DAS ANIMAL RAUSLASSEN : Weise Blondinen
Dass das Kondenswasser vom meterhohen Scheinwerfergestänge direkt ins Bier tropfte, passte gut – im Kesselhaus wird es schnell heiß und stickig.
Vor allem, wenn Juliette Lewis spielt, deren Rock-’n’-Roll-Begriff auf angenehm altmodische Weise aus Schweiß und Show, Hingabe und Das-Animal-Rauslassen besteht. „Vielleicht wollt ihr mit den Hüften wackeln?“, fragte Lewis das Publikum gegen Mitte des Sets. „Wenn ihr dafür zu schüchtern seid, dann wackelt doch mit den Titten!“
Sie selbst wackelte mit allem auf einmal und sah in einem mit Federschulterpolstern geschmückten, asymmetrischen rot-schwarzen Glitzerbody ein bisschen nach Bootsy Collins aus, wenn der sich zum Aerobic angemeldet hätte, aber Mick-Jagger-Tanzschritte lernt. Außer diskutablem Outfit-Geschmack gab es also an ihr nichts auszusetzen.
Allein die Songs sind, genau wie ihr neues Album „Terra Incognita“, gesichtslose Versatzstücke der amtlichen Rockröhrenattitude: viel Pathos um wenig Refrain, viel Haareschleudern und Gitarrengegniedel um wenig gute Riffs. Wenn jemand der (bis auf ihre unbegreifliche Scientology-Zugehörigkeit) durchweg sympathischen Ausnahmeerscheinung doch nur mal ein paar gute Songs schreiben könnte!
Dem vollen Kesselhaus war das schnurzpiepe: Erstens gibt es jede Menge beinharte Fans, die Lewis’ Energie und Bühnentalent bewundern und die hookfreien Stücke tatsächlich mitsingen, und zweitens ist es auch eine Leistung, Menschen zum Mitmachen zu animieren, die die Musik nicht kennen. Neben mir brüllten zwei Twen-Blondinen „Juliette, ich will ein Kind von dir!“ und fachsimpelten darüber, dass sie die Lewis gern als Vorgruppe für ihre eigene Band verpflichten würden. Oder wen sonst? „Metallica!“ „Nee, lieber Die Ärzte!“ „Ist ja doof, wenn die Vorband besser ist als man selber.“ Die Jugend wird auch immer weiser. JENNI ZYLKA