Wechsel an Pakistans Staatsspitze: Mr. Zehn Prozent wird Präsident
Asif Ali Zardari, Ehemann der ermordeten Benazir Bhutto, wird wohl neuer Präsident Pakistans. Er gilt als korrupt - und hat einflussreiche Gegner.
Pakistanische Politiker leben gefährlich. Das wusste Präsident Pervez Musharraf zu genau. Während seiner neunjährigen Amtszeit entging er mehrmals nur knapp Anschlägen. Auch Asif Ali Zardari, der am Samstag vom Parlament und den vier Regionalversammlungen höchstwahrscheinlich zu Musharrafs Nachfolger gewählt wird, ahnt wohl, wie riskant sein zukünftiger Job werden könnte. Vor zwei Wochen gab er seine Villa im Zentrum Islamabads auf und zog in das Haus seines Freundes, Premierminister Yusuf Raza Gillani. Das liegt im hermetisch abgeriegelten Regierungsviertel und somit außerhalb der Reichweite potenzieller Attentäter. Erst dann kündigte er ein entschiedenes Vorgehen gegen die Islamisten im Nordwesten des Landes an. Sicher ist sicher.
Asif Ali Zardari wird am Samstag aller Wahrscheinlichkeit nach vom Parlament zu Pakistans neuem Präsidenten gewählt werden - obwohl er in Pakistan so unbeliebt ist wie nie zuvor. Wegen etlicher Vorwürfe, unter anderem Mord, Erpressung und Korruption, saß er elf Jahre in Haft. Sein Amt als faktischer Chef der Pakistanischen Volkspartei (PPP) ist ihm zugefallen, nachdem seine Ehefrau Benazir Bhutto im Dezember bei einem Anschlag ermordet wurde. Offizieller Parteivorsitzender ist Zardaris und Bhuttos 19-jähriger Sohn Bilawal. Brisant ist ein medizinisches Gutachten, das Asif Ali Zardari selbst in Auftrag gegeben hat, um sich einem Gerichtsverfahren in Großbritannien zu entziehen. Es kam vor wenigen Tage an die Öffentlichkeit. Darin bescheinigten ihm seine Ärzte, Zardari leide an Depressionen, Konzentrationsschwäche und Demenz. ZAS
Zardari weiß, wie gefährlich es ist, sich mit den Islamisten anzulegen. Er verdankt seinen politischen Aufstieg überhaupt erst einem politischen Mord: Zardari ist der Witwer von Benazir Bhutto, die Ende Dezember nach einer Wahlkampfveranstaltung für ihre Pakistanische Volkspartei (PPP) ermordet wurde.
Das ganze Land versank in tiefster Depression. Nur einer bewahrt kühlen Kopf: Zardari. Er erklärte umgehend, nicht die Islamisten hätten Benazir getötet; Musharraf und sein Geheimdienst ISI steckten dahinter. In einem Land, in dem einem selbst Intellektuelle beim Kaffee erzählen, Israels Geheimdienst Mossad habe die Anschläge vom 11. September inszeniert, verfehlte diese Anschuldigung ihre Wirkung nicht.
"Demokratie ist die beste Rache", bläute Bhuttos 19-jähriger Sohn Bilawal den Pakistanern in zahlreichen Wahlwerbespots ein. Und sie rächten sich: Musharrafs Unterstützerpartei PML-Q verlor bei den Wahlen haushoch. Es gewann: Benazir Bhutto. Viele hatten die PPP gewählt, um ihrer "Schwester der Nation" postum die Ehre zu erweisen. Dass sie damit Zardari ihre Stimme gegeben haben, fiel ihnen erst später auf.
Ausgerechnet Zardari! Der Mann, dem die Pakistaner den Spitznamen "Mister Ten Percent" gegeben haben, weil er sich während der beiden Regierungszeiten seiner Frau schamlos an Staatsaufträgen bereichert hat. Der elf Jahre in pakistanischen Gefängnissen saß, wegen Anklagen wie Mord, Korruption und Erpressung. Zardari war nach dem Tod seiner Frau zum faktischen Chef der PPP aufgestiegen, hält seither im Hintergrund die Fäden in der Hand.
Doch Zardari ist im Moment so unbeliebt wie nie zuvor. Die Menschen nehmen es ihm besonders übel, dass er seine wichtigsten Wahlversprechen gebrochen hat: Musharraf aus dem Amt zu jagen und die 60 obersten Richter wieder einzusetzen, die der Diktator im November entlassen hatte. Auf die Absetzung Musharrafs einigte er sich mit seinem Koalitionspartner Nawaz Sharif erst nach monatelangem Gerangel. Gegen die Wiedereinsetzung der Richter sperrt er sich bis heute. Denn die könnten eine Amnestie kassieren, die ihm Musharraf gewährt hatte. Zardari könnte vor Gericht gestellt werden. Es wäre das Ende seiner politischen Karriere.
Der begnadete Populist
Somit beschäftigte sich Pakistans große Koalition aus Zardaris PPP, der Nawaz-Muslimliga von Nawaz Sharif und zwei kleineren Parteien bislang vor allem mit sich selbst. Pakistans eigentliche Probleme blieben unangetastet: die Hyperinflation in Höhe von 25 Prozent und die immense Staatsverschuldung. Hinzu kommen rasant steigende Benzin- und Lebensmittelpreise. Wegen einer Weizen- und Reisknappheit musste die Regierung ein Rationierungssystem einführen. Anfang der vergangenen Woche riss das dünne Band, das die politische Vernunftehe zwischen Sharif und Zardari zusammengehalten hatte. Sharif zog sich aus der Regierung zurück. Somit hat Zardari nun einen unangenehm starken politischen Gegner. Denn Sharif ist ein begnadeter Populist und hat mittlerweile einen großen Rückhalt bei den Menschen. Dabei hatte noch im November ganz Pakistan darüber gelacht, als der selbsternannte "Löwe des Pandschab" mit einem Haartransplantat aus dem achtjährigen Exil zurückkehrte. Doch nun sehen viele den Rücktritt des ungeliebten Präsidenten-Generals Musharraf vor zweieinhalb Wochen als Sharifs alleiniges Verdienst.
Dabei ist auch Sharif nur dem in Pakistans Politik weit verbreiteten Reflex gefolgt, es Gegnern heimzuzahlen. Musharraf hatte ihn 1999 aus dem Amt geputscht und in einem politischen Prozess zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilen lassen. Erst ein Jahr später gestattete er ihm, ins Exil zu gehen. Nun sitzt Sharif in seiner Villa im ostpakistanischen Lahore und sinnt auf Rache. Er verlangt, Musharraf ins Gefängnis zu werfen. Und er erklärt allen Ernstes, Zardari habe mit den gebrochenen Wahlversprechen seine "Gefühle verletzt".
Unbefangene Islamisten
Doch mehr noch als Sharif hat Zardari die Armeeführung zu fürchten. Pakistans neuer Armeechef Ashfaq Kayani hat zwar mehrfach erklärt, die Armee werde sich aus der Politik heraushalten und mittlerweile auch etliche Armeevertreter aus hohen Posten in der Verwaltung des Landes abgezogen. Dennoch möchte sich Pakistans mächtiges Militär nicht allzu sehr in die Karten schauen lassen. Erst kürzlich scheiterte der klägliche Versuch der Regierung, die Kontrolle über den mächtigen Geheimdienst ISI zu erlangen. Vor vier Wochen erklärte die Regierung unter tosendem Applaus im Parlament, der ISI unterstehe fortan vollständig dem Innenministerium. Wenige Stunden später hieß es seitens der Regierung nur noch kleinlaut, die Zusammenarbeit solle "verbessert" werden. Die Erklärung zuvor sei ein "Missverständnis" gewesen.
Zudem hat die Armeeführung angesichts der monatelangen Regierungsstreitereien mittlerweile offenbar die Sicherheitspolitik in die eigenen Hände genommen. Weniger als 24 Stunden nach dem Rücktritt Musharrafs reiste Kayani nach Kabul und traf sich mit dem dortigen Verteidigungsminister und den Militärchefs des Landes. Vergangene Woche flog er zu einem "Geheimtreffen" mit der US-Militärführung für den Nahen Osten auf einen US-Flugzeugträger im Indischen Ozean.
Geheimnisse bleiben in Pakistan nicht lange geheim. Daher berichteten am nächsten Tag alle Zeitungen ausführlich darüber. Und sie spekulierten, welche Abkommen wohl geschlossen worden sein könnten. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: Am Mittwoch landeten Soldaten der US-geführten Truppen in einem Dorf im Nordwesten Pakistans und töteten 15 Menschen. Die Regierung verurteilte den Angriff in inszenierter Empörung im staatlichen Fernsehen. Die Armeeführung hielt sich mit Kritik auffällig zurück.
Bereits im Juni hatte die Armee den Versuch der Regierung, sich mit den Islamisten friedlich zu einigen, eigenmächtig beendet. Truppenverbände marschierten in die Khaiberregion ein und brannten das Haus des dortigen Islamistenchefs Mangal Bagh nieder. Baghs Männer hatten immer wieder Lkws überfallen. Bei einem ihrer Raubzüge waren den islamistischen Milizionären zwei US-Kampfhubschrauber in die Hände gefallen. Der Supermacht blieb nichts anderes übrig, als ihr eigenes Kriegsmaterial aufzustöbern und mit einem gezielten Luftschlag zu zerstören. Pakistans Armee setzte ihre Offensive daraufhin fort. Seit Mitte Juli sind 300.000 Menschen aus der Bajaur-Stammesregion im Nordwesten des Landes vor den Kämpfen geflohen.
Die größte Herausforderung für einen Präsidenten Zardari dürften daher die islamistischen Fanatiker bleiben. Denn die haben in ihren Gebieten mittlerweile einen Grad an Organisiertheit erreicht, den niemand für möglich gehalten hätte. Im vergangenen Dezember schlossen sich rund 40 lokale Islamistenmilizen zum Dachverband der "Pakistanischen Taliban" (TTP) zusammen. Als Anführer wählten sie Baitullah Mehsud, der in der Region Südwaziristan ein Terrorregime nach dem Vorbild der afghanischen Taliban errichtet hat. Mehsuds Leute töten hoch angesehene Stammesälteste, fällen Urteile in Scharia-Schnellgerichten und exekutieren vermeintliche "Feinde des Islam" durch öffentliche Enthauptungen. Die Organisation eröffnete kurze Zeit später in Islamabad ein Verbindungsbüro. Mitten in der Stadt hielten die selbsternannten Taliban, deren Selbstmordattentäter im vergangenen Jahr 3.600 Menschen getötet haben, immer unbefangener Pressekonferenzen ab. Vor zwei Wochen erläuterte der Sprecher der Islamisten in Ruhe, warum zwei ihrer Attentäter vor einem Rüstungskonzern in der Stadt Wah 70 Menschen in Stücke gerissen haben. Spätestens da fiel der Regierung das TTP-Büro in Islamabad auf. Sie erklärte die "Pakistanischen Taliban" zur terroristischen Vereinigung und verbot sie.
Doch es gibt Hoffnungszeichen, dass das politische Machtgerangel bald ein Ende haben könnte. Premier Gillani erklärte vor wenigen Tagen vor dem Senat, Zardari werde nach seiner Wahl am Samstag so schnell wie möglich die Rechte des Präsidenten einschränken. Künftig solle er nicht mehr dazu in der Lage sein, das Parlament aufzulösen und den Premier zu entlassen. Das hatte sich Musharraf durch einen Verfassungszusatz im Jahr 2003 gesichert.
Doch zugleich kündigte eine Regierungsbehörde an, die Korruptionsvorwürfe gegen Zardaris stärksten Gegner, Nawaz Sharif, würden wieder aufgerollt. Ganz ohne Vergeltung kommt Pakistans Politik wohl noch nicht aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich