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Was macht eigentlich...Weihnachten?

Weihnachten wie jedes Jahr am Klavier zu sitzen, kann schön sein - oder ein Fluch. Oder man arrangiert sich ganz einfach mit dem Unvermeidlichen.

Trend oder Trash? Die Weihnachtsfrage stellt sich eben jedes Jahr erneut. Bild: dpa, Arne Dedert

Sich wiederholen!

Es gibt nichts, das weniger Überraschungen birgt als Weihnachten. 26 Jahre mache ich das jetzt schon mit: Fahre zu meinen Eltern in die Randberliner Kleinstadt. Werfe vor der Bescherung keinen Blick auf den funkelnd-dekorierten Weihnachtsbaum im Wohnzimmer. Spiele vor dem Geschenkeauspacken etwas auf dem Klavier, auf Wunsch auch Weihnachtliches, dann wird dazu gesungen. Mein Bruder liest die Weihnachtsgeschichte vor. Spätabends gehts zur katholischen Christmette. Und drei Tage später noch mal das Ganze in großer Verwandtenrunde.

Dabei wollte ich es diesmal anders machen. Nichts lag mir in den letzten Wochen ferner als Weihnachtsstimmung. Ich weilte in Indien. 30 Grad, Flipflops und christkindl-unverdächtige Hindus. Sämtliche Weihnachtsgeschenke erhandelte ich auf staubigen Basaren. Zufrieden fuhr ich nach Hause: kein Last-Minute-Shoppingstress, kein glühweintrunkener Weihnachtsmarkt dieses Jahr. Und der Vorsatz diesmal zu den Großen zu gehören - einfach Geschenke auszupacken, ohne Gedichte oder Klimperei.

Dann rief meine Tante an: Ob ich nicht das Flötenvorspiel meiner kleinen Großcousine auf dem Klavier begleiten könne? Ich sagte zu. Auch meine Eltern fragten nach: Ob Weihnachten alles beim Alten bliebe? Ich bejahte. Es wird sich nichts ändern.

Ich werde wieder vor der Wohnzimmertür auf die Bescherung warten und am Klavier sitzen. Irgendwie ist das ja auch mal ganz schön. Zu wissen, was kommt. K. LITSCHKO

Richtig heiß werden!

Fieber. Leichtes Fieber zumindest. Oder sagen wir: erhöhte Temperatur. Dazu Husten, dieses raspelnde Kratzen im Hals. Schnupfen. Heiserkeit. Und natürlich diese sanft dröhnende Fülle hinter der Stirn. Im Paket ist das gerade mal wieder sehr angesagt. Und leicht zu bekommen. Gibt es in jeder U-Bahn. Nächster Halt: Viruszentrale. Alles einsteigen. Tief einatmen. Und los gehts.

Wer dann einmal dabei ist, wird reich belohnt. Mit zahlreichen Überraschung in kleinen Päckchen. Frisch serviert vom Arnzeimittelschränkchen. Denn da ist ja meist doch noch irgendwas drin, was man mal auspacken kann. Um zu gucken, was drin ist. Und um herauszufinden, ob es einem gefällt. Ah, da schau an, eine weiße Tablette. Soll gegen Schmerzen helfen. Das wusste schon die Oma. Lindern, hat sie das genannt.

Und dann hier: Erkältungstee, wie von Muttern empfohlen. Auch nicht schlecht. Oder das da: ein Fläschchen mit braunen Tropfen. Total natürlich aus der Knolle einer Wurzel einer Blume oder so ähnlich. Wirkts? Egal, rein damit.

Ganz hinten dann noch eine echte Überraschung: ein Fläschchen Codein. Codein? Ja, Codein. Gab es da nicht mal ne Band, die so hieß? Very slow auf dem Weg ins Nirvana. Und voll auf Drogen? Der Drug Scout im Internet meint: Der Konsum bewirkt ein Gefühl der Gelassenheit, Unbeschwertheit und Euphorie. Eine Steigerung des Selbstbewusstseins ist möglich. Klingt gut. Soll außerdem noch gegen Hustenreiz wirken. Niedrig dosieren. Rein damit. Ein Fest der Selbstheilung. Spitzentrend.

Das nächste große Ding soll dann Weihnachten sein. Steht quasi schon vor der Tür. Funktioniert ähnlich. Kleine Pakete auspacken und sich berauschen lassen. Und wenn man nicht aufpasst, gibt es auch wieder einen dicken Kopf. G. ASMUTH

Musikalische Höhepunkte bieten

Ich hätte mir gewünscht, dass sich ein Loch auftut. Im Boden, möglichst groß und bitte sofort. Aber der Boden blieb zu, wie das immer so ist, wenn man mal dringend ein Loch im Boden braucht. Und so stand ich da, zwischen weihnachtsbeseelten, aus voller Kehle singenden Menschen, allesamt erwachsen, allesamt sonst eher für bissige Angriffe bekannt als für Gnaden bringende Weihnachtszeit. Und ganz kurz dachte ich, es wäre alles nur ein skurriler Traum, aus dem ich sicher gleich erwachen würde.

Das denkwürdige Erlebnis, das mich eine spontane Erdmassenverschiebung wünschen ließ, geschah am Tag der letzten Plenarsitzung vor Weihnachten. Draußen vor dem Abgeordnetenhaus stehen wie immer in den vergangenen Wochen in dicke grüne Schichten gepackte Polizisten, die im Schnee stapfen und Wolken ausatmen, was beides überhaupt nicht gegen die Kälte hilft. Aus den schwarzen Limousinen kriechen nach und nach Senatsmitglieder, und einige der Fahrer stimmen in das Stampfen und Atmen der Polizisten mit ein.

Dann geht auf einmal alles ganz schnell: Der Kollege und ich öffnen die Tür zum Foyer, der Kollege ruft erfreut: "Oh, Musik!". Und bevor ich das Ausmaß überhaupt realisiert hatte, stimmt er ein in den Chor von "O du fröhliche" - dargeboten von zahlreichen Mitarbeitern und Abgeordneten, begleitet von einem Bläserensemble mit Dirigenten.

So, und jetzt noch mal zur Erinnerung: Wir befinden uns bereits im Jahr 2010. Und irgendwie hat es Weihnachten geschafft, sich sogar in der Legislative einen Platz zu erobern. So gesehen hätte wohl auch ein Loch im Boden nicht mehr viel geholfen. S. BERGT

Aus der Spur werfen

Eigentlich freue ich mich jedes Jahr auf Weihnachten. Vor allem, seitdem ich Onkel bin. Meine Neffen sind jetzt drei und eineinhalb Jahre alt. Doch das Verkehrschaos lässt mich an dem Sinn der diesjährigen Weihnacht zweifeln.

Als Student habe ich mir für das Fest Zeit genommen. So um den 22. Dezember bin ich zu meiner Familie nach München gefahren, und zwischen den Jahren ging es dann wieder zurück nach Berlin. Doch dieses Jahr ist Weihnachten für mich ein Kurztripp. Am 24. morgens den Zug nach München nehmen und nachmittags gleich zur Bescherung zu meinem Bruder. Am Sonntag wieder zurück nach Berlin und zwischenzeitlich für Freunde an Heiligabend den DJ spielen. Wenn das alles so planmäßig klappt.

Denn seit Anfang der Woche verfolge ich nun die bedrohlichen Verkehrsmeldungen: Chaos auf den Autobahnen; Züge, die verspätet und überfüllt sind oder gleich ganz ausfallen. Die Vorstellung, Heiligabend erstmal sechs Stunden in einem Zug zu stehen oder am Bahnhof feststellen zu müssen, dass ich sowieso nicht nach Hause komme, weil der Zug ausfällt, verdirbt mir die Lust. Ist es überhaupt den Stress wert? Weihnachten ist eigentlich nur schön, wenn man Zeit hat, wenn man nicht angehetzt kommt und gleich nach der Bescherung schon wieder auf dem Sprung ist.

Da kommt die Frage auf, ob ich Weihnachten in diesem Jahr nicht einfach ganz ausfallen lassen und den Besuch bei der Familie nächstes Jahr in Ruhe nachholen sollte. Mein Notfallpaket für "X-mas lost in Berlin" habe ich mir schon mal gesichert: drei Packen Provolone-Piccante-Käse und dazu drei Flaschen Chardonnay. S. POELCHAU

Wehmut wecken!

Je älter ich werde, desto mehr staune ich über mich. Ich komme aus einem konservativen Elternhaus, fränkische Kleinstadt, katholisch geprägt, Weihnachten lief immer genau gleich ab, musste immer genau gleich ablaufen. Ich habe es gehasst. Karpfen hasse ich bis heute, Radiosendungen, die nur aus Kirchenglockengeläut bestehen, auch. Überhaupt war ich bis vor kurzem sicher, ich könnte auf Weihnachten verzichten. Macht mir nichts aus, war ich überzeugt.

Letztes Jahr war ich zum ersten Mal nicht bei meinen Eltern an Heiligabend, sondern zu Hause in Berlin. Dieses Jahr werde ich verreist sein. Der Traum solcher Weihnachten hat mich manchen Jugendabend mit Christbaum, Lametta, Gitarrengeklampfe überleben lassen.

Und jetzt? Ich werde wehmütig! Ich überlege seit Tagen, was mein Freund und ich an Heiligabend essen! Und am Tag danach. Haben wir Kerzen eingepackt? Sollen wir Tannenzweige mitnehmen? Solche Gedanken kreisen in meinem Kopf, und sie erschrecken mich.

Gut, dass ich nicht allein über Weihnachten entscheide. Hauptsache, wir haben einen schönen Abend, sagt mein Freund. Wir werden keine Zweige mitnehmen und höchstens eine Kerze. Dafür Langlaufski und eine gute Flasche Wein. Es scheint, dass ich gerade noch einmal vorbeischramme an der Weihnachts-Falle. Fast wäre ich hineingetappt. Es ist schon komisch mit dem Älterwerden. K. PEZZEI

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