Warnung des Bundeskriminalamts: Ausgrenzung führt zur Radikalität
Auf der Herbsttagung des Bundeskriminalamts mahnen Forscher die deutsche Politik, Muslime nicht länger auszugrenzen. Sonst könne der Islamismus das emotionale Vakuum füllen.
WIESBADEN taz | Die Heimatlosigkeit vieler Muslime im Westen ist eine Voraussetzung für den islamistischen Terrorismus. Das war eines der wichtigsten Ergebnisse auf der Herbsttagung des Bundeskriminalamts (BKA).
"Es gibt drei Zutaten, die zur Radikalisierung von Muslimen führen", berichtete Peter Neumann vom Londoner Centre for the Study of Radicalisation. Am Beginn stehe ein großer Unmut, eine Unzufriedenheit. "Junge Einwandererkinder wissen oft nicht, wo ihre Heimat ist, wo sie hingehören, weil sie sich nicht akzeptiert fühlen." Dieses emotionale Vakuum könne dann, so Neumann, eine Ideologie wie der Islamismus füllen. Hier werde der entwurzelte junge Mensch zum Teil einer großen Sache, der "islamischen Nation", die angeblich von Juden, Kreuzzüglern unterdrückt und angegriffen werde.
Als dritte Zutat der Radikalisierung komme die "Mobilisierung" in Kleingruppen hinzu, erklärte Neumann. Der islamistische Freundeskreis sei wie eine Gruppe von Blutsbrüdern. Als Gegenstrategie appellierte der Forscher an die Politik, "dafür zu sorgen, dass sich Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland zu Hause fühlen". Die Gefahr, die von islamistischen Zellen ausgeht, müsse dann aber schließlich von den Sicherheitsbehörden kontrolliert werden.
Unterstützt wurde Neumann von dem Briten Ghaffar Hossain, der als Kind pakistanischer Einwanderer in islamistische Kreise geriet, dann Psychologie studierte und nun für die Quilliam-Stiftung arbeitet, ein Thinktank islamistischer Aussteiger. Im grauen Anzug und mit geschliffenem Oxford-Englisch erzählte er: "Auch ich war ein Jugendlicher mit Identitätsproblemen." Heute will er Jugendliche über den Islamismus aufklären: "Das ist eine moderne Herrschaftsideologie, die wenig mit der traditionellen Religion zu tun hat."
In Deutschland gibt es bisher keine aktiven Aussteiger wie Ghaffar Hossain. "Wir sind aber in Kontakt zu einem ehemaligen radikalen Imam aus Hamburg", verriet BKA-Chef Jörg Ziercke, "der bereit wäre, auf seine ehemaligen Gesinnungsgenossen einzuwirken."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich