Weltfinanzgipfel nach der Bankenkrise: Das Comeback des IWF
Der umstrittene Internationale Währungsfonds IWF ist seit der Asienkrise kaum noch von Bedeutung. Zum Glück, sagen viele. Doch nun soll er wieder wichtig werden - wichtiger denn je.
BERLIN taz Bis vor kurzem beschäftigten den Internationalen Währungsfonds (IWF) nur noch seine eigenen Probleme. Vor mehr als 60 Jahren als Hüter der Weltfinanzordnung und als Nothelfer für Länder mit Zahlungsproblemen gegründet, hatte er sich spätestens nach der Asienkrise von 1997 ins Abseits manövriert. Immer mehr Staaten in Schwierigkeiten suchten woanders Unterstützung. Die asiatischen Länder legten mit der Chiang-Mai-Initiative sogar die Grundlage für einen eigenen Währungsfonds.
Doch jetzt sieht es so aus, als könne der IWF plötzlich wieder da sein - wichtiger als je zuvor. Mit dieser Vorstellung jedenfalls reist der französische Staatspräsident und EU-Ratsvorsitzende Nicolas Sarkozy zum Weltfinanzgipfel in Washington, der diesen Freitag beginnt.
Das Spitzentreffen ist mächtig aufgeladen - vor allem von den Beteiligten selbst. Sarkozy würde dort am liebsten die "Neugründung des Kapitalismus" ausrufen. Aber auch jenseits dieses Pathos ist klar: Auf dem Gipfel muss es darum gehen, nicht nur die Bekämpfung der Finanz-, Währungs- und Wirtschaftskrise zu koordinieren, sondern auch die Basis für ein neues globales Finanzsystem zu legen. Und hier kommt der IWF ins Spiel.
Ihm haben die EU-Länder eine "dominante Rolle" bei der globalen Finanzmarktregulierung zugedacht, wie Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) sagt. Eine neue Aufgabenbestimmung für den Fonds ist deshalb neben einer verbesserten Kontrolle der Finanzbranche samt Frühwarnsystem ein zentrales Ziel der Gespräche.
Dabei soll der Weltfinanzgipfel nur ein erstes Treffen dieser Art sein. Geht es nach den Staatschefs der EU, soll das nächste, an dem dann auch der neue US-Präsident Barack Obama teilnehmen wird, bereits in 100 Tagen folgen. In Washington treffen sich nun zunächst die Vertreter der G 20, also die Regierungsoberhäupter der wichtigsten Industrienationen und Schwellenländer. Hinzugebeten hat Sarkozy noch Spanien und die Niederlande. Nicht eingeladen sind dagegen die Entwicklungsländer.
Der Ausbau des IWF zu einer neuen Weltfinanzaufsicht ist allerdings umstritten. Für seine Kritiker hat er sich längst diskreditiert. Es sei offensichtlich, dass er in seiner jetzigen Form weder als Wachhund noch als Krisenbekämpfer tauge, sagen Nichtregierungsorganisationen.
Aber auch der Börsenguru George Soros hält die IWF-Politik für doppelzüngig: "Der sogenannte Konsens von Washington verlangt von anderen Staaten eine strikte Marktdisziplin, spart aber die USA aus."
Der umstrittene "Konsens von Washington" ist seit 1990 das Grundprinzip der IWF-Politik: Kredite an notleidende Länder werden mit harten Auflagen wie Privatisierung und Liberalisierung der Märkte verknüpft. Der Staat soll sich aus volkswirtschaftlich entscheidenden Bereichen zurückziehen.
Die ursprüngliche Idee hinter dem IWF war eine andere. 1945 wurde der Fonds zusammen mit der Weltbank eingerichtet, als Folge des Bretton-Woods-Abkommens von 1944, das die Grundlage für die Weltfinanzordnung der Nachkriegszeit gelegt hat und 1973 scheiterte - seitdem erschüttert übrigens eine Krise nach der anderen die Finanzmärkte.
Der IWF hatte zunächst zwei Aufgaben: erstens die Überwachung des Bretton-Woods-Systems, das sich auf die Leitwährung US-Dollar und seine Unterlegung durch Goldreserven sowie fixe weltweite Wechselkurse stützte. Zweitens sollte er Nothelfer für Länder mit Zahlungsproblemen sein.
Derzeit hat der Fonds 185 Mitgliedsländer, deren Stimmrecht sich an ihrem Kapitalanteil orientiert - was ein wesentlicher Kritikpunkt ist. Denn IWF-Beschlüsse müssen mit einer Mehrheit von 85 Prozent getroffen werden. Damit haben die USA mit einem Anteil von allein fast 17 Prozent oder auch die EU-Staaten gemeinsam praktisch eine Sperrminorität.
Diesem Stimmübergewicht der reichen Länder war es auch zu verdanken, dass sich der Konsens von Washington überhaupt durchsetzen konnte. Erfolgreich war diese neoliberale Politik nicht. Die Schuldenkrise der Entwicklungsländer vermochte der Fonds bis heute nicht zu lösen. 1997 überraschte ihn die Asienkrise, nachdem er die Länder der Region zuvor zu Deregulierung und Liberalisierung gedrängt hatte.
Seine "Krisenlösung", die Forderung nach höheren Zinsen und Ausgabenkürzungen, trieb die betroffenen Länder nur noch tiefer in die Rezession. Auch die lateinamerikanischen Länder bezahlten ihre Kreditabhängigkeit vom IWF mit anhaltender Stagnation, Argentinien gar mit einer anhaltenden Wirtschaftskrise.
Diese Misserfolge schadeten dem Image des Fonds in weiten Teilen der Welt, eine zunehmende Zahl von Schwellenländern machte sich finanziell unabhängig. Trotzdem ist er in der jetzigen Krise wieder gefragt - und droht wieder überfordert zu sein. Kaum haben Länder wie Ungarn und die Ukraine seine Hilfe in Anspruch genommen, könnte ihm das Geld ausgehen.
Rund 250 Milliarden US-Dollar will der IWF zur Verfügung stellen, das ist etwa so viel wie in der Asienkrise. Und deshalb vermutlich zu wenig, weil es sich dieses Mal um eine globale Krise handelt. Der Fonds wird deshalb auf neues Geld angewiesen sein. Japan hat bereits im Vorfeld des Gipfels zusätzliche 80 Milliarden US-Dollar angeboten.
Allerdings wird in der aktuellen Krise auch die Doppelmoral der Industrieländer besonders deutlich. Sie haben die Probleme verursacht, unter denen sie jetzt leiden. Auf sich aber wollen sie die üblichen IWF-Rezepte lieber nicht anwenden. In ihrer Not setzen sie auf den Staat und rufen nach verbindlichen Regeln für alle. Sie spannen nationale Rettungsschirme für die Banken auf, setzen auf milliardenschwere Konjunkturpakete und verstaatlichen sogar Teile ihrer Finanzbranchen.
Deshalb ist es nicht nur völlig unklar, auf was für ein neues globales Finanzsystem sich die Regierungen der G 20 einigen können. Genauso wenig ist zu erkennen, wie der in vielen Ländern diskreditierte IWF dort hineinpassen soll. In einer "gestärkten Aufsichtsfunktion", wie viele EU-Länder fordern? Als globale Finanzpolizei, wie es sich Frankreich vorstellt?
Obamas Berater James K. Galbraith hält das Legitimationsproblem des IWF nach den "krisenverschärfenden Ratschlägen in den 90er-Jahren" derzeit jedenfalls für zu tief, als dass der Gipfel einfach nur dessen Wiederbelebung beschließen könne.
Eine Möglichkeit wäre es, noch einmal komplett neu anzufangen - quasi mit einem neuen Bretton Woods. Und mit einer Anleihe bei dem Ökonomen John Maynard Keynes, der unter anderem die Notwendigkeit von aktiver Konjunkturpolitik belegt hat und deshalb derzeit ohnehin en vogue ist. Keynes war 1944 an der Bretton-Woods-Konferenz beteiligt.
Aus seinen Erfahrungen mit der Weltwirtschaftskrise der 30er-Jahre hatte er im Auftrag der britischen Regierung einen Plan für die Nachkriegsfinanzordnung vorgelegt.
Diesen Plan holen nun die Globalisierungskritiker des internationalen Netzwerks von Attac wieder hervor. "Der Keynes-Plan bietet Antworten auf zwei der dringendsten Probleme, das notorische US-Handelsbilanzdefizit und die unkontrollierten Wechselkursschwankungen des US-Dollar", sagt Attac-Finanzexperte Philipp Hersel.
Kernstück des Keynes-Konzepts war eine internationale Clearing-Union. Dahinter verbirgt sich eine Art internationale Zentralbank, bei der jeder Staat ein Konto für seinen internationalen Zahlungsverkehr unterhält. Alle Transaktionen bei dieser Bank - Einnahmen aus Exportgeschäften etwa oder Ausgaben für Importe - würden in einer einheitlichen Weltwährung verrechnet, an die die Wechselkurse aller nationalen Währungen gebunden wären.
Das Keynes-Revival
Dass sich Keynes 1944 in Bretton Woods nicht durchsetzen konnte, lag daran, dass die USA ihren Dollar dann nicht als Weltwährung hätten etablieren können. Allerdings wäre es vermutlich auch nicht zu den Handelsbilanzdefiziten der USA gekommen, die wesentlich zur Destabilisierung des Finanzsystems beigetragen haben.
Während jedes Entwicklungsland in einem solchen Fall auf Kredite des IWF angewiesen wäre und dessen Bedingungen erfüllen müsste, können die USA einfach ihre Währung ab- und damit ihre Schulden entwerten. Umgekehrt gibt es Länder mit Handelsbilanzüberschüssen wie Deutschland oder China, die das System aber auch nicht stabilisieren müssen. Nach Keynes hätte etwa Deutschland seine Exporteinnahmen bei der Clearing-Union einzahlen müssen - und ab einer bestimmten Höhe die Auflage bekommen, die Inlandsnachfrage zu fördern.
Obwohl die Bundesregierung allein aus diesem Grund ein Keynes-Revival bekämpfen wird, hält Attac die Idee auf lange Sicht nicht für völlig chancenlos. "China etwa betrachtet den Dollarverfall als eine Bedrohung für seine Devisenreserven und hat ein großes Interesse an einer Stabilisierung des US-Dollar", sagt Attac-Finanzexperte Hersel.
Dass China die mehr als 60 Jahre alten Ideen des Briten Keynes verwirklichen wird, ist für den Weltfinanzgipfel an diesem Wochenende sicher nicht zu erwarten. Eines aber wird deutlich: Über den Umbau des Weltfinanzsystems und des IWF dürfen und können die USA und Europa nicht mehr alleine bestimmen.
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