Wechseljahre des Mannes: Die Pharmaindustrie ist begeistert
Testosteronpräparate werden häufig gegen Altersbeschwerden bei Männern verschrieben. Die Arzneimittel haben meist keinen Nutzen.
Müde, lustlos, unkonzentriert, gestresst? Dagegen empfiehlt der Arzneimittelhersteller Bayer älteren Männern Testosteronpräparate. Mit diesen würde der Hormonspiegel auf Vordermann gebracht, und die schlappen Männer würden vital, aktiv und ausgeglichen. Dafür hat die Bayer-Tochter Jenapharm sogar eine eigene Website geschaltet: www.testosteron.de sieht zwar auf den ersten Blick wie eine nüchterne Infoseite aus, für die Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte (Mezis) ist sie jedoch Teil einer Marketing-Kampagne.
„Bei der Vermarktung von Testosteron wurde für ein bestehendes Medikament ein neues Krankheitsbild geschaffen – die angeblichen Wechseljahre des Mannes“, sagt Jan Salzmann von Mezis. Ein klarer Fall von „Disease Mongering“, wie das Erfinden von Krankheiten, um bestimmte Arzneien abzusetzen, auch genannt wird.
„Bevorzugte Einsatzgebiete für erfundene Krankheiten sind Tabuzonen der Gesellschaft“, erklärt Salzmann. Im Falle des alternden Mannes sind es vor allem Potenzprobleme. „Hier sprechen die Betroffenen nicht gerne darüber und informieren sich häufig im Internet oder in populärmedizinischen Zeitschriften.“
Tatsächlich gibt es Anwendungsbereiche für Testosteronpräparate, wo sie medizinisch indiziert sind. Beim sogenannten primären Hypogonadismus kommt es zu Störungen in der Testosteronproduktion. Auslöser können erbliche Krankheiten wie das Klinefelter Syndrom sein, aber auch Hodenkrebs, Prostatabehandlungen oder Unfälle. Es kommt dann vor allem zu einem Verlust der Libido, in schweren Fällen zur Impotenz. Auch Osteoporose, schrumpfende Hoden und zunehmendes Körperfett trotz ausreichender Bewegung kann eine Folge sein.
Laut der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) sind 3 bis 5 Prozent der über Sechzigjährigen von einem solchen Hormonmangel betroffen.
Zahl der Verschreiben hat sich verdreifacht
Allerdings wurden in den letzten Jahren Testosteronpräparate immer häufiger auch älteren Männern verschrieben, die über einen Mangel an psychischer und physischer Leistungsfähigkeit klagten, aber keine gestörte Testosteronproduktion hatten. „Man spricht dabei vom sogenannten Altershypogonadismus“, sagt Robin Haring, Epidemiologe der Universitätsmedizin Greifswald.
Die Zahl der Verschreibungen hat sich darum in Deutschland verdreifacht. In den USA ist Testosteron mittlerweile eines der meistverschriebenen Medikamente. Das Hormonpräparat ist zum Lifestyle-Medikament avanciert. Die US-Gesundheitsbehörde FDA rechnet, dass bei 80 Prozent der Verschreibungen die Indikation nicht stimme. In 40 Prozent der Fälle soll nicht einmal der Testosteronspiegel im Blut gemessen worden sein. Leitlinien besagen jedoch, dass ein Hormonmangel nur vorliege, wenn wiederholt niedrige Blutwerte auftreten und die Symptome konsistent sind. Die Verkäufe haben sich in Übersee zwischen 1980 und 2011 sogar verfünffacht. Die Pharmaindustrie verdient mit dem Anti-Aging-Medikament heute 1,6 Milliarden US-Dollar, 1980 waren es 18 Millionen Dollar.
Dieser Boom hat verschiedene Gründe: Erstens werden die Menschen immer älter. Zweitens sind die Hormone als unkomplizierte Pflaster und Gels erhältlich. Der Hauptgrund ist jedoch das aggressive Marketing. „Wir sehen in den USA zum Beispiel ganzseitige Werbeanzeigen, die potenzielle Kunden direkt ansprechen“, sagt Robin Haring.
„In diesem Zuge hat sich der Begriff ‚Low T‘ als Marketingschlagwort durchgesetzt.“ In Deutschland ist ein solches Direktmarketing zwar nicht erlaubt – wie der Fall Bayer zeigt, gibt es jedoch auch andere Wege um die „Wechseljahre des Mannes“ als Krankheit zu etablieren.
Normale Alterserscheinungen
Das Problem: Viele Symptome des sogenannten Late onset hypogonadism sind unspezifisch und kommen auch bei anderen Krankheiten vor oder sind normale Alterserscheinungen. So werden etwa verminderte Vitalität, Schlafstörungen, Unausgeglichenheit, Schweißausbrüche, depressive Gedanken, Konzentrationsstörungen, Gewichtszunahme, geringe Muskelmasse, Libidoverlust oder Erektions- und Potenzstörungen dazu gezählt.
Diese Beschwerden können auch bei normalen Hormonspiegeln auftreten. „Dass die Kräfte im Laufe des Lebens weniger werden, ist genauso normal wie seelische und soziale Krisen“, so Salzmann. Ab einem Alter von 40 Jahren sinken die Testosteronwerte für gewöhnlich um jährlich 1 bis 2 Prozent. Allerdings kann ein fitter 70-Jähriger höhere Spiegel haben als ein ausgebrannter 30-jähriger Mann. Neben der Genetik spielen auch Faktoren wie Übergewicht, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen eine Rolle. So haben Männer mit Übergewicht meist einen niedrigeren Testosteronspiegel.
Allerdings führt auch ein niedriger Wert nicht automatisch zu den Symptomen, die den „Wechseljahren des Mannes“ zugeschrieben werden. „Der ursächliche Zusammenhang zwischen diesen unspezifischen Beschwerden und dem Testosteronspiegel fehlt“, sagt Haring. „Was die Altersgruppe 50 plus zum Arzt treibt, sind vor allem Erektionsstörungen, und die werden durch verengte Blutgefäße verursacht, nicht durch zu wenig Testosteron.“
Die Alternative
Daher plädiert der Greifswalder Wissenschaftler auch für einen gesunden Lebensstil anstatt Hormonpillen, wenn keine echte Störung der Testosteronproduktion vorliegt. Das heißt: mehr Bewegung, weniger Alkohol, nicht rauchen, eine ausgewogene Ernährung und ausreichend Schlaf.
Dass das hilft, ist belegt. Der Nutzen von Hormonpräparaten hingegen nicht. Studien dazu zeigten kein einheitliches Bild. „Es gibt keine Beweise, dass Testosteronpräparate das Sexualleben verbessern, die Muskelkraft stärken oder zu einer Abnahme von Knochenbrüchen führen“, sagt Gisela Schott von der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft.
Die Hormontherapie hat zudem Nebenwirkungen. So wurde in einigen Studien ein höheres Risiko für Herzkrankheiten, Schlaganfälle, Embolien, Prostatakrebs und frühzeitigen Tod beobachtet. „Wir warnen davor, Testosteron kritiklos zu verschreiben, insbesondere ohne Bestimmung des Hormonspiegels“, sagt Helmut Schatz von der DGE. Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat darum im Jahr 2015 wiederholt klinische Studien angemahnt, um die Risiken genauer zu beleuchten.
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