Weitere Todesurteile im Iran: Teheran setzt auf Einschüchterung
Mit Todesurteilen geht Irans Regime gegen Menschen vor, die es stürzen wollen. Auch einem deutsch-iranischen Monarchisten droht ein Todesurteil.
Am Dienstag wandte sich Gazelle Sharmahd, Tochter des Deutsch-Iraners Jamshid Sharmahd, in einem Videoclip an die Öffentlichkeit. Sie fürchtet, dass ein Todesurteil gegen ihren Vater bevorsteht. Der Prozess gegen ihn sollte am Dienstag fortgesetzt werden, über ein Urteil wurde bis Redaktionsschluss am Dienstagabend aber nichts bekannt.
Sharmahd, der als Kind nach Deutschland kam und seit 2003 in den USA lebte, wird beschuldigt, einen Bombenanschlag geplant zu haben. Er weist die Vorwürfe zurück. 2020 wurde er aus Dubai entführt und in Teheran inhaftiert. Der heute 67-Jährige war bei Tondar aktiv, einer Gruppierung, die einen Regimesturz und die Wiederherstellung der Schah-Monarchie in Iran anstrebt. Der Prozess steht nicht in direktem Zusammenhang mit den Protesten.
Symbolische Unterstützung erhielt Sharmahd am Montag von Friedrich Merz. Der Unionsfraktionschef teilte in einem Video mit, er habe eine politische Patenschaft für Sharmahd übernommen. Von Iran forderte er Aufklärung über den Gesundheitszustand und die Haftbedingungen von Sharmahd.
Weitere Todesurteile
Die vergangenen Tage haben die Strategie des Regimes gegenüber der Protestbewegung erneut gezeigt: Nachdem am Samstag weitere zwei Männer hingerichtet wurden, verhängte die Justiz Anfang der Woche erneut Todesurteile im Zusammenhang mit den Protesten. Drei am Montag Verurteilten wurde wie bei früheren Urteilen die vermeintliche Tötung von Sicherheitskräften zur Last gelegt, dem am Dienstag Verurteilten Rädelsführerschaft bei Unruhen.
Mehr als 20 weiteren Personen droht laut Amnesty International derzeit die Todesstrafe im Zusammenhang mit den Protesten. „Menschen werden im Zuge von unfairen Scheinprozessen zum Tode verurteilt, um die Bevölkerung einzuschüchtern“, teilte die Organisation mit.
Von „staatlich sanktionierten Tötungen“ sprach am Dienstag der UN-Hochkommissar für Menschenrechte Volker Türk. Die Prozesse würden internationalen Mindeststandards nicht entsprechen. Alle vier bislang exekutierten Männer seien zudem heimlich getötet worden, ohne dass die Familien informiert waren, was einen Verstoß gegen Menschenrechtsnormen darstelle. Am Wochenende gab es in Iran erneut Protestaktionen gegen die Hinrichtungen.
Weniger beachtet von der Öffentlichkeit verhängt die Justiz zudem jahrelange Haftstrafen gegen Protestteilnehmer*innen. So wurde etwa am Montag der ehemalige Fußballprofi Amir Nasr-Asadani zu insgesamt 26 Jahren Gefängnis verurteilt. Auch die Tochter des früheren Präsidenten Akbar Haschemi Rafsandschani wurde nach Angaben ihrer Anwältin zu fünf Jahren Haft wegen Beteiligung an Protesten verurteilt.
Protest aus Berlin
Die Bundesregierung hat mit scharfer Kritik auf die Hinrichtungen reagiert. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) forderte am Montag, dass das Regime keine Todesurteile mehr verhängt und zu Unrecht Inhaftierte sofort freilässt. Das Auswärtige Amt bestellte Irans Botschafter ein. Dies hatte es bereits nach der ersten Hinrichtung im Zusammenhang mit den Protesten am 8. Dezember getan. Der Iran hatte im Dezember auch den deutschen Botschafter einbestellt und gegen „anhaltende Einmischung“ in innere Angelegenheiten Irans aus Deutschland protestiert.
Aktivist*innen in Deutschland fordern die Ausweisung des iranischen Botschafters, was aktuell jedoch nicht zur Debatte steht. Allerdings ist der Tonfall im Vergleich zu den Vorjahren, als sich Berlin noch für eine Wiederbelebung des Atomabkommens einsetzte, ein neuer. Nicht zu erkennen ist dagegen eine Strategie für den Fall, dass Iran einsatzfähige Atomwaffen entwickelt. Für eine militärische Lösung – Angriffe auf Atomanlagen, wie es sich Israel vorbehält – spricht sich kaum jemand offen aus.
Derweil haben sich prominente Exil-Iraner*innen weltweit zu einer losen Koalition zusammengetan, darunter die Aktivistin Masih Alinejad, der Ex-Kronprinz Reza Pahlavi, die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi, der Aktivist Hamed Esmaeilion sowie der Generalsekretär der kurdischen Komala-Partei Abdullah Mohtadi.
Der Analyst Ali Fathollah-Nejad wertete den Zusammenschluss als einen wichtigen Schritt, um der iranischen Diaspora eine einheitliche Stimme zu verleihen, mit der die internationale Gemeinschaft zu mehr Druck auf Teheran bewegt werden könne. Er wies aber darauf auf hin, dass der Einfluss der Koalition auf die Aufstandsbewegung innerhalb Irans unklar sei und dass bislang keine der vertretenen Personen Irans Arbeiterklasse repräsentiere, die er für eine mögliche Revolution als zentral ansieht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“