Wehre endlich abbauen: "Ein springlebendiger Fluss"
"Wir machen das, was man nachhaltigen Tourismus nennt." Gespräch mit Eckart Kuhlwein, dem Fachbereichsleiter für Naturschutz, Umwelt und sanften Tourismus bei den NaturFreunden Deutschlands, zur Flusslandschaft des Jahres
taz: Herr Kuhlwein, wie wird eine Region Flusslandschaft des Jahres?
Das Flüsschen Nette ist 55 km lang. Sie entspringt in der Vulkaneifel und mündet in den Rhein. Der Deutsche Anglerverband (DAV) und die NaturFreunde Deutschlands (NFD) haben die Nette zur "Flusslandschaft des Jahres 2008 und 2009" erklärt. Die Flusslandschaft des Jahres wird alle zwei Jahre ausgerufen, um regionale Aktivitäten zum Natur- und Gewässerschutz zu stärken und nachhaltigen Tourismus zu fördern. Die Nette wird Nachfolgerin der Schwarza in Thüringen, die 2006 zur Flusslandschaft des Jahres ausgerufen worden war. Hier ging es um die Wiederherstellung der Durchgängigkeit für Wanderfische. Vor der Schwarza waren die Gottleuba (Sachsen), die Ilz (Bayern) und die Havel (Brandenburg) Flusslandschaft des Jahres.
Eckart Kuhlwein: Die Flusslandschaft des Jahres geht auf eine Vereinbarung der NaturFreunde Deutschlands und des Deutschen Anglerverbands von 1998 zurück. Es gibt einen Beirat Gewässerökologie aus beiden Verbänden. Wir beraten dann über die eingegangenen Vorschläge, deren Wahl gut begründet werden muss.
Was sind die Kriterien?
Entweder sind die Bewerber Flüsse, wo es besondere politische Diskussionen gibt. Bei der Havel als Flusslandschaft des Jahres ging es vor allem darum, Sperrwerke und die Kanalisierung Richtung Berlin kritisch zu überprüfen und in die Diskussion zu bringen. Bei der Gottleuba in Sachsen, wo es vor 15 Jahren einen Chemieunfall gab, war das zentrale Thema die Regeneration des Flusses. Bei der Nette ist uns aufgefallen, dass es erstens ein schöner, springlebendiger Fluss ist. Und zweitens gibt es erste Erfolge beim Abbau von Wehren, damit die Durchgängigkeit für Wanderfische wieder hergestellt wird. Seit 2001 wird eine aufkommende Lachsbrut in der Nette registriert. Der Atlantische Lachs kommt dort vor und legt seine Eier ab.
Wer hat sich für die Nette eingesetzt?
Für die Nette haben sich die NaturFreunde in Kettig eingesetzt, die seit langem mit Naturschutzverbänden, Anglern, Kommunen und Elektrizitätswerken zusammenarbeiten. Eine Besonderheit dieses Flusses ist seine Einbettung in die vulkanische Geologie der Osteifel. In einem aktuellen Projekt soll mit Unterstützung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) die Nettemündung in den Rhein bei Weißenthurm renaturiert werden. Bedrohte Fischarten wie Steinbeißer und Bitterling finden in der Nette ihre Heimat.
Was passiert nun mit dieser Auszeichnung?
Zunächst gab es die Proklamation am Internationalen Tag des Wassers am 22. März. Eine Vielfalt von Aktivitäten gibt es am Deutschen Mühlentag, Pfingstmontag. Außerdem wurde im Quellgebiet ein Erinnerungsstein gesetzt. Die NaturFreunde werden Führungen organisieren, Wanderwege dokumentieren. Es gibt an der Nette eine interessante Flora und Fauna, die wir bekannt machen wollen.
Also hat die Flusslandschaft des Jahres vor allem den Sinn, eine Flussregion touristisch aufzuwerten?
Die Flusslandschaft hat das Ziel, die Bevölkerung auf ökologische, ökonomische und kulturelle Bedeutung der Flüsse und der Landschaft drum herum aufmerksam zu machen. Maßnahmen zum Schutz und der Renaturierung der Flusslandschaft zu fördern, die Wasserqualität zu verbessern und naturnahe Wander- und Erholungsgebiete zu fördern. Wir machen dort auch Führungen durch die Vulkaneifel, die bisher in Deutschland viel zu wenig bekannt ist. Die NaturFreunde sind ja eine Freizeitorganisation der Arbeiterbewegung, gegründet in Wien 1895 und die deutsche Sektion 1905. Wir propagieren Naturschutz und Umweltschutz und führen selbst Aktivitäten in der Natur wie Wandern, Bergsteigen, Skilanglaufen durch. All dies unter Schonung der Natur. Wir machen das, was man nachhaltigen Tourismus nennt.
Sind Deutschlands Flüsse sauberer geworden?
Deutschland steht da nicht schlecht da. Es gibt einen Konflikt, den beispielsweise die Angler haben mit vielen kleinen Wasserkraftwerksbesitzern, die alte Rechte haben. An der Nette trifft das nicht zu. Wir hatten vorher die Schwarza in Thüringen als Flusslandschaft des Jahres. Dort versuchen sie jetzt die alten Wehre abzubauen und das Wasser wieder durchlässig zu machen für wandernde Fische. Das ist ein Interesse des Deutschen Anglerverbandes, das wir teilen: Wir wollen die Renaturierung von aquatischen Lebensgemeinschaften fördern, und der Anglerverband hat natürlich ein Interesse, dass es eine lebendige Fischfauna gibt.
Welche Gewässer in Deutschland sind noch problematisch?
Unmittelbar keine. Die schwierigen Fälle, beispielsweise die Emscher im Ruhrgebiet, sind alle in Arbeit. Die Wasserrahmenrichtlinie der EU verlangt, dass bis 2015 in ganz Europa die Flüsse wieder eine gute Wasserqualität haben. Diese Wasserrahmenrichtlinie wird nun in Landesgesetze umgesetzt, das ist schon weitgehend überall passiert. Und wo es jetzt noch Problemfälle gibt, gibt es Initiativen zur Renaturierung, indem man zum Beispiel reduziert oder ganz verbietet.
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