■ Wehrmachtsdeserteure sollen rehabilitiert werden: Halbherzige Kehrtwendung
„Späte Einsicht, aber immerhin nicht ganz zu spät“, möchte man dem Entschließungsantrag von CDU/ CSU, FDP und SPD zur Rehabilitierung und Entschädigung der im Zweiten Weltkrieg verurteilten Deserteure, Kriegsdienstverweigerer und Wehrkraftzersetzer hinterherrufen. Allein – die Anerkennung bleibt im Hals stecken. Der Entwurf ist entstellt
durch die Kompromisse, die die Abgeordneten der deutschnationalen Traditionslinie schuldig zu sein glauben.
In Übereinstimmung mit dem grundlegenden Urteil des Bundessozialgerichts vom September 1991 wird zunächst klargestellt, daß die Urteile der Wehrmachtsjustiz „unter Anlegung rechtsstaatlicher Wertmaßstäbe Unrecht waren“. Aber dann fährt die Entschließung fort: „Anderes gilt, wenn bei Anlegung dieser Maßstäbe die der Verurteilung zugrunde liegende Handlung auch heute Unrecht wäre.“
Was ist damit gemeint? Ein Soldat, der einen Soldaten seiner eigenen Einheit erschoß, um anschließend zu flüchten? Das wäre unter Umständen ein Tötungsdelikt, aber eben nicht die „zugrunde liegende Handlung“, nämlich die Desertion. Oder geht es um die Frage, ob der Deserteur nun wirklich aus „echter“ Gegnerschaft zum Naziregime desertierte oder „nur“, um seine Haut zu retten. Zwar stellt der Antrag klar, es sei jetzt zu spät, Untersuchungen über jede einzelne Desertion anzustellen, aber auf der moralischen Ebene hält er solche Unterscheidungen für legitim. Als ob nicht jedes Motiv, einer verbrecherischen Maschine, wie sie die Wehrmacht war, den Rücken zu kehren, völlig gerechtfertigt wäre!
Der Entwurf verwendet viel Energie darauf, zu argumentieren, daß die Rehabilitierung von Deserteuren, „Zersetzern“ etc. keine „negativen Auswirkungen auf die Bundeswehr haben wird“. Statt solcher überflüssiger Selbstvergewisserungen wäre es angebracht gewesen, ein paar Worte auf das staatsbürgerliche Beispiel von Zivilcourage zu verwenden, das die Geächteten von damals uns hinterlassen haben.
Die Gruppe von Opfern, die die Entschließung nennt, wird den Verfolgten des Naziregimes nicht gleichgestellt. 7.500 Mark erhalten die Überlebenden beziehungsweise deren Angehörige als einmalige Zahlung. Aber wie die Entschließung ebenso richtig wie zynisch feststellt: Leiden und Schmerzen der Opfer können durch materielle Entschädigung nicht ausgeglichen werden. Christian Semler
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