Was würdest Du tun, wenn Du noch einmal neu anfangen könntest? Ich empfehle: Einfach weiterfahren: Zurück auf Null
AM RAND
Klaus Irler
Schon schräg, dass die Straße nach dem Fluss Kollau benannt worden ist: Die Kollaustraße führt von Niendorf direkt in die Stadt, sie hat bis zu acht Spuren und ist kein Spaß für Fußgänger. Die Kollau selbst führt von Niendorf auf Umwegen in die Stadt, ist maximal vier Meter breit und bietet einen Wanderweg, den Kollau-Wanderweg. An der Kollaustraße gibt es Baumärkte, Autohäuser und Waschanlagen, so groß wie sonst nirgends in der Stadt. An der Kollau gibt es Insekten, Vögel und Ufergehölze, die unter Naturschutz stehen.
Auf der Kollaustraße fährt man bei „Kill-Team“ vorbei, das ist ein Laden für Schädlingsbekämpfung. Früher hatten sie dort überdimensionale Ratten und Schaben aus Kunststoff an der Fassade kleben, es sah aus, als wäre es ein Laden für Comics. Mittlerweile ist das Kill-Team umgezogen in einen würfelförmigen Neubau mit schwarzen Wänden und Zaun außenrum. Der Laden sieht jetzt aus wie der Stützpunkt einer paramilitärischen Vereinigung.
Als ich kürzlich die Kollaustraße stadteinwärts fuhr, fiel mir ein Werbeplakat auf: „Was würdest Du tun“, stand darauf, „wenn Du noch einmal neu anfangen könntest?“ Ein riesenlanger Satz ohne erkennbaren Zusammenhang zu einem Produkt. Unten rechts in der Ecke stand noch „#restart“, aber mehr nicht.
Wie ich so an der roten Ampel stand, dachte ich mir: An der Frage stimmt was nicht. Niemand kann noch einmal neu anfangen, bestenfalls kann man etwas anderes anfangen, also umsteuern, aber das Neue, das kriegt niemand hin, der schon mal etwas gemacht hat, dazu müsste man schon den ganzen Kopf auswechseln mitsamt Erfahrungen, Einstellungen und Ängsten. Das Neue im engeren Sinn geht nicht, aber die Frage will suggerieren, es ginge doch, wenn man nur den Arsch hoch kriegte.
Ich schaute im Internet nach, wer die suspekt gewordene Frage eigentlich stellt. Ich landete auf einer Website, auf der Promis von ihrem „Neustart“ berichten: Die Köchin Sarah Wiener zum Beispiel hat jetzt einen Bauernhof. Oder der Schauspieler Wotan Wilke Möhring, der früher Punk war. Klingt beides nicht nach großer persönlicher Revolution, aber na gut.
Ferner steht da etwas von einem Energieunternehmen namens „Innogy“, bei dem es auch gerade um einen Neuanfang gehe. Nicht mitgeteilt wird, dass hinter Innogy der Energiekonzern RWE steht. RWE hat Innogy gegründet, um unter diesem Namen Strom aus erneuerbaren Energien zu verkaufen, und „#restart“ ist der Auftakt einer groß angelegten Werbekampagne. Das alte Atom- und Kohleimage von RWE soll die neue Marke nicht belasten, deshalb taucht RWE auf der Website auch nirgends auf.
Um dieses Wissen bereichert, fahre ich nun gerne vorbei am Kill-Team, das ganz offensichtlich keine Werbeagentur engagiert hat. Auch die Baumärkte und die Waschanlagen erscheinen mir erfreulich ehrlich. Und zum Umsteuern kann ich den Kollau-Wanderweg empfehlen: Ganz viel öko. Ganz toll.
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