: „Was ist an mir so interessant?“
Ein Portrait des Imbißverkäufers Hasan Mesaoudi: Fast das ganze Leben ein Ausgebeuteter/ Die ganz alltägliche Lebensgeschichte eines marokkanischen Arbeitseinwanderers ■ Von Franco Foraci
Er sei doch gar nicht wichtig, sagt der kleine Mann mit gepflegtem Schnurrbart und entschuldigt sich fast, daß er gekommen ist – obwohl wir es waren, die ihn eingeladen haben. Hasan Mesaoudi versteht das Interesse an seiner Person nicht. Was habe er schon Großartiges zu erzählen! Vor allem: Was könne man denn so Spannendes über ihn schreiben. Bestimmt hätten Hunderte andere vor ihm bereits dasselbe erlebt. Mag sein. Trotzdem. Wir sind stur.
Hasan Mesaoudi redet nicht gern über sich selbst. Der 53jährige Marokkaner ist weder berühmt, noch hat er auf andere Weise in der Presse für Schlagzeilen gesorgt. Seine Lebensgeschichte wiederholt sich wahrscheinlich täglich tausendfach irgendwo in Deutschland. Da hat er ganz bestimmt recht. Leider.
1972 kam er in dieses Land, weil er gehört hatte, daß hier Arbeitskräfte gebraucht würden. Um für seine Frau und die drei Kinder weiter aufkommen zu können, verließ der damals 32jährige die Stadt Birkana in Marokko kurzentschlossen. Ein marokkanischer Freund besorgte ihm in Frankfurt am Main eine Anstellung als Kellner. Im „Café Schwieler“ ging es ihm gut. Unter seinen Kollegen befanden sich auch Landsleute. Er gewöhnte sich schnell an die neue Kultur fernab der Heimat. Die finanzkräftigen Gäste auf der Freßgass', der Frankfurter Luxusmeile an der Alten Oper, waren immer nett und freundlich. Nur mit dem Trinkgeld haperte es manchmal.
Hasan Mesaoudi verdiente am Anfang knappe 800 Mark: „Brutto natürlich“, sagt er, ohne eine Miene zu verziehen. Umgerechnet auf seine Arbeitszeit und die vielen Aufgaben, die er später wegen seiner Zuverlässigkeit und seinem Fleiß zusätzlich erledigen durfte (Tageskasse zur Bank bringen, Schlüssel verwalten, Bestellungen), betrug der Stundenlohn knappe fünf Mark – brutto, versteht sich. Das Geld zahlte ihm der Eigentümer des Cafés stets bar auf die Hand. Für ihn war Hasan ein moderner Sklave, eine sogenannte Aushilfskraft.
Der Café-Besitzer hatte ihn nur bei der Krankenkasse angemeldet. Das Arbeitsamt wußte nichts von seiner Beschäftigung. Hasan aber ließ er 15 Jahre lang in gutem Glauben, für ihn die Papiere in Ordnung gebracht zu haben. Für alle Fälle behielt er Hasans Paß ein. Als das Arbeitsamt recherchierte und Hasans Chef wegen der vermuteten illegalen Beschäftigung regreßpflichtig machen wollte, setzte er den Marokkaner auf die Straße. „Der Chef gab mir 1.000 Mark und sagte nach Feierabend zu mir: ,Du brauchst morgen nicht mehr zu kommen.‘ Einfach so“, erzählt Hasan Mesaoudi. Es war im Oktober 1986. Ein Tritt in den Hintern zum Dank für 15 Jahre Treue. Damit Hasan Mesaoudi nicht mehr in sein kleines Zimmer gehen konnte, wechselte der Café- Besitzer noch am gleichen Tag das Schloß aus. Seine Kleider und die kleine Habe Hasans steckte er in blaue Plastiksäcke und brachte sie zur Müllabfuhr.
Von seiner Entlassung wollte Hasan zunächst niemandem etwas sagen. Sich dagegen wehren, dachte er damals, hätte ohnehin keinen Sinn gehabt. Ohne Aufenthaltserlaubnis sei man ja ein rechtloses Etwas in diesem Land. Bevor seine Freunde erfuhren, was passiert war, und sie ihm helfen konnten, dauerte es einige Tage. Während dieser Zeit schlief er in Telefonzellen und unter Brücken.
Zwei Jahre halfen ihm Freunde, so gut sie konnten. Sie suchten für ihn eine neue Wohnung, zahlten seine Miete, sammelten in der Nachbarschaft Geld für den „Monatslohn“. Denn Arbeitslosengeld bekam er nicht. Für die Bürokraten hatte er ja nie gearbeitet, durfte es gar nicht. „Wenn ich diese Hilfe nicht erfahren hätte, ich wäre bestimmt verrückt geworden. Oder Sie würden jetzt mit einem Kriminellen sprechen.“
Ein befreundeter Anwalt kümmerte sich um seine Papiere. Selbst als Hasan wieder eine (legale) Arbeit gefunden hatte, stellten sich die Behörden quer. Das Arbeitsamt wollte eine Aufenthaltserlaubnis sehen, um eine Arbeitserlaubnis erstellen zu können. Der Darmstädter Regierungspräsident dagegen wollte ihm die Aufenthaltserlaubnis nur gewähren, wenn er vom Arbeitsamt die Arbeitserlaubnis bekomme. Ein gewollter bürokratischer Teufelskreis.
Dank seines Anwalts konnte Hasans Ausweisungsverfügung immer wieder verzögert werden. Ewig aber hätte das nicht geschehen können. Irgendwann löste sich das Problem von selbst: Hasan Mesaoudi lernte eine Deutsche kennen. Nach der Scheidung von seiner marokkanischen Frau heiratete er diese 1987.
Jetzt arbeitet Hasan als Imbißverkäufer vor dem Sitz einer großen Frankfurter Tageszeitung. Den Café-Betreiber, der ihn 15 Jahre lang betrogen hat, will Hasan rechtlich zur Rechenschaft ziehen lassen.
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