: Was waren wir für Kerle
Gut gemeint und schlecht gekonnt: Vanessa Jopps „Engel + Joe“ ist ein bisschen wie Robert Stadlobers Auftritt bei Harald Schmidt
Neulich bei Harald Schmidt: Der junge Stargast wartet auf seinen Auftritt. Noch einmal pumpt er richtig durch. Er denkt an sein Vorbild Klaus Kinski, den großen Wüterich, den herrlich Jähzornigen, den irrsinnigen Provokateur, an den Mann, vor dem man sich als Gastgeber einer Talkshow in Acht nehmen musste. Heute bei Schmidt will sich der Verehrer seinem Vorbild als ebenbürtig erweisen. Nein, er würde Schmidt nicht an die Gurgel gehen oder ein Mikro ins Publikum schleudern. Der junge Stargast hat etwas Besseres: ein T-Shirt. Auf dem steht „Anthrax“. Anthrax wie der Name einer rüstigen New Yorker Metalband, die schon seit 20 Jahren die Trommelfelle terrorisiert. Aber eben auch Anthrax wie der böse Milzbrand, der seit kurzem in Briefen verschickt wird. Eine teuflische Provokation, Schmidt würde entgeistert sein, das Publikum fassungslos. Also, durchatmen und raus.
So könnte es gewesen sein, als Robert Stadlober letzte Woche bei Harald Schmidt zu Gast war, um „Engel + Joe“ zu promoten, seinen ersten Kinofilm seit „Crazy“. Aber dann ist alles schief gelaufen. Schmidt übersieht einfach Stadlobers Fan-Shirt. Stadlober öffnet seine lässig getragene Punk-Lederjacke noch ein wenig, damit man den Schriftzug besser lesen kann. Er bettelt förmlich darum, dass Schmidt auf die nett ausgedachte Provokation eingeht. Aber nichts, keine Reaktion. Die bemühte Geschmacklosigkeit, mit der Stadlober sich in die Reihe der unvergessenen Kinski-Auftritte einreihen möchte, lässt Schmidt gekonnt ins Leere laufen. Armer Jungstar, er konnte einem richtig Leid tun, wie er sich angestrengt bemühte, den arschigen Provo zu geben. Irgendwann gegen Ende des Auftritts äußert Stadlober sich dann noch abschätzig über einen Schauspielerkollegen, um triumphierend hinzuzufügen, jetzt gelte er bestimmt wieder mal als großmäuliger Arsch. Ein letzter rührender Versuch, sich dem Publikum als Schwein vom Dienst zu empfehlen. Wieder ohne Erfolg.
Mit einer ähnlich großspurigen Haltung und einem ähnlich mickrigen Ergebnis kommt auch Vanessa Jopps Teenager-Drama „Engel + Joe“ daher, in dem Robert Stadlober neben Jana Pallaske („alaska.de“) die Hauptrolle spielt. Eine leidenschaftliche Liebesgeschichte aus der Gosse möchte „Engel + Joe“ sein. Stadlober spielt den 17-jährigen Punk Engel, Pallaske die 15-jährige Joe. Die beiden begegnen sich auf dem Abhängetreff vor dem Kölner Dom, sie verlieben sich, streiten, kuscheln, betrügen einander, erwarten ein Kind und flüchten schließlich aus der Stadt, um in den Bergen ein besseres Leben zu finden. Zwischendurch stirbt ein Punk-Kollege, landet Engel im Gefängnis und wird heroinabhängig, geht Joe auf den Strich und bricht endgültig mit ihrer tablettensüchtigen Mutter.
Harter Stoff, aber nicht völlig aus der Luft gegriffen. Dafür bürgt der renommierte Journalist Kai Hermann, auf dessen Stern-Reportage „Hexe und Zottel“ das Drehbuch zu „Engel + Joe“ beruht. Doch in Vanessa Jopps Zweitling nach „Vergiss Amerika“ schrumpft die unbedingte Wahrhaftigkeit einer Liebe, die keine Chance hat, auf das harmlose Format von „Marienhof“ oder „Lindenstraße“. Alles brav inszeniert, alles brav ausgeleuchtet, selbst die Punks von der Kölner Domplatte brav ausstaffiert. Man blickt in keine Abgründe, sondern schaut lediglich der bemühten Darstellung derselben zu. So ist „Engel + Joe“ ein bisschen wie der Auftritt von Stadlober bei Harald Schmidt: viel vorgenommen und wenig erreicht, gut gemeint und schlecht gekonnt.
ENNO BOHLMANN
„Engel + Joe“. Regie: Vanessa Jopp. Mit Robert Stadlober, Jana Pallaske u. a.. Deutschland 2001, 95 Min.
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