: Weichensteller für Abschiebung in Beirut
■ Berlins Innensenator Kewenig sucht Amtshilfe für Abschiebung von Flüchtlingen / Aus Beirut Petra Groll
Am Sonntag landete Berlins Innensenator Wilhelm Kewenig (CDU), begleitet von seinem Staatssekretär, in der libanesischen Hauptstadt. Auf ihrem Drei–Tages–Trip wollen sie Weichen stellen. Flüchtlinge aus dem Libanon sollen wieder von der Bundesrepublik abgeschoben werden können. Noch gilt der Abschiebestopp in Berlin und den meisten Bundesländern, aber darüber sollen am 25. September die Ministerpräsidenten der Länder auf einer Konferenz befinden. Libanesen und Palästinenser, so ein Bericht des Innenminsters Zimmermann, stellen mit 21,6 % im ersten Halbjahr 1986 die größte Flüchtlingsgruppe; auch im Libanon selbst sind sie nicht unbedingt wohlgelitten. Das Problem für die Freunde der Abschiebung: Die meisten Flüchtlinge haben keine gültigen Papiere.
Der Berliner Innensenator Kewenig weiß, was hierzulande zum Outfit eines einheimischen wie ausländischen Spitzenpolitikers gehört. So landete er in Begleitung von drei Leibwächtern auf dem Beiruter Flughafen, die zusätzlich zu dem rund zehn Mann umfassenden Kommando des Bundesgrenzschutzes der deutschen Botschaft für seinen Schutz sorgen sollen. Bei seiner Visite geht es nicht nur um die in jüngster Zeit verstärkt über den DDR–Flughafen Schönefeld einreisenden Flüchtlinge. Betroffen sind vor allem diejenigen, die im Behördenjargon als „Altlasten“ bezeichnet werden, rund 1.600 Flüchtlinge in Berlin, die nicht in den Libanon zurückgeschickt werden können, obwohl ihr Asylersuchen abgelehnt wurde. Denn noch gibt es in Berlin und den meisten Bundesländern einen Abschiebestopp für Asylsuchende aus dem Libanon. Neben der politisch äußerst fragwürdigen Aufhebung des Abschiebestopps stehen die deutschen Behörden bei dieser mit 21,6 % bundesweit derzeit größten Flüchtlingsgruppe noch vor einem ganz anderen Problem: Von den 1.600 Flüchtlingen, die allein in Berlin auf der Abschiebeliste stehen, besitzen rund 1.300 keine gültigen Reise– oder Identitätspapiere. Libanesen einig Kewenigs Mission gilt vor allem dieser Gruppe mehrheitlich staatenloser Palästinenser oder Kurden. Selbst wenn er die libanesischen Behörden zur verwaltungstechnischen Amtshilfe in Form gültiger Papiere bewegen könnte, wird er sich spätestens bei seinen Gesprächen einer Einheitsfront gegenübersehen. Denn so zerstritten die Libanesen auch sind, in einem Punkt sind sie sich einig: Die Flüchtlinge sollen verschwinden. Nur ein Palästinenser, der das Land für immer verläßt, ist nach dieser Logik ein guter Palästinenser. Zwei Hürden muß Kewenig nehmen, will er seine Libanon– Reise mit Erfolg krönen. Zum einen muß er sich eine Argumentation für die Aufhebung des Abschiebestopps zurechtzimmern. Während seines kurzen Besuchs wird er kaum in der Lage sein, die Situation im Lande treffend zu beurteilen. Daran scheiterten schon ganz andere: Wie das Auswärtige Amt in einem Schreiben an das Bayerische Verwaltungsgericht im Rahmen eines Verfahrens gegen palästinensische Flüchtlinge aus dem Libanon im Juni mitteilte, arbeitet die deutsche Botschaft in Ostbeirut mit stark reduziertem Personal. Daher sieht sich das Außenministerium außerstande, die von den Verwaltungsgerichten dringend angeforderten Situationsberichte zur Lage im Libanon zu liefern. Des Senators erste Adresse am heutigen Montag war der libanesische Innenminister Abdallah Ghazi, ein Maronit. Weitere Begegnungen mit dem Minister für den Südlibanon, Amal–Chef Berri, der zugleich Justizminister ist, und dem libanesischen Präsidenten Gemayel sind geplant. Außerdem möchte Kewenig mit Vertretern der libanesischen Sicherheitspolizei zusammenkommen. Der CDU–Politiker, der seinen Doktortitel mit einer 1964 in Köln vorgelegten juristischen Abhandlung zur „Koexistenz der Religionsgemeinschaften im Libanon“ erwarb, ist, was die Bürgerkriegssituation angeht, sicher nicht grün hinter den Ohren. Ob er bei seinem jetzigen Aufenthalt Kontakte spielen läßt, die er während seines vom DAAD finanzierten Studienjahrs Ende der fünfziger Jahre erwarb, oder ob er die Beziehungen seines Amtsvorgängers Lummer oder die Verbindungen des bayerischen Ministerpräsidenten Strauß auszureizen vermag, sei vorläufig dahingestellt. Eins ist absehbar: Zur Überwindung der zweiten Hürde wird Kewenig sich ins Zeug legen müssen, wenn es darum geht, den 1.300 Flüchtlingen irgendwelche Papiere zu verschaffen, damit sie abgeschoben werden können. Diese Personengruppe hatte auch vor ihrer Einreise nach Berlin im Libanon nur den Status von Flüchtlingen. Die Palästinenser oder Kurden erhielten in der Regel sogenannte „laissez–passers“ oder „documents de voyage“ mit begrenzter Gültigkeit und ein– bis mehrfacher Wiedereinreiseerlaubnis. War es in den Jahren der quasi–PLO–Herrschaft im Libanon für die meisten Flüchtlinge im Ausland kein besonderes Problem, sich ihre Papiere zu besorgen und bei einer libanesischen Botschaft verlängern zu lassen, hat sich die Praxis der Behörden seit dem Abzug der PLO aus dem Libanon im Jahre 1982 geändert. In einer umfassenden epd–Dokumentation (“Flüchtlinge aus dem Libanon“) werden mehrere Schreiben des Beiruter Außenministeriums an die libanesischen Botschaften zitiert, die Anweisungen enthalten, die oben erwähnten Papiere nur noch nach Rücksprache mit der libanesischen Sicherheitspolizei oder um maximal drei Monate zu verlängern. Ausländern, die kein Aufenthaltsrecht im Libanon haben, stellen die Behörden sogenannte Einwegpässe aus, „laissez–passers“ ohne Rückkehrberechtigung. Kurz und gut, die libanesischen Behörden versuchen mit allen Mitteln, die Zahl der Flüchtlinge - dazu zählen allein 350.000 Palästinenser - einzuschränken. Der Libanon möchte sowohl eine soziale Belastung - mit ähnlichen Argumenten wie in der BRD - als auch einen politischen Unruheherd loswerden. Kewenig möchte offensichtlich seine Gesprächspartner davon überzeugen, einen Teil der nach West–Berlin gelangten Flüchtlinge wieder aufzunehmen. Theoretisch wäre es zwar denkbar, daß die libanesischen Behörden sich in der Ausstellung oder Verlängerung von Identitätspapieren wieder großzügiger zeigen, somit den deutschen Behörden entgegenkommen und die Abschiebung ermöglichen. Der derzeitigen Situation und politischen Stimmung nach zu urteilen, wird sich Kewenig jedoch an dem Brocken verschlucken, den er sich vorgenommen hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen