Weihnachtsfiguren aus dem Erzgebirge: Die Spielzeugmacher
Figuren aus Holz drehen, schnitzen und bemalen. An Weihnachten läuft das Geschäft mit Nussknackern und Holzfiguren in der Kleinstadt Seiffen.
Im Zentrum von Seiffen kreuzen sich zwei Straßen. Die Hauptstraße führt einmal durch das 2.800-Seelen-Dorf, zu Schauwerkstätten, kleinen Lädchen mit Schwibbögen, Räuchermännchen, Nussknacker und Engelchen, zum Spielzeugmuseum, und zum Freilichtmuseum. Die Deutschneudorfferstraße führt wieder hinaus, Richtung Mittelgebirge, hinauf zur Dorfkirche und zum Skilift. Im letzten Drittel des Jahres kommen Menschen aus der ganzen Welt. Alle wollen sehen, wie und wo die erzgebirgische Holzkunst hergestellt wird. Hier ist dieses Kunsthandwerk zu Hause. Seit über 300 Jahren stellen die Drechsler in und um Seiffen Holzspielzeug her, alles von Hand.
Gunter Flath betreibt seine Werkstatt seit 1975 – davor hatte er keine Erlaubnis für ein Privatgewerbe in der DDR bekommen. „Da gab es dann die sogenannte Feierabendarbeit, da konnte man für 300 Euro im Jahr nebenher produzieren“, erzählt er. Dann hat er sich auf das Stübelmachen spezialisiert – die Nachbildung von kleinen Stübchen, wie Mini-Puppenhäuser aus Holz, in denen ein Ausschnitt aus dem Leben der Figuren dargestellt wird.
Heute macht er das mit seiner Tochter Cornelia, beide haben ihre Meisterprüfung als Holzspielzeugmacher abgelegt. In der kleinen Werkstatt ist es gemütlich; wenn man die Stube betritt, kommt einem der Holzgeruch schon entgegen. An den Wänden sind bis fast zur Decke die Holzkunststücke von Gunter und Cornelia Flath zu sehen. „Meine erste Idee war ein Drehwerk. So wie es früher war, das waren arme Leute damals.“
In seine Handfläche passt die kleine Stube perfekt hinein. Darin sind die kleinen Figuren zu sehen. Drei Männer arbeiten in der Stube, jeder übt eine spezielle Tätigkeit aus: Der eine steht an der Drehbank, der andere schneidet das Holz zurecht, der Dritte schnitzt. Überall zu ihren Füßen liegen Sägespäne. Alles in Handarbeit.
„Ich lege Wert auf Schönheit. Wir produzieren keine Billigware“, sagt Gunter Flath. Die Ideen für seine Holzkunststücke entwickeln sich langsam. „Man kann erst anfangen, wenn man eine genaue Vorstellung von einem Projekt hat.“ In seinem Sortiment sind momentan 30 Stuben, handgemacht, die man sowohl vor Ort als auch im Netz bestellen kann. „Manchmal bringen mich auch die Kunden auf Ideen“, sagt er.
Eine Idee, die von einem Kunden kam, ist der Hörsaal. Auf sechs Reihen sitzen Studierende bei einer Medizinvorlesung, der hölzerne Dozent hat vorne ein Modell eines menschlichen Torsos, ein menschliches Skelett hängt neben der Tafel, auf der Formeln und Grafiken geschrieben sind, die hoch- und runtergeschoben werden können. Absolute Kleinstarbeit.
Cornelia Flath.
Auch dieses Kunstwerk passt gerade mal in die Handfläche – aber es geht noch kleiner. Der Stübelmacher macht auch Stuben in Streichholzschachteln, die so groß sind wie ein Fingerglied. In der Schachtel verstecken sich dann die Figuren: Eine Bauernfamilie, die Heiligen Drei Könige, ein Klassenzimmer oder auch Engel und Bergmann. Das Traditionsduo.
In der Werkstatt von Gunter und Cornelia Flath können Besucher*innen nicht nur zusehen, wie die Spielzeugmacher die Figuren aus Holz drehen, schnitzen und bemalen. Wer mag, darf auch selbst mal an die Drehbank. Das braucht nicht nur Geschick, sondern auch Kraft. „Das ist hier wirklich schwere Arbeit – und trotzdem muss man das mit Feingefühl machen“, sagt Cornelia Flath. Dann werden die Figuren bemalt.
In Seiffen hat jede der rund 120 Werkstätten ihre eigene Maltechnik, der Kenner weiß mit einem Blick, von welchem Handwerker eine Figur stammt. Die Techniken wurden von Generation zu Generation weitergegeben, wie ein Familiengeheimnis.
Die Holzspielzeugmacher gibt es seit dem 17. Jahrhundert in Seiffen. Die romantische Vorstellung, dass die Bergleute damals die Holzarbeit aus Lust und Freude begannen, ist falsch. Die Bergleute waren gezwungen, im Nebenerwerb die Holzarbeit aufzunehmen, getrieben von Armut, da die Bergarbeit zum Überleben nicht ausreichte. Im 18. Jahrhundert war die Holzarbeit ein stabiler Nebenverdienst, die Drechsler stellten Teller, Tassen, Knöpfe her – alles, was sie eben aus Holz drehen konnten.
Holzarbeit: Nicht nur in Seiffen gibt es Schnitzkunst – im gesamten Erzgebirgskreis können Besucher*innen dieses Handwerk erkunden, von Deutschneudorf über Heidelberg bis Olbernhau. Jeder Ort hat sich auf etwas anderes spezialisiert.
Kettensägenkunst: Wer mit dem Auto eine halbe Stunde von Seiffen nach Dorfchemnitz fährt, kann eine besondere Form der Holzarbeit bestaunen: Kettensägenschnitzerei. Im Walderlebniszentrum Blockhausen sind riesige Holzskulpturen ausgestellt, meist sind es geschnitzte Wildtiere oder Götterfiguren, die alle mit einer Kettensäge aus dem Holz geformt wurden. Einmal im Jahr, zu Pfingsten, findet hier auch ein Wettbewerb statt, der Huskycup. Dann kommen Kettensägenschnitzer*innen aus der ganzen Welt zusammen – aus Japan, den USA, Großbritannien, Frankreich – um sich gegenseitig zu beweisen. Einige der Schnitzereien können auch in Blockhausen gekauft werden. Der Eintritt ist frei, oben angekommen kann man sich hinsetzten und ein Kaltgetränk sowie einen Snack kaufen.
Unterkunft: Wer in Seiffen übernachten möchte hat mehrere Möglichkeiten, die in der Adventszeit rechtzeitig gebucht werden sollten. Im Hotel „Buntes Haus“ schlafen Besucher*innen besonders gut, da vor jeder Tür eine erzgebirgische Holzfigur wacht. In dem Restaurant des Hotels gibt es neben diversen saisonalen Gerichten auch Wild aus der Region – leckeres Essen zu einem fairen Preis. www.buntes-haus.com
Spielzeugmuseum: Im Spielzeugmuseum in Seiffen wird die Geschichte der Holzkunst im Erzgebirge anhand einer Vielzahl originaler Ausstellungsstücke erzählt. Der Eintritt kostet für Erwachsene 7 Euro, das Kombi-Ticket bekommt man für 10 Euro und kann ins Freilichtmuseum gehen, wo Besucher*innen zusehen können wie früher die alten Drehwerke funktionierten. www.spielzeugmuseum-seiffen.de
Im Erzgebirge spezialisierten sich die Arbeiter mit der Zeit auf die Spielzeugherstellung, aber lukrativ war und ist dieser Beruf nie. „Nach der Wende lief es eine Weile sehr gut, da haben wir viel produziert. Da hatte ich hier in der Werkstatt 15 Leute arbeiten“, erzählt Gunter Flath. „Aber dann wurde es rückläufig. Jetzt machen wir das hier nur zu zweit.“
Dass die Holzspielzeugmacher und deren Kunsthandwerk überhaupt so lange überlebt hat, liegt auch an der Drechslergenossenschaft Dregeno. Vor 100 Jahren wurde sie in Seiffen gegründet, bis heute steht sie als Vermittler zwischen den einzelnen Werkstätten und der großen, weiten Welt. Ihre 123 Mitglieder stehen vor vielen Herausforderungen. Die Werkstätten sind Kleinstunternehmen, überall steigen die Preise, es gibt ständig neue Regelungen und Verordnungen sowie Lohnanpassungen – kurz, sie müssen kämpfen.
Die Genossenschaft versucht den bürokratischen Moloch abzufangen, aber es ist schwer. „Welches Geschäftsmodell funktioniert, wenn man nur in einem Viertel des Jahres Einnahmen macht? Das ist eigentlich ja wahnwitzig“, sagt Juliane Kröner. „Es ist eben ein Nischenprodukt, was wir hier machen.“
Aus dem Wald in die Welt – so lautet das Motto der Dregeno, und das beschreibt den Vorgang hier gut. Das Holz, das die Spielzeugmacher verwenden, kommt direkt aus dem hiesigen Erzgebirgswald. Besonders Holz von einer Linde ist gut geeignet, denn es ist leichter formbar und weicher als andere Hölzer. Alle Materialien sind aus der Region.
Auch die Handwerker auf der Holzspielzeugmacherschule kommen von hier. Es ist die einzige Drechslerschule in Deutschland, die Holzspielzeugmacher ausbildet. Diese Spezialisierung bedeutet aber auch: Wer nicht Holzspielzeugmacher werden will, dem hat die Region auf Dauer wenig zu bieten. Hier leben ohnehin schon sehr wenig Menschen, Tendenz sinkend. Der fehlende Nachwuchs ist eine der größten Herausforderungen für die Branche.
„Wir haben ein demografisches Problem. Die Generation, die sich nach der Wende selbstständig gemacht hat und die in den 90er Jahren den Boom miterlebt hat, geht jetzt auf die Rente zu“, sagt die Genossenschaftsleiterin. Wenn im Erzgebirgskreis die Menschen aus bleiben, wird dieses Kunsthandwerk aussterben. „Es gibt schon junge Leute, die das machen wollen – sehr gerne sogar. Aber sie sehen im Moment in dem Gewerbe keine Zukunft. Sie wissen von ihren Eltern, wie schwierig es war. Aber vielleicht ändert sich das noch einmal.“
Nur eins ist klar: Auf Weihnachten können die Seiffner zählen.
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