Hände präsentieren eine grün-gelbliche Frucht

Tumbo, Curuba oder Bananen-Passionsfrucht: viele Namen und viel Vitamin C Foto: Wara Vargas Lara

Wasserprojekte in Bolivien:Verwundbare Wundergurke

Bewässerungsprojekte haben das Leben von Bauernfamilien im bolivianischen Torotoro verbessert. Doch nun stehen sie vor neuen Problemen.

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20.10.2021, 15:04  Uhr

Die Frucht, die Timoteo Jaillitas Leben verändert hat, sieht aus wie eine übergewichtige Essiggurke. Die gelblich-grüne Schale birgt orangene Kügelchen, die an Froschlaich erinnern. Tumbo heißt sie in Bolivien, auf Deutsch Curuba oder Bananen-Passionsfrucht. Die säuerliche Frucht ist eine Vitamin-C-Bombe – und bringt in der nächsten Stadt Cochabamba gutes Geld.

Jaillitas Pflanzen ranken sich in einer kleinen Parzelle in der entlegenen Region Torotoro in Bolivien an zwischen Stecken gespannten Drähten in mehreren Reihen entlang. Die Tropfen aus der Sprinkleranlage fallen auf die gefingerten Blätter – zumindest auf die, die noch übrig sind. Frost und Hagel haben Jaillitas kostbaren Tumbo-Garten arg dezimiert. Die meisten Zweige sind nackt, die Blätter schwarzbraun, die Früchte zerlöchert. „Mir ist fast alles weggestorben“, sagt Jaillita. Nur die Zwiebeln, Kartoffeln und Bohnen dazwischen sind noch da.

In Torotoro bauen die Familien traditionell vor allem Kartoffeln, Mais und Weizen an und ernten diese einmal im Jahr. Tumbo lässt sich theoretisch 365 Tage im Jahr ernten – braucht aber regelmäßig Wasser.

Jaillita ist Bauer in einer Gegend, wo es verwundert, dass überhaupt etwas wächst. Unter leuchtend blauem Himmel erstreckt sich bis zur Bergkette eine Landschaft aus Felsen, Steinen und ausgedörrtem Land. Ziegen suchen nach vereinzelten Grashalmen, die Sonne brennt, gleichzeitig ist die Luft kühl. Die wenigen Bäume sehen aus, als ob Riesenvögel darin Nester gebaut hätten: Die Bauern schichten nach der Maisernte die Halme in den Kronen auf, um Viehfutter für noch kargere Zeiten zu haben. Regen fällt nur in zwei, drei Monaten im Jahr.

Nach der Korruption kam das Geld

Jaillita wohnt auf 2.900 Metern Höhe in Vila Qasa, einer der 65 Gemeinschaften, die zu der Gemeinde Torotoro gehören. Die Fahrt vom Dorf zu ihm dauert mehrere Stunden und führt über ungeteerte Straßen, die immer wieder durch ausgetrocknete Flussbetten verlaufen.

Häuser stehen auf einem braunen Hügel, eine Straße schlängelt sich an einem kleinen Wasserbecken vorbei

Trockenheit in Vila Qasa: In der Region Torotoro fällt nur wenige Monate im Jahr Regen Foto: Wara Vargas Lara

Dass Jaillita heute einen Garten hat, in dem Tumbo wachsen kann, verdankt er einem Projekt, das die Gemeinde vor 13 Jahren mit Unterstützung der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) begann. Jaillita, seiner Familie und zwei Nachbarfamilien brachte das einen Bewässerungsteich, von dem ein Rohr hinunter zu den Parzellen führt. Im Gegenzug haben die Familien die Knochenarbeit geleistet und über eine Strecke von anderthalb Kilometern eine Leitung vom Teich bis zur Quelle auf dem Berg gelegt. Seitdem plätschert das Wasser unentwegt in die mit schwarzer Plane ausgelegte Mulde.

Der Zugang zu sauberem Wasser ist auf der Welt höchst ungleich verteilt. Ein Rechercheprojekt auf verschiedenen Kontinenten über Trinkwasser, Dürre, Überschwemmungen und Geldströme in der Entwicklungszusammenarbeit unter taz.de/wasser

Der schlaksige Mann in dem grünen Bolivientrikot, dem Schlapphut und den Backen voller Kokablättern ist hier in der Region ein Vorbild, sagt Eliodoro Uriona Pardo. Er war bis vor wenigen Monaten Bürgermeister von Torotoro und hat das Projekt an Land gezogen. Die vorherigen Dorfregierungen seien korrupt gewesen, sagt Uriona. „Deswegen hat Torotoro vorher wenig Geld bekommen. Wo es Korruption gibt, zieht sich die internationale Kooperation zurück.“ Zur Überzeugung seien viele Treffen und Briefe nötig gewesen. Bei unserem Besuch übersetzt er aus der indigenen Sprache Quechua ins Spanische.

Zwischen der ersten Vorstellung des Projekts bei der Gemeinschaftsversammlung und dem ersten Wasser aus dem Sprinkler vergingen Jahre. Bevor der Bau der Anlage überhaupt begann, schleppte Jaillita erst einmal monatelang Steine von den Feldern und baute eine 100 Meter lange Mauer um seinen künftigen Garten. Das verlangte einen Vertrauensvorschuss, war aber die Bedingung, um mitmachen zu dürfen, erklärt der ehemalige Bürgermeister: „Ich habe zuvor andere Projekte für Stiftungen begleitet, wo dann die Schafe kamen und alles wieder auffraßen – ciao, Investitionen, ciao, Projekt.“

Mann in grünem T-Shirt zeigt ein Bewässerungssystem

Timoteo Jaillitas ganzer Stolz: die Bewässerungsanlage für seine Tumbo-Pflanzen Foto: Wara Vargas Lara

Jaillitas Tumbo-Garten hingegen wurde zum Pilotprojekt. Andere Bauern, Minister und Gemeinderäte besuchten ihn zum Erfahrungsaustausch. Und Jaillita reiste zum Austausch zu Bauernfamilien in anderen Regionen und sogar ins Ausland. „Die Bauern hier haben oft höchstens die erste oder zweite Klasse besucht“, sagt Uriona. „Wenn sie von Bauer zu Bauer auf Augenhöhe miteinander reden, bringt das viel.“

Ein Wald für Vila Qasa

Jaillita hastet den Hang hinab. Er will uns seine Terrassen zeigen, auf denen er Erdnüsse und Süßkartoffeln anbaut. „Das hilft gegen Erosion, wie in Machu Picchu!“, sagt er stolz. Auch Peru hat er zum Erfahrungsaustausch besucht. Und er hat noch mehr Pläne: Die Bewässerung will er erweitern, um Äpfel und Pfirsiche anzubauen. Früher habe er nur für den Eigenbedarf angebaut. Heute habe er Visionen.

Der Wassersektor spielt in der deutschen Politik seit den 1960ern eine große Rolle und umfasst derzeit zwölf Projekte mit einem Mittelvolumen von knapp 190 Millionen Euro. Sie betreffen Versorgung, Abwasser, Trinkwasser und die Landwirtschaft. Beim Ansatz der “Wasserernte“ wie in Torotoro beriet unter anderem die GIZ von 2008 bis 2014 und bezahlte Material.

In Torotoro wurden laut der Beraterin Dunia Esprella 1.500 Familien in der Region Potosí und der Region Cochabamba unterstützt. Das umfasste auch eine technische Weiterbildung für Einheimische. Die Absolventen unterstützten die Familien dann bei der Umsetzung und Wartung der Wasseranlagen. In Torotoro ist die Umsetzung laut Esprella besonders gelungen. Die armen Familien steigerten ihr Einkommen durchschnittlich um 300 Prozent.

Inklusiv und langanhaltend „Alle außer dem Chef waren Bolivianer, 80 Prozent der Leute sprachen Quechua“, sagt Esprella. „Das war eine Bedingung für den Vertrag.“ Weil sich die Projekte auf entlegene Gegenden konzentrierten, sollten die Systeme wartungsarm sein. Die Folien für die Teiche haben 20 Jahre Garantie. (taz)

Und so hat er auf der anderen Seite des Bergs auf eigene Faust weitergemacht: mit Bäumen, die ihm die Gemeinde schenkte, unter der Bedingung, dass er mindestens einen Hektar aufforstet. Den hat er längst überschritten. 3.000 Bäume sind es schon. „In vier, fünf Jahren ist das ein Wald. Damit ziehe ich den Regen an.“

Darunter sind die heimische Erle (Alnus acuminata), die Fliederart Kiswara (Buddleja incana), aber auch Eukalyptus und Pinien. In der Regenzeit wächst unter ihnen ein Pilz namens K'allampa. „Ich weiß noch nicht, wie man ihn zubereitet, das muss ich noch lernen“, sagt Jaillita. Was er allerdings weiß: Der Pilz lässt sich in der Stadt Cochabamba gut verkaufen. „Aber dafür brauchen wir hier einen Solar-Trockner.“

Bislang verkauft Jaillita dort und in Torotoro vor allem die Tumbo-Frucht. Die Gemeinde kauft den Bauern einen Teil der Ernte ab und lässt daraus in der örtlichen Fabrik Saft und Marmelade für das Schulfrühstück herstellen, berichtet der ehemalige Bürgermeister. Vorher bekamen die Schulkinder Milchpulver und Kekse.

So haben sich durch das Projekt auch die Ernährungsgewohnheiten verändert. „Unser Ziel war, dass dank der Bewässerung die Kinder gesund, stark und intelligenter werden“, sagt Ex-Bürgermeister Eliodoro Uriona. „Wir haben gesehen, dass sie die Schule abschließen, aber die Zugangstests für die Uni nicht schaffen. Das ist auch ein Ergebnis der schlechten Ernährung.“

Tumbo-Ernte für die Bildung

Zu Hochzeiten verdiente Jaillita mit Tumbo bis zu 5.000 Bolivianos, umgerechnet etwa 610 Euro im Monat. Das ist mehr als so mancher Beamter. Viele Bauern verdienen gerade einmal 100 Bolivianos. Den Gewinn hat er in die Bildung seiner Kinder investiert: „Ich habe allen sechs einen Beruf ermöglicht. Wenn ich sterbe, haben sie studiert und Geld.“

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Auch Felicidad Rodríguez und ihr Mann Alberto Coyote Aguilario in der Gemeinschaft Araría haben das Zusatzeinkommen in die Ausbildung ihrer Kinder gesteckt. Ihr kleiner Hof steht an einem steilen Hang mit Blick über eine Schlucht und gilt mit dem Tumbo-Anbau ebenfalls als Vorzeigebetrieb. Die fünf Jahre alte Sprinkleranlage sieht aus wie neu, so gut pflegen sie sie. Die beiden haben alle Haustiere durchprobiert und am Ende festgestellt, dass Ameisenscheiße vom Berg der beste Dünger ist. Ein Trick, den selbst die IngenieurInnen nicht kannten, die für das Projekt die Familien begleiteten, erzählen die beiden.

Felicidad Rodríguez, Bäuerin

„Wir leben glücklicher als früher“

Seit ihr Hof an die Bewässerungsanlage angeschlossen ist, hat sich das Familienleben völlig verändert. Vor allem die Männer der ländlichen Berggemeinden sind schon immer Teile des Jahres migriert. Früher, als sie nur einmal im Jahr ernteten, musste ihr Mann bis zu vier Monate im Jahr in Hunderte Kilometer entfernte Regionen reisen, um auf den Kokafeldern Geld zu verdienen, erzählt Rodríguez. Sie blieb alleine mit den fünf Kindern, Vieh und Feld zurück. Damals gab es keinen Empfang und keine Möglichkeit, mit ihrem Mann zu sprechen. 25 Jahre ging das so.

Seit fünf Jahren ist das anders – weil Tumbo mehr Geld bringt und mehr Pflege verlangt. „Wir leben glücklicher als früher“, sagt Rodríguez. Zum Verkauf der Ernte muss ihr Mann nicht mehr den Esel bepacken, sondern der Zwischenhändler kommt über die neue Straße zu ihnen, ebenso ein rollender Gemischtwarenhändler.

Früher blieb Felicidad Rodríguez alleine mit den fünf Kindern, Vieh und Feld zurück, jetzt lebt sie glücklicher Foto: Wara Vargas Lara

Doch ihre Pflanzen bereiten ihnen Sorgen. Als sie sich von dem heftigen Hagel vor zwei Jahren endlich erholt hatten, kam die Krankheit. Die hinterlässt Flecken, die den Preis mindern. Würmer fressen Löcher in die Früchte. Sie müssen spritzen. Der Ertrag ist eingebrochen. Ihr Einkommen aus dem Tumbo-Anbau sei auf 1.000 Bolivianos im Monat, etwa 122 Euro, gesunken.

Mann mit Hut und grünem Shirt stellt sein Bein auf einer Wasserleitung ab

Vorbild für die ganze Region: Landwirt Timoteo Jaillita hat viele Visionen Foto: Wara Vargas Lara

Vor allem aber reicht das Wasser aus ihrem Bewässerungsteich auf dem Berg nicht mehr. Der Erfolg des Pilotprojekts hatte Folgen. Die anderen Familien bauen immer mehr und immer wasserintensivere Pflanzen an, weil sie ihr Einkommen ebenfalls steigern wollen.

Auch bei der Wartung des Bewässerungssystems wird geschludert, seit die GIZ und die Gemeindeverwaltung keine Techniker mehr schicken. Eigentlich müssten die NutzerInnen jeden Monat den Schlauch und die Quelle überprüfen. Weil sie sich nicht einigen können, wer mehr Pflanzen hat und dementsprechend mehr arbeiten müsste, passiert das bei ihm einmal im Jahr – oder wenn es ein Problem gibt, erzählt Timoteo Jaillita.

Bei Felicidad Rodríguez und Alberto Aguilario fallen inzwischen schon die Blüten von den Pflanzen ab. „Wir brauchen mehr Wasser“, sagt Aguilario.

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