Weird Folk: Raus aus dem Kuscheluniversum
Animal Collective haben ein neues Album gemacht: "Strawberry Jam". Das klingt nach Kirmes-Elektronik und dreht sich irgendwie um Sex. Und Politik.
Animal Collective sind das bekannte und titelbildakzeptable Gesicht der nun auch nicht mehr ganz neuen Bewegung "New Weird America". Mit diesem Namen werden zwei in mancher Hinsicht unterschiedliche Phänomene benannt; nämlich entweder gezielt formloser, oft frei improvisierter und um entlegene Spieltechniken bemühter Kollektivsound, vorgetragen meist von jungen Männern mit eigenwilligen Knoten und Verschlingungen im Haar und nicht immer der allerbesten Körperhygiene. Als Vertreter nennt man normalerweise die No Neck Blues Band, Sunburned Hand Of The Man, Pelt, Jackie-O-Motherfucker u. v. a. Oder aber es geht um das mit allerlei wisprigen und knirspeligen Klangfarben verzierte, bunt gewürfelte Individualisten-Songwritertum von gehätschelten Persönlichkeiten mit Verbindung zu polysexuell-queeren Metropolen-Lebensentwürfen - also um die Welt zwischen Devendra Banhart und CocoRosie. Das Animal Collective stellt aber nicht nur ein akzeptables, also eingängiges, verständliches Gesicht für diese auseinanderstrebenden Neuentwicklungen aus den USA zur Verfügung, es bildet auch genau die Schnittmenge zwischen den beiden Strömungen.
Speziell das neue, noch songorientiertere Album des Kollektivs, "Strawberry Jam", fügt nicht nur im Titel die beiden zentralen Themen der beiden Bewegungen zusammen: die süße, sinnliche Erdbeere exzessiver Ekstasen und die endlosen Jams befreiter Spielweisen. Bei den meisten dieser barfüßigen neuen Improv-Bands war es ja darum gegangen, das Spielen selbst, das Musizieren, das Halten von Instrumenten aus der ichschwachen Hingabe an entweder Traditionen oder irgendwelche Ideen von Kompetenz zu befreien. Zu Recht! Schließlich ist zeitgenössische Pop-Musik mittlerweile aller Sparten, auch die originelleren Varianten, total verliebt darin, sich von der je eigenen künstlerischen Entscheidung zu distanzieren, indem man sie als Teil einer Tradition, eines verdienten Style, einer kollektiven großen Sache ausgibt. Das ist zwar eine für junge Leute probate Selbst-Ermächtigungsmaßnahme, ein Versuch, zu etwas Größerem, immer schon Legitimem zu gehören, der das Muffensausen aus präpotenten Akten ablässt. Aber diese Maßnahme hat nur einen Sinn vor dem Auge der Geschichte, wenn am Ende das Selbst bei der Selbstermächtigung nicht vergessen wird und der akute historische Moment im Medium der Tradition zu seinem Recht kommt. Das ist aber weder bei den aktuellen Erben ewiger Rock-Rebellionen noch bei den technologisch avancierteren Genres der Fall.
Popmusik hat vergessen, dass aus ihrer postmodernen Selbstbezüglichkeit längst ein selbstgenügsamer Traditionalismus geworden ist. Das Vorgehen gegen diesen Zustand eint die genannten nordamerikanischen Phänomene (und ihre europäischen und japanischen Verbündeten), auch wenn sie dabei zuweilen auf das Paradox stoßen, sich der Traditionen der Avantgarde zu bedienen. Und im Zuge des Bekanntwerdens der Bewegung etablierte sich noch ein anderes Missverständnis: Im Bemühen, auch die freie Improvisation aus den altbekannten Gesten heteromännlicher Ausdruckskunst und demonstrativer Virtuosität herauszuführen in ein freies Gelände unvorhersehbarer Prozesse, griffen viele der neuen weirden Kollektive zu unverstärkten, wenigstens aber leisen Instrumenten - am unverstärkten Instrument ließ sich nicht nur manch expressiver Automatismus besser unterlaufen, sondern auch noch mal grundsätzlich prüfen, was dieses seltsame Verschmelzen eines Körpers, einer Subjektivität und eines Instrumentes eigentlich bedeutet, das wir Musizieren nennen. Doch diese Haltung trug der Bewegung die Assoziation Folk ein. Denn es ließ sich ja auch das Zirpen in der anderen, der eher songorientierten, queeren Citymusik als folkig verbuchen. Mandolinen und hohe Männerstimmen lösten innere Straßenfeste in den Köpfen aus. Dabei ist Folk, als der Name einer Musik, die sich in erster Linie in eine Tradition einreihen will, für alle Varianten dieser Szene ganz und gar unangebracht.
In diesem Lichte ist es zu sehen, dass Animal Collective sich neuerdings von allem, was zirpt, ziemlich verabschiedet haben. Auf "Strawberry Jam" dominiert vor allem eine Klangfarbe, die man Kirmes-Elektronik nennen könnte. Elektrische und elektronische Keyboards, zwitschernde und euphorisch quietschende Sound-Effekte poltern und kullern in meist leicht hysterischer Hochgeschwindigkeit. Den Rhythmen fehlt dabei jede groovige Mitte, sie schwanken zwischen unkontrollierter Verausgabung der sich selbst aufbauenden Körperlichkeit, reiner Mechanik und glücklicher Erschöpfung. Minimalistisch-transzendentale Rammdösigkeit ist immer nahe, wird aber nie beinhart durchexerziert. Man glaubt nicht in einem tiefen oder fetischistischen Sinne an die Mittel, die man benutzt.
Das Animal Collective arbeitet aus demselben Geist möglichst unvorhersehbaren Musizierens wie ihre improvisierenden ungewaschenen Freunde; aber dieser Geist entwickelt sich nicht im Verhältnis zum Instrument, sondern im Verhältnis zu Zugriffsmöglichkeiten auf Tools, Instrumente, Daten. Das ist vielleicht zeitgemäßer, birgt aber die Gefahr, das Unvorhersehbare einfach nur zu administrieren. Die durchweg deutliche Songstruktur soll zwar die jeweiligen Einzelfälle des experimentellen Zugriffs von zu großer Dramatik entlasten. Dass dadurch nun die Gefahr der Beliebigkeit aufkäme, kann aber die immer starke, aufdrehende Herrlichkeit des Singens verhindern. Die Songs erscheinen nicht wie im Neo-Rock so oft als exekutierte Schemata, sondern als würden sie ihre Formen und Melodien erst durch das Vor-sich-Hertreiben von Klangmaterial während des Prozesses hervorbringen.
Das könnte alles wunderbar sein und wir schwärmen in unseren Zirkeln ja auch schon eine ganze Weile von diesen lustigen Typen mit Namen wie Panda Bear und Geologist. Die Frage, die sich stellt, nachdem die unmittelbar erheiternde Überraschung durch diese Musik abzuflauen beginnt, ist natürlich, worum es dieser Kunst geht. Und die Antwort lautet, wie immer, wenn einen neuartige Popmusik überrascht: um Sex. Und um Politik. Und so soll es ja auch sein. Aber um welchen bzw. welche, fragen wir weiter.
Nun, natürlich ist eine polysexuelle Aufsprengung ebenso langweiliger wie gemeingefährlicher Körperpolitik gemeint, was hast du denn gedacht! Eine irgendwie queere Entspannung der Welt. Ist nicht jede klanglich gewordene Neu-Verdrahtung von Begehrensapparaten immer eine ganz entzückende Musik? Am Ende der Polysexualisierung aber lauert, und das ist bei offensiv süßen Stars immer das Problem, die Desexualisierung. Wenn alles besetzt ist, ist nichts besetzt. Stofftier-Werden statt Tier-Werden.
Um die Entscheidung darüber, worauf es hier hinausläuft, ausnahmsweise über die zu Recht verpönte Methode der Albumtitelauslegung zu erzwingen: Die Erdbeere ist zwar ein Sixties-Symbol für unschuldige Verschlingungen von Sex und Utopia - von den Strawberry Fields und der Strawberry Alarm Clock über die Wilden Erdbeeren bis hin zum Strawberry Manifesto, das als Film und Buch Campus-Revolte und Pubertäts-Erwachen engführte. Aber Jam - also Marmelade, formloses Zusammenspiel - kann zugleich als die weitergeführte, bearbeitete, auf den Punkt gebrachte Version der Frucht verstanden werden, als erwachsene Version von Nichterwachsensein - wie leider auch als trübes Aufsparen, Einkochen, Verwalten, Hökern und Zum-Frühstück-Servieren. Jam heißt schließlich auch Hemmung, Stau. Und diesen Stau kann man in der Rammdösigkeit, in den Erschöpfungen genauso hören wie die pansexuellen Paradiese.
Es werden also Umwege, Schwierigkeiten in den Utopismus gewoben, nicht einfach der Kinderkram umarmt. Man kann den Fallen von Infantilismus und Regression nur entkommen, wenn man sie richtig und erwachsen weitertreibt und nicht im Kuscheluniversum der halberwachsenen Nostalgie hängen bleibt. Das Animal Collective nähert sich zwar der Stofftier-Sexualität, schrammt aber angemessen weit an diesem Abgrund vorbei. Denn es kennt eine Antwort, aber es ist eine angemessen komplexe Antwort auf eine Situation, in der man nicht mehr unschuldig und exzessiv zugleich sein können will, aber die Energie, die man einst im Namen des Herumtollens mobilisieren könnte, dringend benötigt wird. Nur nicht für unschuldige Akte, also solche, die man niemandem zurechnen kann, sondern für die anderen. Die, die man will und vertritt.
Animal Collective: "Strawberry Jam" (Domino/Rough Trade)
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