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Archiv-Artikel

Warten auf den Tod des Papstes

Super, Spitze, Klasse, toll: Der Stückemarkt auf dem Theatertreffen war dramatisch, dramatischer, am dramatischsten – erst die Kontaktsuche, dann das Vätersterben und schließlich die preisgekrönte Einsamkeit. Das macht Lust auf mehr

Wenn an der Bar im Haus der Berliner Festspiele Schmalzbrote statt Austern verkauft werden und ein junges Publikum im Foyer Platz nimmt, dann ist ganz sicher Tag des Stückemarkts auf dem Theatertreffen (TT). Bekannte Schauspieler lesen unbekannte Autoren, ausgewählt von einer Jury, die sich durch einen Berg von 322 Manuskripten graben musste. Die Stimmung ist leicht, das Publikum trägt hier nicht so viel an seiner eigenen Bedeutung wie bei den ausgewählten Inszenierungen. Die Bereitschaft der Besucher, Testhörer für erste dramatische Versuche zu spielen, wurde dieses Jahr mit sieben Lesungen belohnt, die mindestens spannend und oft noch mehr waren.

Vier deutschsprachige Autoren und drei, die aus Spanien, Litauen und Polen kamen, waren auserwählt. Der jüngste, John Birke, geboren 1981 und Student der Philosophie in Leipzig, stellte sich vor, dass die Figuren seines „Pas de Deux“, einer witzigen und schnellen Dialogfolge über Kontaktsuche und gemeinsame Nächte, eindeutig älter wären als er selbst: vielleicht, um sich ihr peinliches Verhalten, ihren ständigen Vergleich mit Selbstbildern, die sie nicht erfüllen, noch etwas vom Leibe zu halten. Keinesfalls aber seien „Er“ und „Sie“ älter als dreißig, das glaubte er – wohl in der Hoffnung, solche Unsicherheiten über die eigene Identität wüchsen sich später aus. So war das Lustige an seinem Stück, dass er mehr erzählte, als ihm selbst bewusst war.

Schon vor fünf Jahren schrieb Jan Klata, Regisseur aus Krakau, „Lächelnde Grayprut“. In Polen, so erzählte er, regte sich das Publikum angesichts einer Workshop-Inszenierung vor allem über Szenen auf, in denen ein zynisches Reporterpärchen auf den Tod des Papstes wartet. Zwischen Journalisten, Künstlern und Duft-Designern angesiedelt, scheint sein Stück zunächst eine gelungene Satire auf postmoderne Selbstdarstellungsriten – voller Lust an Entgleisungen und Verdrehungen der Sprache. Vor allem dem Kunstbetrieb und seiner Sakralisierung der Avantgarden schießt Klata schöne Pfeile in die Seite, wach gegenüber allen katholischen Untertönen von Opferung und Erlösung. Nach und nach aber wird daraus immer mehr eine Geschichte von Vater und Sohn und ihrer uneingestandenen Sehnsucht nach der Anerkennung.

Mit Studien über Vater-Verluste, die das Familienoberhaupt als legitime autoritäre Instanz abschaffen, beschäftigten sich gleich fünf der sieben Autoren. Väter sterben oder werden ermordet. Ein Zufall? Oder Erkenntnis einer Generation? Für den katalanischen Autor Carles Batlle bildet dieser Konflikt das geheime Zentrum einer Story über marokkanische Emigranten in Spanien. Sein Stück „Versuchung“ folgt der Dramaturgie eines Thrillers, der mit jeder Szene das Vorherige in ein neues Licht setzt. Anfangs liegt der Schwerpunkt auf der Verlassenheit und Demütigung der Ausgewanderten. Bis sich die Geschichte zwischen Vater, Tochter und Liebhaber zusehends tiefer in die Verhärtungen ihrer Seelen hineinschraubt. Die Jungen werden zu Monstern, die an der eigenen Grausamkeit leiden.

Bei Carles Batlle war es ebenso wie bei Kristina Nenninger zu spüren – wie das Kino Maßstäbe des Dramatischen setzt, Almodóvar oder Tarantino mitgedacht werden. Sehr zart und lieb sah die Autorin Kristina Nenninger aus, deren Stück „Restart“ eine Explosion von Gewalt und Terror beschreibt, als virtuelles Spiel und Fantasie der halbwüchsigen Marie und zugleich als schräge Parodie auf Leistungswillen und Elite-Training: Das ganze Team der Lesung brach in aufmunternde Begeisterungsstürme aus – „Super, Spitze, Klasse, toll“ – jedes Mal, wenn Marie wieder jemanden gruselig abgestochen hatte.

Den Stückewettbewerb gewonnen aber hat dann doch ein Text, der leiser, zärtlicher und emphatischer mit seinen Figuren umging. Laura Sintija Cerniauskaite, 1976 in Litauen geboren, bekam den mit 5.000 Euro dotierten TT-Förderpreis für neue Dramatik. Sie kümmert sich in ihrem Stück „Lucy auf dem Eis“ sehr differenziert um die Geschichte einer Trennung und lässt sehen, wie sich in der Erfahrung der Einsamkeit die Zeit weitet und die Trauer uferlos wird. Ohne jemals konstruiert zu wirken, verleihen ihre Dialoge den Charakteren dabei bald eine Tiefe, deren Grund man berühren möchte. Sicher wird man ihnen bald auf einer Bühne wieder begegnen.

KATRIN BETTINA MÜLLER