Weltklimarat unter Druck: Rücktritt des IPCC-Chefs gefordert
Die Glaubwürdigkeit des Weltklimarates ist in Gefahr. IPCC-Chef Pachauri soll zurücktreten, fordern Klimaforscher. Grund sind Fehler im letzten Bericht des Rates.
BERLIN taz | Ausgerechnet am Valentinstag, dem Tag der Liebenden, starteten sie ihren Gegenangriff. Die elf Wissenschaftler, die in dem renommierten Blog RealClimate allgemeinverständlich über neue Erkenntnisse der Klimaforschung berichten und debattieren, hatten offenbar die Nase voll. Seit Wochen sind sie und ihre Kollegen, die den jüngsten Bericht des Weltklimarats IPCC verfasst haben unter Beschuss. Es sind nur kleine Pfeile, die ihre Gegner öffentlich auf sie richten, aber sie treffen den IPCC und damit die gesamte Klimaforschung dahinter immer wieder an einer empfindlichen Stelle: der Glaubwürdigkeit. Deshalb regieren nun die Klimawissenschaftler auf jeden einzelnen in den vergangenen Wochen veröffentlichten Fehlervorwurf und wollen so den "interessierten Parteien, die ein Interesse an der Diskreditierung der Klimawissenschaft haben" etwas entgegensetzen.
Damit beginnt eine neue Runde in einem Streit, der seit Ende Januar über die Medien ausgetragen wird. Vordergründig geht es um tatsächliche oder vermeintliche Fehler im aktuellen Sachstandsbericht des IPCC.
Das Gremium trägt in regelmäßigen Abständen zusammen, was die führenden Wissenschaftler unterschiedlichster Disziplinen zum Klimawandel wissen. Und weil das die Basis für die Klimaverhandlungen auf der großen politischen Bühne bildet, geht es bei diesem Streit um mehr, als um Zahlendreher und Quellenfragen. Es geht um die Legitimation einer Politik, die Wirtschaft und Bürgern mit Verweis auf den Klimaschutz Verzicht und strukturellen Wandel abverlangt. Und es geht um die Frage, ob der IPCC diese Aufgabe noch erfüllen kann, ob er reformiert werden oder gar ersetzt werden muss.
Himalaja-Gletscher: Im zweiten Teil des aktuellen vierten Sachstandsberichtes taucht die Prognose auf, dass 80 Prozent der Himalaja-Gletscher voraussichtlich bis 2035 geschmolzen seien. Hintergrund ist ein zu sorgloser Umgang mit Quellen: Die nicht haltbare Prognose beruht auf einem 1999 geführten Interview des New Scientist mit einem indischen Wissenschaftler, das 2005 von der Umweltorganisation WWF in einem Bericht aufgegriffen wurde. IPCC hat den Fehler eingeräumt.
Niederlande: Ebenfalls im zweiten Teil des Berichtes wird erklärt, dass 55 Prozent der Niederlande unter dem Meeresspiegel lägen. Die Zahl stammt von der Niederländischen Umweltbehörde. Tatsächlich sind es nur 26 Prozent, 29 Prozent droht eine Überflutung durch höheren Wasserstand in Flüssen. Damit sind tatsächlich 55 Prozent des Landes vom Risiko einer Überflutung betroffen. Die Behörde spricht von einer "unkorrekten Formulierung" des IPCC.
Afrika: In dem von Pachauri selbst herausgegebenen zusammenfassenden Synthesereport taucht unter dem Stichwort Afrika die Formulierung auf: "Bis 2020 können die Erträge der regenbewässerten Landwirtschaft um 50 Prozent sinken". Dies geht zurück auf einen Bericht des marokanischen Klimaexperten Ali Agoumi, der laut Times keine wissenschaftlich begutachtete Studie darstellt. Die Klimawissenschaftler von RealClimate verweisen darauf, dass Agoumi Studien im Rahmen der nationalen Klimaberichterstattung von Marokko, Tunesien und Algerien zusammenfasst und damit die IPCC-Standards einhält. Sie räumen aber ein, dass bei der Verkürzung der Aussage im Synthesereport wichtige Nuancen verloren gegangen seien
Denn das Krisenmanagement des IPCC und seines Vorsitzenden Rajendra Pachauri sind umstritten. So ließ er sich mehrere Tage Zeit, bis er Ende Januar auf die Vorwürfe der britischen Tageszeitung Times reagierte, die über den peinlichen Zahlendreher bei der Prognose zu den Himalaja-Gletschern genussvoll berichtet hatte.
Und auch als deren Wissenschaftsredakteur Jonathan Leake immer wieder nachlegte, begnügte sich der IPCC mit einer einzigen Entgegnung und veröffentlichte dann noch ein längliches Statement über die Prinzipien seiner Arbeit. Statt sachlich und direkt zu kontern, weist Pachauri lieber auf die "organisierte Lobby" von Klimaskeptikern und Wirtschaftszweigen, die um ihren Profit fürchten.
"Jeder, der sieht, dass Aktivitäten gegen den Klimawandel seinen Profit verringern werden, wird augenscheinlich gegen die Klimaforschung sein", sagte Pachauri kürzlich in einem auf YouTube abgelegten Interview. Leake und die Times gehörten zu dieser Lobby, die er mit der Tabakindustrie und ihren Desinformationskampagnen vergleicht. Konkrete Belege dafür lieferte er jedoch nicht.
Und so gehen seine Verweise auf die mächtige Industrielobby nach hinten los, zumal Pachauris Kritiker ihm derzeit wieder seine schon lange bestehenden Beraterverträge mit Firmen wie Toyota und der Deutschen Bank um die Ohren hauen. Die Einnahmen daraus gingen alle an das indische Teri-Institut, dessen Präsident er ist, verteidigt sich Pachauri. Dass das Teri-Institut allerdings 1974 von dem indischen Industriellen Jehangir Ratanji Dadabhoy Tata gegründet wurde und Firmen wie BP, Coca-Cola, Oil-India und Tata-Chemicals gesponsort wird, stärkt Pachauris Argumentation jedoch nicht.
Sein Krisenmanagement ist so schlecht, dass er gehen müsste, sagen viele Klimawissenschaftler - auch wenn nur wenige so drastisch Worte wählen wie der für solche bekannte Hans von Storch, Leiter des Instituts für Küstenforschung am GKSS-Forschungszentrum in Geesthacht. "Pachauri hat zu langsam reagiert und ist pampig und arrogant mit Kritik umgegangen", sagte er der taz. "Damit erzeugt er den Eindruck, als sei der IPCC ein arroganter Sauhaufen, der auf Kritik nicht reagiert." Auch der Direktor des Potsdamer Instituts für Klimaforschung (PIK), Hans Joachim Schellnhuber, oder der renommiere Klimaforscher Hartmut Grassl legen Pachauri den Rücktritt nahe.
Andere halten das nicht für nötig, wie zum Beispiel der Klimaökonom Ottmar Edenhofer. Doch auch er sieht die Notwendigkeit einer Debatte beim IPCC, die "schmerzhaft, aber dennoch notwendig und nützlich ist". Deshalb solle ein unabhängiges Beratergremium die Verfahren des Weltklimarats auf den Prüfstand stellen. Edenhofer ist verantwortlich für den dritten Teil des kommenden fünften Bericht, der 2014 vorgelegt werden soll.
Auch im Wissenschaftsmagazin Nature haben sich Autoren früherer IPCC-Berichte Gedanken um die Zukunft des Weltklimarats gemacht. Der IPCC brauche eine komplette Überholung, sagte zum Beispiel Mike Hulme von der East-Anglia Universität in Norwich und schlägt dann die Zerschlagung des Gremiums in drei unabhängig voneinander arbeitenden Panels vor.
Eduardo Zorita von der GKSS in Geesthacht vergleicht die Vertrauenskrise des IPCC mit der der Banken nach der Finanzkrise und fordert eine unabhängige Klimaagentur nach dem Vorbild der Internationalen Atomenergiebehörde. Am weitesten geht wohl John Christy von der Universität Alabama, dem eine von den jeweiligen Experten moderiertes Klima-Wikipedia vorschwebt, das nicht mehr unter dem Dach der UN arbeitet. So sollen auch Minderheitenmeinung stärker Gehör finden.
Für den Potsdamer Klima- und Meeresforscher Stefan Rahmstorf, Mitautor des ersten Teilberichts, sind das keine Lösungen. Im Gegenteil: "Eine behördenähnliche Struktur bedroht den hohen wissenschaftlichen Standard der IPCC-Berichte, bei denen jeweils die besten Forscher weltweit mitarbeiten", sagte er der taz. Und auch für eine Wikipedisierung hat Rahmstorf keine Sympathie, da auch bereits jetzt abweichende Meinung berücksichtigt würden - "wenn sie wissenschaftlich relevant sind".
Rahmstorf spricht sich stattdessen für ein besser koordiniertes Überprüfungsverfahren während der Erstellung des Berichts aus. So kamen zwar beim letzten Mal über 90.000 Kommentare von Experten zusammen. Doch es gibt kein Regularium, dass gewährleistet, dass ein Gletscherforscher aus dem ersten Teil die Aussagen der Ökologen zu den Himalaja-Gletschern im zweiten Teil überprüft hätten.
Neben Pachauris Management und der Einhaltung von Qualitätsstandards steht aber noch eine grundsätzlichere Frage im Raum, nämlich die enge Verbindung des IPCC und der Politik. So fordert zum Beispiel von Storch, dass "wirtschaftliche und politische Partikularinteressen" aus dem Bewertungsprozess des Wissens "strikt herausgehalten" werden sollen. Publikationen von Firmen und NGOs hätten in so einem Wissenkorpus ebenso wenig etwas zu suchen, wie die Vertreter solcher Einrichtungen bei der Wissensbewertung.
Auch Schellnhuber verwies in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung darauf, dass die führenden Mitglieder und auch die Autoren der einzelnen Kapitel nicht strikt nach wissenschaftlicher Kompetenz ausgewählt würden, sondern in einem von der Politik mitbestimmten Prozess. Die Nähe zur Politik sei zwar gut gemeint sei und die Bereitschaft der Regierungen stärken solle, sich zum Inhalt der IPCC-Berichte zu bekennen. "Aber mit diesem Verfahren kommen nicht immer die besten Forscher zum Einsatz."
Zukünftig sollte der IPCC sich nicht mehr als zwischenstaatliches Gremium aufstellen, sondern unter die Schirmherrschaft der nationalen Wissenschaftsakademien begeben, so Schellnhuber. "Ich glaube nicht, dass das Produkt besser wird, wenn Regierungsvertreter von Venezuela oder Kuwait über die Schulter schauen."
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