: Weit aus dem Fenster gelehnt
betr.: „Zentrumspartei hat nicht gelitten“, Leserbrief vom 23. 9. 05
Ulrich Kypke lehnt sich ja in seinem Leserbrief weit aus dem Fenster: „dass gelegentlich auch die taz unwahre Geschichtslegenden […] übernimmt“. Allerdings hätte er seine Aussagen doch nochmal überprüfen sollen:
1. Theodor Heuss war kein Abgeordneter des Zentrums, wie Kypke schreibt, sondern der Deutschen Staatspartei, die aus der Deutschen Demokratischen Partei hervorgegangen war und 1933 noch gerade einmal fünf Abgeordnete hatte, unter ihnen neben Th. Heuss auch den späteren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Reinhold Maier und den späteren Bundesminister Ernst Lemmer.
2. Theodor Heuss als „aktiven Beseitiger der Demokratie“ zu bezeichnen ist dann doch erklärungsbedürftig. Einerseits stimmt es, dass Heuss mit seiner Fraktion für das Ermächtigungsgesetz gestimmt hat. Andererseits stimmt aber auch, dass Heuss bereits eine Rede gegen das Ermächtigungsgesetz aufgesetzt hatte (der Entwurf ist uns erhalten, wenn ich nicht irre), die er im Reichstag gehalten hätte, wenn ihm nicht die vorausgegangene Fraktionssitzung einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte.
In dieser Sitzung, so gab Heuss später an, traten er selbst und Hermann Dietrich gegen die Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz auf, aber die anderen drei, Reinhold Maier, Ernst Lemmer und Heinrich Landahl, stimmten dafür, vor allem um gegenüber der Öffentlichkeit die Geschlossenheit der Partei zu demonstrieren. Heuss fügte sich dem Fraktionszwang. Man kann ihm sicherlich vorwerfen, dass er die Gefährlichkeit der NSDAP nicht erkannt hat, dass er sich hinter dem legalistischen Verhalten der bürgerlichen und katholischen Parteien versteckt hat.
Man kann sich auch fragen, was er von dem Verschwinden der KPD und von Teilen der SPD-Fraktion wohl gehalten haben mag. Ihn aber als treibende Kraft hinter der Beseitigung der Demokratie zu bezeichnen, das halte ich denn doch für übertrieben.
INGO DIERCK, Dannstadt-Schauernheim