: Wann tritt der Ernstfall ein?
betr.: „Etwas mehr Gelassenheit“, taz vom 11. 12. 01
Mit Verweis darauf, dass seit Jahren Grundrechte ausgehöhlt, das verfassungsrechtlich festgeschriebene Trennungsgebot von Geheimdiensten und Polizei aufgeweicht, die Asyl- und Ausländergesetze verschärft werden, wird das neue „Terrorismusbekämpfungsgesetz“ von Christian Rath zwar als kritisierbar, aber nicht skandalisierbar dargestellt. Zum Glück seien die Sicherheitsbehörden mangels Personal eh nicht in der Lage, die neuen Befugnisse auszuschöpfen. Das ist ja beruhigend. Sicher finden wir uns nach der zu erwartenden Beschlussfassung am Freitag nicht sofort im „Überwachungsstaat“ wieder – aber wieder neue Grundsteine werden gelegt, die Möglichkeiten für eine totale Überwachung werden installiert.
Angesichts der kaum vorhandenen öffentlichen Diskussion über das „Sicherheitspaket 2“, der Uninformiertheit in großen Teilen der Bevölkerung und auch der Abgeordneten, die am Freitag über dieses Gesetz abstimmen sollen, der Schnelligkeit, mit der Innenminister Schily ohne Nachweis der Geeignetheit der geplanten Maßnahmen das Paket beschlossen haben will, und gerade auch angesichts der bisher mageren Berichterstattung in der taz zum Thema ist die von Christian Rath aufgeworfene Debatte eine falsche Schwerpunktsetzung in der Auseinandersetzung. Wenn Gesetze verabschiedet werden, deren Wortlaut bis zum Tag der Beschlussfassung den abstimmenden Abgeordneten nicht bekannt ist, die nicht nach dem Verfassungsprinzip der Verhältnismäßigkeit (Geeignetheit und Erforderlichkeit der Mittel sowie Verhältnismäßigkeit in Bezug auf die Auswirkungen auf die Grundrechte) geprüft wurden und diesem nicht standhalten würden, wenn massiv rassistische Ressentiments und unkritisches Verhalten befördert werden, wenn weiter grundlegende Prinzipien der bundesrepublikanischen Rechtskultur abgebaut werden, dann ist es dringend angeraten, laut Kritik zu üben und vor den möglichen Folgen der Gesetze eindringlich zu warnen.
Zeitgleich mit dem Bundesrat tagte der Innenausschuss des Bundestags am 30. 11., dieser hatte Sachverständige zu einer Anhörung zum „Terrorismusbekämpfungsgesetz“ geladen, von den Anwesenden trugen drei Viertel massive Kritik am Gesetzentwurf vor, bisher liegt kein Protokoll der Anhörung vor, morgen tritt der Innenausschuss zusammen, ohne ausreichend Zeit für die Ergebnisse der Anhörung aufbringen zu können, geht das Gesetz am Freitag zur Abstimmung in den Bundestag.
Massive Kritik wäre noch viel stärker von Nöten, als sie bisher hörbar ist. Im Übrigen wäre ja mal interessant, wann denn ein „Ernstfall“ eintritt – wenn jemand mit der nötigen undemokratischen Gesinnung die schon längst vorhandenen Gesetze zu nutzen weiß? ANNETT MÄNGEL, stellvertr. Bundesvorsitzende der
JungdemokratInnen/ Junge Linke, Berlin
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