Banken, Konzerne und die ihnen ergebenen Regierungen strebten die totale Kontrolle über die natürlichen Ressourcen an. Agrotreibstoffe, Gentechnik, Geoengeneering oder den Emissionshandel lehnt man als "falsche Lösungen" ab. Die AktivistInnen des Arabischen Frühlings, von Occupy Wall Street, der Empörten in Spanien oder Griechenland und der chilenischen Bildungsbewegung begrüßt man als neue Bündnisgenossen.

Dann werden "der Kapitalismus" und "der Imperialismus" gegeißelt, eine Debatte findet nicht statt. Dass Gastgeber Brasilien auf seine Weise ein Protagonist der Green Economy ist, wird verschämt verschwiegen - allzu viele Anwesende stehen zumindest indirekt in einem Abhängigkeitsverhältnis von der Regierung, die im Juni auch die Gegenveranstaltung zu Rio+20, den "Gipfel der Völker", logistisch und finanziell unterstützen wird.

"Es ist ein komplizierter Moment für die sozialen Bewegungen", sagt Nicola Bullard von der Bangkoker Denkfabrik "Focus on the Global South". Viele Teilnehmer fragen sich zudem, ob das WSF mit seinem Organisationschaos und der mangelnden Transparenz ein wirkungsvolles Instrument für die neuen Proteste in verschiedenen Teilen der Welt sei.

Dem Zugriff der Märkte entziehen

Inhaltlich kristallisierten sich die "Commons", die Gemeingüter, als neue Leitlinie heraus. Der alte Gegensatz zwischen Markt und Staat sei nur noch sehr bedingt tauglich, Auswege aus der Krise aufzuzeigen, meint die Commons-Expertin Silke Helfrich aus Jena: "Wir müssen eine neue Begrifflichkeit für die Welt entwickeln, die wir wollen."

In ihrem ersten Entwurf, der demnächst im Netz zu finden ist, stellen die Forumsdenker fest, Staat und Markt hingen gleichermaßen dem Fortschritts- und Wettbewerbsdenken an. Dies sei aber ein Entwicklungskonzept, das die Zerstörung der Erde zur Folge habe. "Statt des Monopols des Privateigentums schlagen wir soziale Eigentumsformen vor, um die Kontrolle, die Verwendung und den Erhalt der Ressourcen zu garantieren." Lebensnotwendige Gemeingüter wie Luft, Energie, Land, Wasser, Wälder oder Artenvielfalt müssten dem "Zugriff der Märkte und des Finanzkapitals" entzogen werden.

Diese Commons, zu denen auch Bildung, Gesundheit, Transport, Energie und Kommunikation gehören, sollen gemeinsam gemanagt werden. Die "radikale Demokratisierung von Wirtschaft und Politik" werde durch digitale Medien erleichtert. "Bei Kleinbauern, Indigenen, bei Wohnrauminitiativen oder im digitalen Milieu gibt es viele funktionierende Beispiele", so Helfrich. Schwierig sei es allerdings, diese auf die Ebene einer ganzen Gesellschaft zu heben.

Bis Juni wollen die Koordinatoren an ihrem Konzept weiterstricken. Auf dieser Ebene sei das Weltsozialforum wirklich innovativ, sagt Helfrich und hofft: "Bei der offenkundigen Konzeptlosigkeit der Gegenseite haben wir gute Aussichten, unsere Vorstellungen auf bald breiter Ebene bekannt zu machen."

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6 Kommentare

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  • M
    musikdieb

    @michey: Ich denke, das wird dem Begriff Commons nicht gerecht. Das klassische Beispiel der Commons ist ja der Gemeindeacker, der gemeinschaftlich verwaltet wird. Wie soll der "kopierbar" sein? Das verstehe ich nicht!?

     

    Hier der Direktlink zu dem Text, auf den ich unten angepriesen habe, da Keimform.de momentan scheinbar offline ist: http://www.denknetz-online.ch/IMG/pdf/Denknetz_Infobrief_14._Die_Debatte_um_Commons.pdf

     

    Das ist eine recht neutrale Übersicht und es ist auch die Kritik aus linker Sicht enthalten, dass Commons "Steigbügelhalter des Kapitalismus" sein könnten, was wohl auch Schattenfels so ungefähr sagen wollte, allerdings in völliger Unkenntnis der Thematik...

  • M
    michey

    Allein durch Konzepte zur Nutzung von Ressourcen werden meiner Ansicht nach Ressourcen nicht zu Commons. Ein wesentlicher Aspekt dafür, das aus Ressourcen Commons werden ist, dass sie möglichst leicht kopierbar bzw. nachbaubar sind. Die Frage nach der Kopierbarkeit hebt meiner Ansicht nach den Begriff der Commons vom Begriff der Gemeingüter ab. Deshalb würde ich Commons wie folgt definieren:

    "Commons sind Ressourcen, die zum Zweck der Verringerung des Aufwandes für Erschaffung und Unterhalt als Gemeinschaftsgüter ausgelegt sind und die gleichzeitig allgemein leicht kopiert werden können."

  • M
    musikdieb

    @Schattenfels: Mangelde Bildung in ökonomischen Dingen und ordnungspolitische Verwirrtheit unterstelle ich nach diesem dämlichen Kommentar erstmal vor allem dir. Als Kapitalist kann man außerdem noch viel besser leben, wenn sich die unteren Klassen selber zerfleischen.

     

    Was haben die Commons mit Guy Fawkes zu tun? Wie bitteschön kommst du auf die Idee, dass sie irgendwas mit "umbenannter Sozialdemokratie" zu tun haben? Staatliche Schulen, ÖPNV, GKV etc. sind KEINE Commons. Informiere dich erstmal, bevor du dich lächerlich machst.

     

    Ein guter Einstieg in die Thematik ist hier zu finden: http://keimform.de/2011/die-debatte-um-commons-und-gemeingueter/

  • S
    Schattenfels

    "Bei der offenkundigen Konzeptlosigkeit der Gegenseite haben wir gute Aussichten, unsere Vorstellungen auf bald breiter Ebene bekannt zu machen."

     

    Aber auf eine gemeinsame Erklärung können sich selbst nicht einigen, die Angehörigen "horizontaler Netzwerke".

    Die mangelde Bildung in ökonomischen Dingen, die daraus resultierende ordnungspolitische Verwirrtheit und die Uneinigkeit in den Konzepten lässt den globalen Kritiker-Jet-Set als Papiertiger erscheinen. Die Idee der "commons" (klingt so neu und toll, nicht wahr?) ist nichts weiter als umbenannte Sozialdemokratie: staatliche Schulen, ÖPNV, GKV etc. Mit solchen "Revoluzzern" kann man als Kapitalist gut leben. Kauft weiterhin Trommeln, Guy Fawkes-Masken und nachhaltige Flugtickets nach Südamerika, liebe Kinder der Bourgeoisie.

  • M
    musikdieb

    Bravo TAZ! Erst der Artikel über "Superreiche in der Krise" und jetzt das! Es gibt ja doch noch Hoffnung! Weiter so!

     

    Hier übrigens Silke Helfrichs Commons-Blog: http://commonsblog.wordpress.com/

  • S
    StefanP.

    Schwellenländer wie Südafrika, China, Indien oder Brasilien treten schon seit längerem äußerst selbstbewusst und vom Westen unabhängig auf. Vor allem bei außenpolitischen Sachverhalten agieren die Schwellenländer vollständig selbstbestimmt: http://wp.me/pNjq9-3uL. Der Westen sollte diese Chance ergreifen und mehr Zugeständnisse einräumen!