piwik no script img

Wand und BodenMuseumsgeschmack

■ Kunst in Berlin jetzt: Gmelin, Pogačar, Kühn, Derx

Kunst beschäftigte sich schon länger mit beschädigtem Leben, doch erst in den siebziger Jahren wurde Kunst selbst beschädigt. Tony Shafrazi sprühte 1974 einen Graffiti-Spruch mit rotem Lack auf Picassos „Guernica“, der Berliner Student F. Keler versuchte 1982, ein Bild von Barnett Newman in der Nationalgalerie zu zerstören. Später erklärte er der BZ, Angst vor „Red, Yellow and Blue IV“ hätte ihn dazu getrieben, andererseits sei jetzt erst Newmans Schöpfung vollendet. Offenbar ist Bildersturm eine Ersatzhandlung. Felix Gmelin macht daraus ein Projekt der aufgelösten Moderne: „Die physische Existenz des Werkes steht im Zusammenhang mit den üblichen kunsthistorischen Praktiken, wie Sammeln, Bewahren etc. Die künstlerische Idee als solche wird durch diese Praktiken beeinflußt oder sogar verändert.“ Seine Rekonstruktionen sollen Synthesen aus Original, Kommentar und Meta- Kommentar herstellen. Dafür malt er das lädierte Kunstwerk verkleinert nach: Newmans Breitwand-Minimalismus paßt jetzt übers Sofa, die mit Tinte gefüllte Vitrine, in der zuvor das zerlegte Lamm von Damien Hirst schwamm, wurde als Spielzeugbecken nachgebaut. Vielleicht hätten auch Dokumentarfotos genügt. So hat die Beschäftigung mit der Zerstörung eher Nippes-Charakter, aber wahrscheinlich findet sich auch dafür Platz im Museum.

Bis 26.3., Galerie im Pferdestall, Mi-So 16-21 Uhr, Knaackstr. 97.

Bei Tadej Pogačar halten sich die Schäden an Kunst und Leben die Waage. Der 1960 in Ljubljana geborene Slowene hat „Zwei Meister“ installiert, Materialsammlungen zu Wissenschafts- und Museumstechniken. Am Eingang der ifa-Galerie erklärt eine Schautafel noch mal die Wirkung des Pawlowschen Reflexes, danach muß man sich im Labyrinth aus Zeichen und Verweisen alleine zurechtfinden. Ein wiederkehrendes Symbol ist die von Pogačar geschwärzte Weltkugel, auf deren Oberfläche sich nur die Umrisse der einzelnen Kontinente leicht erheben. Damit lassen sich objektive Verhältnisse als Negativ-Form früherer Real- Soz-Transparenz bezeichnen. Auf acht symmetrisch arrangierten kleinen Schultischen liegen zerschlagene Reagenzgläser ausgeschüttet, dazwischen frisch gespitzte Zirkel. Zu oft bleibt die Analyse hinter dem Symptom zurück, verfährt Pogačar bei seiner Dekonstruktion von Fortschrittspropaganda in Eintracht mit dem Gegenstand: Titos Warnung, Musik möge nicht pessimistisch sein, wird mit Ölkannen und Gerätschaften als Hinweis auf Maschinenmusik kolportiert. Zu einer gebügelten Hose wird die Bibelvariante von Chruschtschow zitiert: „Wer uns auf die Wange geschlagen hat, dem haben wir den Kopf abgehackt.“

Bis 17.4., Di-Fr 11-18, Sa/So 11-17 Uhr, Friedrichstr. 103.

Die Galerie Sonne hat noch nicht ganz renoviert, scheckig schimmert es kreischend grün unter der weißen Deckfarbe durch. Im orange belassenen Salon wird eine Buddha-Statue der schlanken Sorte gezeigt, Thailand, 16. Jahrhundert, Bronze. Vorne links hängen passagenhaft fünf neue Arbeiten von Ulrich Kühn„Bilder mit Titeln“. Tatsächlich schrecken die hermetischen Titel-Diskurse ab, doch die langen Bildstreifen können das aushalten. Kühn hat seine Motive einer italienischen Büste im Stile Niccolo dell'Arcas aus dem späten 15. Jahrhundert nachempfunden, die zum Bestand der Skulpturengalerie Dahlem gehört. Trotz eines gewissen Trends zur „Vermittlungskunst“ (M. Babias, demnächst als Buch) orientiert er sich ungewöhnlich klar an der Materie, und nicht am Museum. Der kunsthistorische Ausflug ist bei ihm ein Anknüpfungspunkt, Tabula rasa einer Malerei, die man seit Leonardo da Vinci um zig Ecken denken, doch nicht besser darstellen kann. Der verschleierten Frau rinnen Tränen die Wangen herunter, die der Renaissance- Künstler ursprünglich als edle Applikationen gesetzt hat. Kühn nimmt sich statt der Form der Bewegung an, läßt auf schwerem Papier in Schwachblau und Rot Farbbahnen ineinanderfließen. Dazu eine knappe Schilderung der Gefühle, die hier verhandelt werden: „Ohne Leidenschaft, ohne Absicht? Ohne Leidenschaft, ja. – Kalt? Nein. Nein, nicht kalt.“

Bis 29.4., Kantstr. 138, Di-Fr 11-13/15-18.30, Sa 11-14 Uhr.

Es gibt Menschen, die glauben, daß ihr Hund singen oder daß sie Buntstifte am Geschmack erkennen können. Und es gibt Hansjörg Derx, der 700 falsche Picassos besitzt: Ölskizzen, Zeichnungen und Aquarelle, zwischen 1895 und 1905 entstanden. Weder die Erben noch das Picasso-Museum in Barcelona haben Derx eine Expertise erstellt. Beuys-Verwalter Heiner Bastian hat den schwäbischen Unternehmer gebeten, er möge ihn mit seinen „Spekulationen“ in Ruhe lassen, die Kustodin Frau Dr. Schneider konnte bestätigen, daß es sich bloß um „Picasso- Motive“ handelt. Geholfen hat es nichts: Nun muß Derx an den gesunden Menschenverstand der Besucher appellieren. Man sähe doch, wie sehr seine Sammlung echten Picassos ähnele, schreibt er im selbstverlegten Katalog. Was man sieht, sind abstrakt hingehuschte braune und rote Flecken, oder manchmal auch Kinderaquarelle von Pferden, die Picasso angeblich mit 17 Jahren Goya nachempfunden hat. Vermutlich sind es Flohmarktbilder der fünfziger Jahre. 350 dieser teilweise lachhaft tolpatschig gefälschten Gemälde werden noch bis zum 18. 3. in einem Steglitzer Kaufhaus gezeigt. Nur wenige Öl-Arbeiten befinden sich hinter Glas, einige wurden in Heimarbeit auf Pappen geklebt. Kameras und Feuchtigkeitsmesser fehlen, vom Imbiß im unteren Stockwerk zieht Wasserdampf aus Kochtöpfen nach oben. Das wird den Picassos von Herrn Derx sicherlich nicht guttun.

Galleria, Mo-Fr 9.30-18.30, Sa 9-14 Uhr, Schloßstr. 101.

Harald Fricke

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen