Wand und Boden: Sex mit den Augen
■ Kunst in Berlin jetzt: Lukacs, Obsessionen, Ponjuán, Francisco
Marguerita auf Eis, BZ-Reporterinnen mit Techno-Outfit, Kreuzberger in Tarnhosen: alles wie beim Tea-Dance. In einem solchen Ambiente würde kaum ein Bild die Eröffnungsgaudi überstehen. Attila Richard Lukacs Arbeiten halten trotzdem der Szene stand. Ein hübscher Kurzgeschorener mit Segelohren und cremefarbener Lederhose findet sich abgewandelt auf einem großformatigen Ölgemälde wieder. Lukacs portraitiert ältere Jungs bei SM- Spielchen – mit leicht gepeinigtem Gesichtsausdruck unter der Strumpfmaske, gefesselt, die Brustwarzen wie Wäsche bis zur Erschöpfung geklammert. Im hinteren Raum der Likörfabrik dann Bilder danach: Matt liegen für ein Triptychon aus Nessel und Eisen zwei dickliche Männer gekauert am Boden, der Arsch mit Zuchtstriemen übersät. Ihr Geschlecht baumelt schlapp über den Oberschenkeln. Besonders echt hat Lukacs die ausgezehrten Schwänze nicht gemalt. Sie erinnern an Blutsocken. Aber das Figürliche ist auch nicht Thema. Die Balance zwischen Lust und Bedrohung umrahmt er mit schönem monochromem Gelb energisch gespachtelten Violett-Streifen. Lukacs spielt mit dem Kitsch- Faktor der Übertretung, der solche Praktiken anhaftet. Das Ganze will als Allegorie auf die Ambiguität sexueller Gewalt gelesen werden. Der kanadische Botschafter sucht in seiner Einführung nach Vergleichen: Irgendwann werde man diese Arbeiten als Berliner Periode einordnen müssen. Der Künstler schüttelt lächelnd den Kopf. So einfach ist es nicht.
Bis 3.10., Di-So 15-18 Uhr, Auguststraße 91, Mitte.
In der Schausammlung des Schwulen Museums sind alle Schwänze gut getroffen. Gleich am Eingang zu „Obsessionen“ hängt eine Zeitungs-Collage aus einigen hundert mehr oder minder aufgerichteten Gemächten. Die Ausstellung steht in der Tradition der Dokumentationen des Magnus-Hirschfeld-Instituts aus den 20er Jahren. Sex lernt man mit den Augen. Die Soziologie hinter dem Bild vermitteln Kommentare: Von Beginn an habe das Posieren vor der Kamera bei der Selbststimulation geholfen. Mit dem Aufkommen anonymer Großlabors sei die Bildproduktion enorm gestiegen. Nun werden diese persönlichen Pornoalben aufgeblättert. Ein schwules Pärchen aus den 70er Jahren hat sich auf zahllosen Fotos in Frauenklamotten geknipst, von beigem Rock und Mahagonny-Bluse bis zu Aufnahmen in fliederfarbenem Latex, darunter meist Blümchenschlüpfer und -BH. Besondere Wirkung geht vom sorgfältig gewählten Interieur aus, ganze Serien sind vor der geschlossenen, nußbraunen Wohnzimmertür entstanden, daneben Dekorteller aus Porzellan und Zinn. Sie erinnern an Trophäen, stolze Insignien eines bürgerlichen Lebens, zu dem man sich auch mit Silber-Perücke aufgetakelt irgendwie noch verhält. Skeptische Menschen mögen darin die Selbstgefälligkeit typisch berlinischen Scheiterns sehen. Im Grunde will aber jeder Fetisch bloß gut inszeniert sein. Albrecht Becker etwa hat seine Tätowierungen und Piercings fotografisch festgehalten. Im Alter sind ihm die Hodensäcke wie Handtaschen angeschwollen. Es war ein Mißgeschick: Eigentlich wollte er durch eingespritztes Paraffin seinen Körper nur mannhafter ausgestalten. Jetzt hat die Schwellung alle Lüste erdrückt. Aber er kann damit leben, wie er schreibt.
Bis 27.11., Mi-So 14-18 Uhr, Mehringdamm 61, Kreuzberg.
Es hätte eine Show der politischen Statements werden können: Nicht bloß die USA zählen Fidel Castros Stunden. Dennoch zeugen die Objekte und Bildinstallationen von Ponjuán und René Francisco von einem nachdenklichen Eklektizismus sozialistischer Symbole, der sich vom Gegenstand längst entfernt hat. Darin sind sie den Arbeiten der Russen Komar und Melamid aus den frühen achtziger Jahren ähnlich. Doch die beiden Kubaner suchen nicht die Flucht ins Allegorische, sie spielen mit den Verweisen auf die heutige Situation: „Vuelo“, so der Ausstellungstitel, bedeutet „Flug“ – „aber im Grunde meinen sie mit dem Titel den Flug als Utopie der Kunst schlechthin“, heißt es im Katalogtext von Gerhard Haupt. Und obwohl sie Lenin als konstruktivistischen Agitprop in großformatigen Ölbildern zitieren, gehört ihre Sympathie eher Marcel Duchamp, der aus einer kleinen Holzkiste vom Band spricht und sich über Kunst in Museen beklagt, „die sich überlebt haben“. „Unser Amerika“ (1994) dagegen bleibt als Buchobjekt ein verschlossener Kasten, während der Schlüssel im Einband unter Glas geschützt ist – aber zu wessen Nachteil?
Bis 25.9., Di-Fr 11-13.30, 14-18 Uhr, Sa/So 11-17 Uhr, ifa-Galerie, Friedrichstraße 103, Mitte. Harald Fricke
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