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Warum ich nicht stolz bin, Deutsche zu seinMein Land

Kommentar

von Natascha Scheidler

Aber das ist doch auch dein Land!“, sagt sie, fast schon vorwurfsvoll. „Sie“, das ist meine Tante Tamara. Tante Tamara ist gerade aus Stuttgart zu Besuch in Berlin. Wir sitzen im Wohnzimmer, der Fernseher läuft. Coca-Cola macht Werbung für sich und die WM. Tausende Menschen wedeln euphorisch mit einem schwarz-rot-goldenen Stück Stoff herum. Diese Fahnen kotzen mich an. Und wenn ich das schon höre, „mein Land“. Ich merke, wie sich mein Magen verkrampft. In Deutsch haben wir gelernt, dass ein Possessivpronomen einen Besitz oder eine Zugehörigkeit ausdrückt. Aber ich besitze Deutschland doch nicht. Und ganz ehrlich – wirklich groß ist mein Zugehörigkeitsgefühl auch nicht.

„Patriotismus ist nicht unbedingt etwas Schlechtes!“, sagt meine Tante. Schon wieder zucke ich zusammen. Denn meiner Meinung nach führt Patriotismus zumindest nicht zu guten Dingen: Fast jeder AfDler verkauft seinen Fremdenhass und Rassismus unter dem Deckmantel des Patriotismus – für sie klingt das anscheinend wohlmeinender. Diese Patrioten lieben ihr Vaterland. Sie lieben es so obsessiv, dass sie ihr Land unbedingt vor jedem Nichtdeutschen schützen müssen, da es sonst nicht mehr würdig ist, in einem Satz mit einem Possessivpronomen genannt zu werden.

„Deutsch zu sprechen gehört für mich nicht zu meiner Identität. Meine Identität, das ist meine Angewohnheit, immer zu spät zu kommen und übergroße Männerhemden zu tragen“

Ein anderes Wort für Patriotismus ist Nationalstolz. Dieses Wort benutzt auch Tante Tamara.

„Aber wie kannst du denn stolz auf etwas sein, zu dem du rein gar nichts beigetragen hast?“, frage ich sie. Sie antwortet: Allein durch meine Existenz würde ich dem Staat und damit dem Land etwas Gutes tun. Aha. Ich werde also arbeiten und Geld verdienen und dafür sorgen, dass diese Maschine, deren Teil wir sind, funktioniert. Inwiefern mich die Offenbarung meines eher ernüchternden Schicksals jetzt dazu bewegen sollte, mich mehr mit Deutschland verbunden zu fühlen, verstehe ich nicht so ganz.

Später frage ich meinen Vater, was er von Patriotismus hält. Als er „nicht gut“ sagt, horche ich auf. Er fährt fort: Man müsse ja immer auch die wirtschaftliche Seite sehen. Und da werde schon längst global gearbeitet. Leider war das nicht ganz die Begründung, die ich mir erhofft hatte. Dann sagt er noch etwas, das ich sehr interessant finde: Patriotismus sei nur beim Fußball gut. Fußball scheint sowieso alle Regeln und Normen außer Kraft zu setzen. Beim Fußball sitzt der Banker neben dem Arbeiter und der Grüne neben dem Pegida-Anhänger. Fußball scheint die Menschen unterschiedlichster Herkunft und Einkommensklassen zu vereinen. Natürlich nur, solange man gemeinsam für Deutschland und gegen die anderen ist. Sobald es dann um die Bundesliga geht, spalten sich die Gemüter wieder und der Lokalpatriotismus zeigt sich.

Auch mich selbst hat der in manchen Momenten schon ergriffen. Wenn ich Verwandte in Bonn oder Neckarsulm besuche, betone ich gerne, dass ich aus Berlin komme. So, als ob das irgendeine Leistung wäre, die mir attestiert, hipper und cooler als alle anderen zu sein. Aber dann lese ich Schlagzeilen über homophobe Angriffe direkt nach dem CSD. Hier im weltoffenen Berlin. Und merke: Die tolerante Illusion von Berlin ist einfach nur der Strohhalm, an den ich mich zu klammern versuche: ein Floß im deutschen Sumpf von Rassismus und anderen Diskriminierungen. Trotzdem – wenn ich im Ausland gefragt werde, woher ich komme, lautet meine Antwort meistens „Berlin“ und nicht „Germany“.

Natürlich bin ich froh, das Glück gehabt zu haben, hier geboren zu sein und nicht in Ländern, in denen die Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Aber dass ich Deutsch spreche und hier lebe, ist für mich nichts, was zu meiner Identität gehört. Meine Identität, das ist für mich meine Persönlichkeit – meine Vorliebe für Theaterbesuche oder elektronische Musik. Das ist meine Angewohnheit, immer zu spät zu kommen, gerne tanzen zu gehen und übergroße Männerhemden zu tragen. Ich bin nicht stolz, Deutsche zu sein, und das ist auch gut so.

„Sind wir nicht eigentlich schon viel weiter, was das angeht?“, frage ich meine Tante. „Müssen wir uns wirklich noch über unsere Herkunft definieren?“ Sie überlegt. „Ihr jungen Leute seid das vielleicht. Ich noch nicht.“ Ich fände es schön, wenn sie mit dem ersten Teil recht behält.

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