: Was im Globalen Süden funktioniert, geht auch hier
In der Landwirtschaft, der Textil- und der Lebensmittelverarbeitung leiden auch in Europa viele unter niedrigen Preisen und unsicheren Bedingungen. Einige Akteure zeigen, wie es anders gehen kann
Dem Getränkehersteller Lammsbräu aus Neumarkt ist die Politik zu langsam. Seit 2025 honoriert der Bio-Pionier aus der Oberpfalz als erstes Unternehmen in Deutschland die Gemeinwohlleistungen seiner Zulieferer. „Wir bezahlen die Bauern ab sofort nicht nur für die gelieferten Rohstoffe, sondern auch für die von ihnen für die Gesellschaft erbrachten Leistungen“, sagt Geschäftsführer Johannes Ehrnsperger. Hierzu zu zählen viele schützenswerte Gemeingüter, beispielsweise der Erhalt der Bodenfruchtbarkeit oder der biologischen Vielfalt.
Über die Erzeugergemeinschaft für ökologische Braurohstoffe (EZÖB) erhalten 180 Landwirte ein Prozent des jährlichen Umsatzes der Brauerei, etwa 300.000 Euro – zusätzlich zu fairen Erzeugerpreisen, nachhaltigen Handelsbeziehungen, regionalem Rohstoffbezug, Transparenz und gesellschaftlichem Engagement.
Das Traditionsunternehmen zeigt: Fairer Handel ist auch im Globalen Norden möglich – und über gesetzliche Bestimmungen hinaus wirtschaftlich erfolgreich. Das ist wichtig, denn auch in Europa entstehen Produkte oft unter prekären Arbeitsbedingungen. Erzeuger landwirtschaftlicher Produkte leiden unter niedrigen Preisen, Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft werden vielerorts schlecht entlohnt und arbeiten unter unsicheren Bedingungen. Auch in der Textil- und Lebensmittelverarbeitung sind niedrige Löhne, lange Arbeitszeiten und fehlende soziale Absicherung verbreitet.
Fairer Handel von Nord nach Nord sorgt hier für Mindeststandards, transparente Arbeitsbedingungen und gerechte Entlohnung. Gleichzeitig fördert er nachhaltige Produktionsmethoden und stärkt das Bewusstsein für soziale Verantwortung. Das ist auch dringend erforderlich. In Südeuropa, aber auch in Deutschland kämpfen viele bäuerliche Betriebe ums Überleben. Zwischen 2005 und 2020 sank die Zahl der Höfe in der EU von 14 auf 9 Millionen, ein Rückgang um rund 37 Prozent. Betroffen waren besonders kleine Betriebe. Dabei sind es gerade diese Familienbetriebe, die eine lebendige Kulturlandschaft sichern, Artenvielfalt fördern und eine zukunftsfähige Region gestalten.
Um sie zu stärken, braucht es verlässliche Strukturen und faire Zukunftsperspektiven. Genau hier setzt Naturland Fair an. Das Siegel des Verbands für ökologischen Landbau ergänzt die eigene Bio-Zertifizierung um soziale Kriterien. Partner verpflichten sich unter anderem zu fairen Preisen und Prämien, existenzsichernden Löhnen, langfristigen Handelsbeziehungen und regionalem Rohstoffbezug. In Deutschland beteiligen sich neben der Neumarkter Lammsbräu Partner wie die Molkerei Berchtesgadener Land, die Münchner Hofpfisterei oder das Weingut Seck mit fairen Preisen und regionalen Projekten.
Das honorieren deutsche Verbraucherinnen und Verbraucher: 2024 gaben sie laut Forum Fairer Handel rund 165 Millionen Euro für fair gehandelte Produkte aus Europa aus – das entspricht einem Plus von 3,8 Prozent zum Vorjahr. Besonders gefragt sind Milchprodukte, Mehl und Backwaren, aber auch Kräutertees, Säfte, Wein, Olivenöl, Pasta, Wurstwaren, Eier und Trockenfrüchte, ja sogar Weihnachtsbäume. Neben dem Naturland Fair-Zeichen tragen manche Produkte auch das Fair-for-Life-Siegel, einem Standard des Zertifizierers Ecocert Deutschland GmbH.
Diese Beispiele zeigen, dass Fairer Handel keine Frage der Geografie ist, sondern der Haltung – und dass er auch hier vor Ort eine gerechtere Zukunft für die Landwirtschaft und die Gesellschaft schaffen kann. Der ehemalige Abgeordnete des EU-Parlaments, Claude Gruffat, formulierte es sinngemäß so: „Wenn wir wissen, wie wir südliche Produzenten fair entlohnen, dann sollten wir auch europäischen Landwirtinnen und Landwirten faire Löhne und Lebensbedingungen garantieren können.“ Frank Herrmann
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