Prêt-à-porter: Was für ein Rathaus!
■ Die Nacktheit in der Pariser Mode hat museale Tradition
Das Rätsel um die nackten Brüste ist gelöst! Ich weiß jetzt, warum die Pariser Modeschöpfer, alle Pariser Modeschöpfer, in dieser Saison vom nackten weiblichen Oberkörper besessen sind. Die Erkenntnis traf mich wie ein Blitzschlag, als ich die Marmortreppen des Pariser Rathauses hochstieg, um die Schau von Jean-Charles Castelbajac anzusehen. Die Designer waren hier, im Rathaus. Es ist einfach unglaublich. Wie kann man hier arbeiten? Bei jedem Schritt hält mir eine halbentblößte Schöne seelenvoll lächelnd eine Mandoline entgegen oder ein Blumensträußchen oder eine Frucht.
Das Angebot dankend ablehnend, schreite ich über einen roten Teppich, in den goldene Ornamente gewebt sind. Vorbei an vergoldeten Säulen und Fenstern, die in leuchtenden Farben bemalt sind, dann – ein großer Salon. Oben in die Wände sind Nischen eingelassen, darin stehen Ruhebetten, auf denen sich nackte Damen niedergelassen haben, um versonnen ihr Haar zu richten. Flankiert werden sie von nackten Frauen, die so tun, als würden sie die Decke halten. Die Deckengemälde zeigen Liebende in unterschiedlichen Stadien der Entkleidung. Die Franzosen lieben auf sehr heitere Art. Was für ein Rathaus!
Castelbajac hat einen großen Fehler gemacht, als er diesen Ort für sein Defilee wählte. Er liebt kräftige reine Farben und geometrische Muster: blaue Jacken mit großen roten Taschen oder gelben Ärmeln oder Jeansjacken mit eingesetzten Plastikvierecken am Rücken. Dann gab es einfache Abendkleider mit Kapuze und knielange Kleider mit weiten Tüllröcken, fröhlich über den Laufsteg gewirbelt von Models, auf deren glatt zurückgekämmte Haare Wörter wie „Engel“, „Liebe“, „Courage“ gesprüht waren. Alles schien gedacht für eine patente Jugend, die sich die Zukunft nicht anders als rosig vorstellen kann. Aber die nackte Heiterkeit der Göttinnen an der Decke ließen Castelbajacs ungebremsten Optimismus erbarmungslos bürgerlich erscheinen.
Corinne Cobson hatte garantiert eine andere Jugend vor Augen, als sie ihre Kleider entwarf. Fast alle waren durchsichtig. Doch ging sie dem Vorwurf eines billigen Reklametricks geschickt aus dem Weg, indem sie fast nur Kleider zum Tanzengehen zeigte. Da trifft man ja nur seinesgleichen und keine ältlichen Einkäufer von Modeboutiquen. Auch das Publikum bei Cobson sah aus, als würde es jeden Club in Paris und London kennen: viele junge Stutzer mit Oasis-Frisuren.
Für ihre leicht ausgestellten Kleider verwendete Cobson fließendes Material, das mit funkelnden Pailletten oder anderem Glitzer bestickt war. Darunter zeichnete sich der Körper genauso deutlich ab wie unter den hautengen Jerseykleidern. Außerdem gab es Anzüge und bedruckte Kimonos aus einem Stoff, der aussah wie Satin. Kein Stoff, der nicht glänzte oder funkelte. Und das war auch bitter nötig: Wie bei vielen Designern dieser Saison ist Cobsons Lieblingsfarbe für den Sommer – Braun. Die glänzenden Materialien verwandeln den tristen Ton in Gold oder Bronze.
Dice Kayek hat vor einem Jahr eine etwas dandyhafte Kollektion vorgestellt: Sie hat eine wunderbare Art, Sex mit Förmlichkeit zu verbinden. Ein Hemd, zum Beispiel aus Jersey, macht den Eindruck von Weichheit, etwas Lockendem. Verstärkt wird dieser Effekt noch durch die transparenten Streifen. Doch der große Kragen ist steif, mit spitzen Enden und etwas höher als üblich. Auch die übergroßen Manschetten sind steif. Eine etwas unheimliche Mischung aus Weib und Amazone. Diese Technik geht allerdings sofort daneben, wenn die Hemden aus gänzlich transparentem Stoff sind: Dann wirken der steife Kragen und die Manschetten wie ein kleines Servierschürzchen an einer nackten Zofe – neckisch. Anja Seeliger
Fortsetzung folgt
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