Web 2.0: Twittern, bloggen, streamen
Auf der Konferenz re:publica 08 treffen sich Blogger, Werber und Journalisten, um über "die kritische Masse" zu reden. Richtig kontrovers wirds selten.
Eigentlich sehen sie ganz harmlos aus, wie sie da in einem Hof in Mitte stehen, rauchen und sich unterhalten. Aber wer sich ihnen nähert, merkt, dass die Menschen, die sich von Mittwoch bis heute zur Bloggerkonferenz re:publica 08 versammelt haben, eine eigene Sprache sprechen. Twittern, bloggen, streamen sind die Begriffe, die da hin und her geworfen werden. Es ist die Rede von Followern, Comments und Wikis. Und der normale Mensch steht inmitten dieser Wolke und versteht nur Bahnhof.
Denn die re:publica 08 ist eine Konferenz für Blogger, "natürlich eine Fachmesse", so Mitorganisator Johnny Haeusler von spreeblick.com. Auch die Konferenzzeiten seien bewusst so gewählt: unter der Woche und tagsüber. Man nehme das alles sehr ernst, was andere nur als Ansammlung von Computer- und Internetnerds bezeichnen würden. Drei Tage lang trifft sich also in der Kalkscheune, wer in Sachen Internet-Tagebuch und Web 2.0 Austauschbedarf hat und andere aus der Szene kennen lernen möchte.
In diesem Jahr steht die Messe unter dem Thema: "Die kritische Masse". Und so wird in Diskussionsrunden und Vorträge erörtert, welche Gefahren im Internet lauern, wie man seine Daten schützt, und noch immer ausgelotet, wie eigentlich Blogger und Journalisten zueinander stehen. Zwischen den Veranstaltungen stehen die zu ungefähr 80 Prozent männlichen Teilnehmer ganz friedlich zusammen, sitzen nebeneinander auf den Kissenlandschaften, erklären sich die eigenen Projekte und fangen ab 18 Uhr an, Bier zu trinken.
Kontrovers wird es selten - auch wenn viel über kritische Themen wie Politik im Netz, Vorratsdatenspeicherung, Grundrechte und die Zukunft der digitalen Gesellschaft gesprochen wird. Vereinzelt reibt man sich aneinander, aber nicht auf den großen Podien, nicht in den angekündigten Veranstaltungen, mehr in der Diskussion beim Mittagessen auf dem Hof, bei der es darum geht, wie man mit seinen Daten in Communitys und im Internet umgeht. Da wird der eine schon mal laut, der andere hält beschwichtigend die Hände vor den Körper.
Aber im großen Saal, da wird zugehört, vorgetragen und am Ende brav geklatscht. Der Journalist, Buchautor und Kritiker der Konferenz Don Alphonso ist deswegen gar nicht erst angereist. In seinem Weblog erklärt: "Wenn die Werbevermarkter mit der Selbstvermarkterin übereinkommen, das Fehlen journalistischer Standards zur Qualität zu erheben, und das Ganze unter Einschluss eines Werbevermarkteten auf das Podium bringen - dann nennt man das wohl eine kritische Masse."
Abwechslung in dieser gemütlich Atmosphäre auf der Konferenz bieten die bunten Formate wie das im Sitzen vorgetragene Musical "Web Side Story", das Johnny Haeusler mit seiner Gattin und fleißigen Helfern innerhalb einer Woche auf die Beine gestellt hat. Ein bisschen weniger euphorisch, aber dennoch anregend war auch das abendliche von den Agenten der Zentralen Intelligenz Agentur organisierte Domainnamen-Scrabble.
In solchen Formaten - dem unterhaltsamen und kurzweiligen Umgang mit dem Thema Web 2.0 - liegt die wirkliche Stärke der Konferenz. Die Besucher haben die Möglichkeit, einen Einstieg zu finden in die Vielschichtigkeit der digitalen Möglichkeiten und andere Menschen zu treffen und auch mal zu sprechen, die man sonst nur liest.
Das Rauschen des Netzes findet so seine reale Umsetzung, ein stetes Brummeln und Brabbeln ist der Hintergrund der Messe. Lokalblogger sprechen miteinander über die Möglichkeit zur Gegenöffentlichkeit, Journalisten filmen das, halten Mikrofone in die blassen Gesichter, und auch Peter Glaser weiß eigentlich nicht genau, ob er die kritische Masse hier wirklich finden kann: "Ich als Schriftsteller lege ja eigentlich großen Wert auf das Individuum."
Unter den Besuchern tummelt sich auch Frithjof Bergmann, Gründer der Zentren für Neue Arbeit, und schaut skeptisch auf die, die mit ihren Laptops auf dem Schoß auf unbequemen Holzstühlen im großen Saal sitzen. Wird hier wirklich gearbeitet?
Die eigentliche Diskussion, an der auch Menschen mit normalen Beruf teilnehmen können, ohne drei Urlaubstage nehmen zu müssen, findet eben doch in Blogs statt. Zumindest wird gerade und außerhalb der Kalkscheune diskutiert, wie realisierbar ein Blogportal wäre, eine Art Eingangsbereich in die Welt der Blogs. Und da redet dann auch Don Alphonso mit.
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